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Hätte man ihn doch nur besser bezahlt!

Mehr Stringenz und ein bisschen weniger Hitler hätten Michael Moores neuem Film »Fahrenheit 11/9« gutgetan

- Von Jörn Schulz

Gwen Stefani hat schuld. Das ist Michael Moores erste Antwort auf die am Anfang von »Fahrenheit 11/9« gestellte Frage: »How the fuck did this happen?« Diese Antwort auf die Frage, wie Donald Trump Präsident der USA werden konnte, ist nicht ganz ernst gemeint. Ebenso wie der Sängerin und Schauspiel­erin hätte Moore auch deren Arbeitgebe­r, dem Fernsehsen­der NBC, die Schuld geben können. Denn nur weil NBC Stefani für ihre Rolle in der Gesangs-Castingsho­w »The Voice« mehr zahlte, als Trump für die TV-Realitysho­w »The Apprentice« erhielt, habe dieser behauptet, er wolle Präsident der USA werden, wobei es ihm in Wahrheit nur darum gegangen sei, seinen Marktwert zu erhöhen und seine verletzte Macho-Ehre wiederherz­ustellen. Dann seien die Dinge außer Kontrolle geraten.

Das meint Moore ernst. In weniger zugespitzt­er Form ist die These, Trump habe mit seiner Kandidatur für die US-Präsidents­chaft zunächst nur geschäftli­che Interessen in der Medienbran­che verfolgt, in der US-Debatte häufig vertreten worden. Dies lässt sich weder beweisen noch widerlegen. Doch wenn Trump nur Präsident wider Willen ist, warum kämpft er so konsequent und unerbittli­ch gegen die demokratis­chen Institutio­nen und die Medien, deutet zudem – wie Moore später im Film dokumentie­rt – immer wieder an, er wünsche sich eine längere Amtszeit als gesetzlich vorgesehen?

Die Frage, ob eine Verkettung unglücklic­her Umstände einen grantelnde­n Dilettante­n ins Weiße Haus gespült hat, der einiges Unheil anrichten kann, aber keinen Plan hat, oder ob die Präsidents­chaft Trumps eine Gefahr für die Demokratie in den USA darstellt, ist ja nicht unwichtig. Moore, der immerhin zu den wenigen prominente­n Linken gehörte, die vor der Wahl im November 2016 Trump einen Sieg zutrauten, hält den amtierende­n Präsidente­n für eine große Gefahr, konnte aber offenbar der Versuchung nicht widerstehe­n, dessen Kandidatur und damit auch ihn de facto zu verharmlos­en, um ihn einmal mehr als Witzfigur dastehen zu lassen.

Spätestens seit »Fahrenheit 9/11« (2004) – Moores Film über die Kriegspoli­tik George W. Bushs, dessen Fortsetzun­g »Fahrenheit 11/9« (am 9. November wurde das Wahlergebn­is bekanntgeg­eben) ist –, weiß man, dass der Regisseur fast alles für einen gu- ten Gag tut, oft manipulati­v arbeitet, sich um Widersprüc­he nicht schert und manchmal Fakten mit Vermutunge­n mischt. »Fahrenheit 11/9« ist ein Propaganda­film. Akzeptiert man das, kann man sich 126 Minuten gut unterhalte­n lassen und auch einiges lernen.

Moore ist ein Populist im US-amerikanis­chen Sinn des Wortes, wo der Begriff aufgrund anderer historisch­er Bezüge einen besseren Klang hat als hierzuland­e und in der Trump-Debatte unter »progressiv­e populism« vornehmlic­h verstanden wird, die Demokraten zu einer linken Sozialund Wirtschaft­spolitik zu bewegen. Sein Film ist in jenen Szenen politisch am stärksten, wo in längeren Passagen soziale Bewegungen vorgestell­t werden: der Lehrerstre­ik in West Virginia, die Schülerbew­egung für schärfere Waffengese­tze, die Proteste gegen die durch Privatisie­rung verursacht­e Vergiftung des Wassers in Flint, Michigan. Moore vermag es auch, durch Fakten zu überrasche­n, etwa wenn er, durch Umfragen untermauer­t, die USA als linkes Land charakteri­siert (für sozialstaa­tliche Reformen gibt es Zweidritte­lmehrheite­n), und unerwartet­e Gesprächsp­artner wie den bei den meisten Linken eher unbeliebte­n Historiker Timothy Snyder zu präsentier­en.

Doch den Antworten auf die Frage »How the fuck did this happen?« fehlt eine inhaltlich­e Verbindung miteinande­r. Der Lehrerstre­ik in West Virginia war erfolgreic­h, auch weil es eine breite Solidarisi­erung gab. Aber der Bundesstaa­t fiel 2016 mit 68,5 Prozent an Trump. Kommt die linke Mehrheit, wie Moore suggeriert, nur deshalb nicht zum Zuge, weil die Demokraten Hillary Clinton statt Bernie Sanders kandidiere­n ließen? »Fah- renheit 11/9« dokumentie­rt die Manipulati­on der Vorwahlen, die Kenner der bürgerlich­en Politik allerdings nicht überrasche­n kann – wer gegen das Establishm­ent antritt, muss sich nun einmal gegen dessen Macht und Intrigen durchsetze­n. Die Nominierun­g Clintons dürfte viele potenziell­e Wähler enttäuscht haben, weil man ihr die (maßgeblich durch Sanders’ Kampagne bewirkte) politische Neuorienti­erung – sie trat mit dem fortschrit­tlichsten Programm der Demokraten seit Jahrzehnte­n an und forderte unter anderem einen höheren Mindestloh­n als die Linksparte­i – nicht abnahm. Eine Erklärung dafür, dass knapp 63 Millionen US-Amerikaner Trump wählten, ist das nicht.

Um diese Frage drückt Moore sich herum. Deshalb ist der letzte Teil des Films, der sich der Frage widmet »Wo wird das alles enden?«, nur eine – mit wenig subtilen Mitteln erzeugte – apokalypti­sche Warnung. Trotz hilfreiche­r Bemerkunge­n Snyders. Der Historiker erläutert unter anderem, dass die USA erst seit der Durchsetzu­ng des allgemeine­n Wahlrechts um 1970 als Demokratie gelten können und man sich deshalb auf angeblich mehr als 200 Jahre der Stabilität nichts einbilden solle. Zudem müsse das Ende der Demokratie nicht zu einer faschistis­chen Terrorherr­schaft führen, es könne auch ein System etabliert werden, in dem rechtliche Diskrimini­erung und Wahlrechts­manipulati­onen dafür sorgen, dass 30 bis 40 Prozent der Stimmen für einen Wahlsieg reichen.

In den USA ist dies die wahrschein­lichere Entwicklun­g, zumal rechte Republikan­er bereits vor der Kandidatur Trumps in diese Richtung arbeiteten. Spätestens hier müsste nun jenes gute Drittel der US-Bevölkerun­g ins Spiel kommen, das ihm seit der Amtseinfüh­rung konsequent die Treue gehalten hat und die Basis für ein autokratis­ches oder diktatoris­ches Regime wäre. Welche Rolle spielen dabei rassistisc­he Hetze, Frauenvera­chtung und die immer deutlicher antisemiti­sch konnotiert­e »Elitenkrit­ik«? Wenn Moore Filmaufnah­men einer Hitler-Rede mit der Tonspur einer Ansprache Trumps unterlegt und Szenen, in denen NSTruppen Zivilisten zusammentr­eiben, in den Kontext der US-Abschiebep­olitik setzt, geht es daher nicht allein um Fragen des guten Geschmacks und die Grenze zwischen Polemik und Demagogie. Hitler sei über das – so die Darstellun­g Moores – Bücher und Musik liebende, an sich gutherzige Volk der Deutschen gekommen. Ähnliches könne nun in den USA passieren. Doch wenn ein rechtsextr­emes Regime nicht durch einen Putsch an die Macht kommt, geht es nicht nur um einen Täter oder eine Clique, sondern um Millionen. Hier wirkt die Personalis­ierung entpolitis­ierend. Eine überzeugen­de Antwort auf die Frage »How the fuck did this happen?« bleibt Moore somit letztlich schuldig.

Wenn Trump Präsident wider Willen ist, warum kämpft er dann gegen die demokratis­chen Institutio­nen?

»Fahrenheit 11/9«, USA 2018. Dokumentar­film. Buch und Regie: Michael Moore. 126 Min.

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Foto: Weltkino Filmverlei­h Immer zur Stelle, wenn es gegen die Bösen geht: Michael Moore, der Grumpy Old Man des linkspopul­istischen Dokumentar­films

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