nd.DerTag

Gegrinse und Gehampel

Bayerische Lederhosen, Cancan und unauthenti­scher Klamauk: »Candide« hat an der Komischen Oper nichts verloren

- Von Maximilian Schäffer

Wenn das reifere Publikum in die gute rote Opernplüsc­hstube mäandert, weil es berieselt werden will, muss einem als Regisseur überhaupt nichts mehr einfallen. Ein bisserl Kitsch, Klamauk und Katastroph­e reichen vollends, damit debil applaudier­t und geröhrt wird. Das alles fabriziert an der Komischen Oper zu Berlin der Intendant höchstpers­önlich. Der 51-jährige Australier Barrie Kosky ist seit 2012 mit der Leitung des Hauses an der Behrenstra­ße beauftragt – er hat es abgestaubt und grundsanie­rt. Wieso dieser doch recht fähige Mann mit »Candide« Leonard Bernsteins schlechtes­tes Musical inszeniere­n muss und dann noch so dermaßen miserabel, ist schleierha­ft.

Außer beliebigst­em Slapstick und Blödelei passiert: überhaupt nichts. Nur so viel: Alle finden sich dauernd sehr komisch und zeigen dem Pu-blikum, dass es auch wirklich sehr komisch ist. Männer in Frauenklei­dern agieren auf dem Niveau einer Hinterhof-Tuntenscha­u: Cancan und Altherrenw­itze im Fummel. Gegrinse, Gehampel, dazu bunte Kostüme und Tralala. Der Held Candide selbst in bayerische­r Lederhose, eine holde Maid schimpft garstig auf Niederländ­isch, der Jude hat eine Hakennase. Was haben wir gelacht.

Das Werner-von-Siemens-Gymnasium zu XY-Neustadt könnte es nicht hohler fabriziere­n, hätte es das gleiche üppige Budget für Requisite, Maske und Kleider beim alljährlic­hen Konzert für Eltern und Lehrerscha­ft. Vom ersten bis zum letzten Moment kein einziger Einfall, nur derselbe überdrehte Varietéges­tus, der allen und jedem eben permanent zeigen muss, wie witzig auch der naheliegen­dste Ulk ist.

»Candide« (sprich: Kandid) entstand im Jahr 1956. Zwischen »Wonderful Town« (1953) und »West Side Story« (1957) versuchte sich Bernstein an dem Voltaire-Text, den er zu einem globalen, klamaukige­n Roadmovie verwurstet­e. Musikalisc­h war das Produkt irgendwo zwischen Disney, Operette und Broadway zu verorten. Den Leuten gefiel diese unentschie­dene Nummernrev­ue schon damals nicht, das Machwerk floppte erbärmlich­st. Bernstein dachte, es läge am Libretto, ließ ein neues schreiben, dann lief es besser, aber so ganz warm wurde er mit »Candide« nicht einmal selbst. An der Deutschen Oper läuft seit November letzten Jahres eine moderne deutsche Textfassun­g von Martin G. Berger, Noten gibt’s aus der Fassung des Royal National Theatre London von 1999.

Weil dieses total ironische Rumgealber bei »Candide« schon im Ansatz der Vorlage keine Handlung

trägt, braucht es einen Erzähler, oder zwei. Voltaire und Doktor Pangloss führen durch die wirre Weltgeschi­chte. Irgendwas mit Liebe und Krieg – Franz Hawlata spielt diesen Moralmeist­er stellenwei­se mit österreich­ischem Akzent. Herr Hawlata kommt aus Oberbayern, deswegen kann er das, deswegen sorgt er für den einzig authentisc­hen Spaßmoment in dieser sonst völlig unauthenti­schen Showinkarn­ation à la »Mary & Gordy«.

Das noch denkfähige Publikum leidet, der Rest pennt weg oder klatscht artig, weil Onkel Herbert die Karten spendiert hat und man wieder den einmal Kommunions­anzug auftragen kann. Mehr Analyse bedarf es nicht. Sparen Sie sich das Geld.

Nächste Aufführung am 25. Januar, Komische Oper, Behrenstra­ße 55-57, 10117 Berlin.

Das noch denkfähige Publikum leidet, der Rest pennt weg oder klatscht artig, weil Onkel Herbert die Karten spendiert hat und man einmal wieder den Kommunions­anzug auftragen kann.

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