Sex in Auschwitz
Eitelkeiten und Eifersüchteleien: Eine schwarze Beziehungskomödie nutzt eine KZ-Gedenkstätte als Kulisse
Na, liebe Leserinnen und Leser, sind Sie bei der Überschrift kurz zusammengezuckt? Recht so, schließlich ist der Ortsname als Inbegriff der Naziverbrechen immer noch das Reizwort schlechthin. Trotz aller neudeutschen sogenannten Lockerheit im Umgang mit der eigenen Geschichte bleibt Auschwitz Synonym für das Unsag- und nicht Fassbare. Einige Verkrampfungen mögen sich gelöst haben, aber eine Komödie in/über/mit Auschwitz? Hm, schwierig, schwierig. Für einen Aufreger taugen derlei Versuche aber allemal. Das dachte sich vielleicht auch der Autor und Regisseur Cornelius Schwalm, als er seiner Beziehungskomödie den Titel »Hotel Auschwitz« gab und sie vor die Kulisse der heute noch existierenden Überreste des NS-Vernichtungslagers verlegte.
Eine Theatergruppe in der westdeutschen Provinz probt »Die Ermittlung« des Dramatikers Peter Weiss. Das Stück, welches den Frankfurter Auschwitz-Prozess von 1963 bis 1965 mit den Mitteln des Sprechtheaters thematisierte, war seinerzeit das meistgespielte Gegenwartsstück an deutschen Bühnen, auch heute wird es noch regelmäßig inszeniert. Aber wie geht man als Heutiger mit dem wachsenden Abstand zur NS-Zeit um? Überlebende als Zeitzeugen gibt es so gut wie keine mehr, die Historisierung schreitet unaufhaltsam fort. Martin, der Regisseur des Stücks, muss feststellen, wie ihm das Thema immer mehr entgleitet und er keinen Zugang findet. Auch seine wichtigste Protagonistin auf der Bühne kommt »nicht richtig rein in den Text«. Was tun? Was tun! Also fahren der Regisseur nebst Assistent und zwei seiner Schauspieler für einige Tage nach Auschwitz, um den Ort »auf sich wirken zu lassen« und »Inspiration« zu erfahren. Martin wird demnächst nach »Hamburg« gehen – aus Provinzsicht das Synonym für die große weite Theaterwelt –, und die Frage im Ensemble ist, wen er mitnimmt. Die Einladung, ihn nach Auschwitz zu begleiten, scheint einer Vorauswahl gleichzukommen. Was eine gute Grundkonstellation für das sich nun entfaltende Beziehungsdrama ist. Die Wahl fällt nämlich auf Holger und Sabine. Die beiden sind insgeheim ein Paar, allerdings hat auch der Regisseur ein Au- ge auf Sabine geworfen. Bekennt sich Holger zu seiner Liebe, ist die erhoffte Berufung nach Hamburg futsch.
So beginnt ein Reigen, in dem niemand mit offenen Karten spielt. Genüsslich und mit bitterbösem Humor seziert Cornelius Schwalm, der als Macher des Films gleichzeitig den Regisseur im Film spielt, das Fegefeuer der Eitelkeiten, Eifersüchteleien und menschlichen Schwächen, die sich gerade im Theaterbetrieb wie unter einem Brennglas bündeln. Das Abhängigkeitsverhältnis zum Regisseur, welches dieser für seine eigenen Machtspielchen auskostet, das Leiden an der eigenen Mittelmäßigkeit und Feigheit, überspielt mit Großspurigkeit und Alkohol, der Schein von Freundschaft und Liebe, der sich als Lüge erweist, kurz, ein großes Kaleidoskop menschlicher Schwächen findet sich hier in komprimierter Form. Wer schon bisher nicht geglaubt hat, dass Künstler per se die besseren Menschen seien, wird in diesem Film auf eindrückliche Weise auch keines Besseren belehrt.
Als vor Ort schließlich die polnisch-jüdische Schauspielerin Goska zur Truppe stößt, die nicht nur das tönerne Beziehungsgefüge zum Einsturz bringt, sondern deren Großeltern auch noch in Auschwitz umgekommen sein sollen, endet das Ganze schließlich vollends in der Katastrophe.
Was eine hemdsärmelige, typisch deutsche Komödie hätte werden können, ist ganz im Gegenteil sehr subtil und mit einem Auge für die kleinen Details inszeniert. Manche Szenen sind improvisiert, vieles spielt sich allein mit zwischen den Schauspielern ausgetauschten Blicken ab. Bemerkenswert ist die Spielfreude des Ensembles, welches die Freiheit einer kleinen, unabhängigen Produktion auszukosten scheint, die ohne Filmförderung zustande kam und bei der kein Fernsehredakteur darüber gewacht hat, dass der Zuschauer bitteschön nicht überfordert werden möge.
Was das alles mit Auschwitz zu tun hat? Eigentlich nichts, als schwarze
Es ist eine Sache, wenn Holger und Sabine durch ein junges Birkenwäldchen innerhalb des Lagerkomplexes spazieren und sie erzählt, dass dies der Ort gewesen sei, an dem die Neuankömmlinge auf ihren Tod warten mussten, wenn in der Gaskammer mal wieder Hochbetrieb herrschte. Eine wirklich sinnliche Erfahrung ist für beide aber eher der darauf folgende Geschlechtsakt im saftigen Gras des Birkenhains. Fragwürdig ist diese Szene sicherlich, aber wer will heute die Maßstäbe dafür setzen? Zumal den aufgeklärten Zeitgenossen der Gegenwart weniger der Schrecken der Vergangenheit als vielmehr die Ahnung kommender Schrecken umtreibt. Beim Brainstorming nach Besuch der KZ-Gedenkstätte – immer noch auf der Suche nach einem begreifbaren Zugang zum Thema – kommt unseren Filmhelden immerhin die Idee, Auschwitz als kapitalistisches System zu verstehen, als »schlimmste, perverseste Form der Ausbeutung«. Soweit waren allerdings auch schon die Schulkinder in der DDR.
»Hotel Auschwitz«, Deutschland 2018. Regie: Cornelius Schwalm. Darsteller: Franziska Petri, Cornelius Schwalm, Patrick von Blume, Katharina Bellena. 75 Min.