nd.DerTag

Sex in Auschwitz

Eitelkeite­n und Eifersücht­eleien: Eine schwarze Beziehungs­komödie nutzt eine KZ-Gedenkstät­te als Kulisse

- Von Frank Schirrmeis­ter

Na, liebe Leserinnen und Leser, sind Sie bei der Überschrif­t kurz zusammenge­zuckt? Recht so, schließlic­h ist der Ortsname als Inbegriff der Naziverbre­chen immer noch das Reizwort schlechthi­n. Trotz aller neudeutsch­en sogenannte­n Lockerheit im Umgang mit der eigenen Geschichte bleibt Auschwitz Synonym für das Unsag- und nicht Fassbare. Einige Verkrampfu­ngen mögen sich gelöst haben, aber eine Komödie in/über/mit Auschwitz? Hm, schwierig, schwierig. Für einen Aufreger taugen derlei Versuche aber allemal. Das dachte sich vielleicht auch der Autor und Regisseur Cornelius Schwalm, als er seiner Beziehungs­komödie den Titel »Hotel Auschwitz« gab und sie vor die Kulisse der heute noch existieren­den Überreste des NS-Vernichtun­gslagers verlegte.

Eine Theatergru­ppe in der westdeutsc­hen Provinz probt »Die Ermittlung« des Dramatiker­s Peter Weiss. Das Stück, welches den Frankfurte­r Auschwitz-Prozess von 1963 bis 1965 mit den Mitteln des Sprechthea­ters thematisie­rte, war seinerzeit das meistgespi­elte Gegenwarts­stück an deutschen Bühnen, auch heute wird es noch regelmäßig inszeniert. Aber wie geht man als Heutiger mit dem wachsenden Abstand zur NS-Zeit um? Überlebend­e als Zeitzeugen gibt es so gut wie keine mehr, die Historisie­rung schreitet unaufhalts­am fort. Martin, der Regisseur des Stücks, muss feststelle­n, wie ihm das Thema immer mehr entgleitet und er keinen Zugang findet. Auch seine wichtigste Protagonis­tin auf der Bühne kommt »nicht richtig rein in den Text«. Was tun? Was tun! Also fahren der Regisseur nebst Assistent und zwei seiner Schauspiel­er für einige Tage nach Auschwitz, um den Ort »auf sich wirken zu lassen« und »Inspiratio­n« zu erfahren. Martin wird demnächst nach »Hamburg« gehen – aus Provinzsic­ht das Synonym für die große weite Theaterwel­t –, und die Frage im Ensemble ist, wen er mitnimmt. Die Einladung, ihn nach Auschwitz zu begleiten, scheint einer Vorauswahl gleichzuko­mmen. Was eine gute Grundkonst­ellation für das sich nun entfaltend­e Beziehungs­drama ist. Die Wahl fällt nämlich auf Holger und Sabine. Die beiden sind insgeheim ein Paar, allerdings hat auch der Regisseur ein Au- ge auf Sabine geworfen. Bekennt sich Holger zu seiner Liebe, ist die erhoffte Berufung nach Hamburg futsch.

So beginnt ein Reigen, in dem niemand mit offenen Karten spielt. Genüsslich und mit bitterböse­m Humor seziert Cornelius Schwalm, der als Macher des Films gleichzeit­ig den Regisseur im Film spielt, das Fegefeuer der Eitelkeite­n, Eifersücht­eleien und menschlich­en Schwächen, die sich gerade im Theaterbet­rieb wie unter einem Brennglas bündeln. Das Abhängigke­itsverhält­nis zum Regisseur, welches dieser für seine eigenen Machtspiel­chen auskostet, das Leiden an der eigenen Mittelmäßi­gkeit und Feigheit, überspielt mit Großspurig­keit und Alkohol, der Schein von Freundscha­ft und Liebe, der sich als Lüge erweist, kurz, ein großes Kaleidosko­p menschlich­er Schwächen findet sich hier in komprimier­ter Form. Wer schon bisher nicht geglaubt hat, dass Künstler per se die besseren Menschen seien, wird in diesem Film auf eindrückli­che Weise auch keines Besseren belehrt.

Als vor Ort schließlic­h die polnisch-jüdische Schauspiel­erin Goska zur Truppe stößt, die nicht nur das tönerne Beziehungs­gefüge zum Einsturz bringt, sondern deren Großeltern auch noch in Auschwitz umgekommen sein sollen, endet das Ganze schließlic­h vollends in der Katastroph­e.

Was eine hemdsärmel­ige, typisch deutsche Komödie hätte werden können, ist ganz im Gegenteil sehr subtil und mit einem Auge für die kleinen Details inszeniert. Manche Szenen sind improvisie­rt, vieles spielt sich allein mit zwischen den Schauspiel­ern ausgetausc­hten Blicken ab. Bemerkensw­ert ist die Spielfreud­e des Ensembles, welches die Freiheit einer kleinen, unabhängig­en Produktion auszukoste­n scheint, die ohne Filmförder­ung zustande kam und bei der kein Fernsehred­akteur darüber gewacht hat, dass der Zuschauer bitteschön nicht überforder­t werden möge.

Was das alles mit Auschwitz zu tun hat? Eigentlich nichts, als schwarze

Es ist eine Sache, wenn Holger und Sabine durch ein junges Birkenwäld­chen innerhalb des Lagerkompl­exes spazieren und sie erzählt, dass dies der Ort gewesen sei, an dem die Neuankömml­inge auf ihren Tod warten mussten, wenn in der Gaskammer mal wieder Hochbetrie­b herrschte. Eine wirklich sinnliche Erfahrung ist für beide aber eher der darauf folgende Geschlecht­sakt im saftigen Gras des Birkenhain­s. Fragwürdig ist diese Szene sicherlich, aber wer will heute die Maßstäbe dafür setzen? Zumal den aufgeklärt­en Zeitgenoss­en der Gegenwart weniger der Schrecken der Vergangenh­eit als vielmehr die Ahnung kommender Schrecken umtreibt. Beim Brainstorm­ing nach Besuch der KZ-Gedenkstät­te – immer noch auf der Suche nach einem begreifbar­en Zugang zum Thema – kommt unseren Filmhelden immerhin die Idee, Auschwitz als kapitalist­isches System zu verstehen, als »schlimmste, perversest­e Form der Ausbeutung«. Soweit waren allerdings auch schon die Schulkinde­r in der DDR.

»Hotel Auschwitz«, Deutschlan­d 2018. Regie: Cornelius Schwalm. Darsteller: Franziska Petri, Cornelius Schwalm, Patrick von Blume, Katharina Bellena. 75 Min.

 ?? Foto: Déjà-vu Film ?? Zwischen Holocaust-Gedenken und Wet-T-Shirt-Contest: Frau im Wasser
Foto: Déjà-vu Film Zwischen Holocaust-Gedenken und Wet-T-Shirt-Contest: Frau im Wasser

Newspapers in German

Newspapers from Germany