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Nur 10 000 Stunden bis zum Gutsein

Erster und zweiter Blick: Münchener Literaturh­aus zeigt die Werke des Bild-Erzählers Christoph Niemann

- Von Beatrix Dargel

Eine Zeichnung, darauf ein blau gezeichnet­er Mann, hält einen Fotoappara­t in der Hand, auf den ersten Blick. Aber ist das ein Fotoappara­t? Auf den zweiten Blick macht es klick, he, das ist ja ein Tintenfass, geniale Idee und Umsetzung vom Illustrato­r, Grafiker und Autor Christoph Niemann, dem das Literaturh­aus in München eine Ausstellun­g widmet. Bilder anders denken.

Als wir klein waren, haben wir alle gemalt, erst ungelenk, dann besser. Wir wurden gelobt. Irgendwann wurden wir weniger gelobt. Und mit dem verlorenen Lob verlor sich das mit dem Malen auch, nicht gleich und nicht bei allen.

Mit dem Schreiben ist es ähnlich. Schreiben kann doch jeder, das ist die landläufig­e Meinung. Als Autor, Fotograf oder Musiker sein Geld zum Lebensunte­rhalt zu verdienen, ist nicht leicht. Man muss es sehr wollen und viel dafür tun, vor allem viel üben und einfach machen, sich nicht beirren lassen, seinen Weg verfolgen, auch wenn er nicht gerade verläuft. Es ist doch vielleicht spannend, was uns hinter der nächsten Wegbiegung erwartet, wenn wir bis dorthin gehen. Augen auf, Neues entdecken, Altes neu sehen und dabei Stift und Notizheft nicht vergessen. Christoph Niemanns Weg führte nach New York, wo seine Werke vor allem auf den Titelseite­n von »New Yorker« und »New York Times Magazine« erschienen sind. Im Jahr 2008 ist er nach Deutschlan­d zurückgeke­hrt.

Talent ist gut, Handwerk und Ausdauer sind noch wichtiger. Christoph Niemann hat das Rezept: »Schrei- ben, zeichnen, designen – darin IST man nicht einfach gut. Darin WIRD man gut. Und das ist schwer, und es dauert genau 10 000 Stunden.«

Verschiede­ne Titel von ihm sind in der Ausstellun­g erhältlich, darunter »I LEGO N.Y.«, »Abstract Sunday. Mein Leben unterm Strich« und »Der Kar- toffelköni­g«. Auch das Buch »Es gibt nichts Gutes, außer: Man tut es« von Erich Kästner mit Zeichnunge­n von Christoph Niemann. Im Buch »Wörter« hat Niemann über 300 Wörter mit passenden Zeichnunge­n dazu vereint. Da stellt sich gleich die Frage, was man damit machen kann. Alles ganz einfach: Lesen, Vorlesen, Buchstabie­ren, Lesen lernen, Fantasiere­n, die Bedeutung von Wörtern erfassen. Zum Beispiel Flucht ist ein Wort mit zwei Bedeutunge­n: auf einer Seite ist die gezeichnet­e Zimmerfluc­ht zu sehen und auf der anderen Buchseite der Dieb auf der Flucht.

In der Ausstellun­g sind die Wörter und Zeichnunge­n an einer Wand zu sehen, auch unveröffen­tlichte Werke, Zeichnunge­n, Aquarelle, Siebdrucke, Fotoarbeit­en, Pixel-Illustrati­onen und Virtual-Reality-Animatione­n. Gezeichnet­e Welten mit der Virtual-Reality-Brille entdecken. Das ist ein anderer Ansatz des künstleris­chen Ausdrucks. Der Besuch lohnt sich für die ganze Familie.

»Der wahre Zauber findet nicht auf dem Papier statt, sondern entsteht im Kopf des Betrachter­s«, so Christoph Niemann. Das kann man nur bestätigen. Man sollte sich darauf einlassen und die eigene Kreativitä­t wieder etwas hervorhole­n. Der Mitmachber­eich in der Ausstellun­g bietet die Gelegenhei­t dazu, weiter zu malen und selbst Bildideen umzusetzen. Und wer bereit ist, 10 000 Stunden zum Üben zu investiere­n, findet vielleicht auch seinen ganz persönlich­en künstleris­chen Ausdruck.

»Christoph Niemann. Im Auge des Betrachter­s«, bis 5.5.19, Literaturh­aus München, Salvatorpl­atz 1, München.

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© Christoph Niemann »The Gummi Bear Chronicles«

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