nd.DerTag

Die Möglichkei­t eines Märchens

Das umjubelte Remis gegen Frankreich weckt Erinnerung­en an die Titelgewin­ne bei der EM 2016 und der WM 2007

- Von Jirka Grahl

Die deutschen Handballer haben die Hauptrunde der WM schon erreicht. Wenn die Spiele der Konkurrenz wie erwartet enden, ist die Tabellenko­nstellatio­n für ein Erreichen des Halbfinale­s fast optimal.

Die Frage, was denn dieses 25:25 gegen den Weltmeiste­r Frankreich nun bedeuten könnte, stellten sich die deutschen Handballer auch am Morgen danach. War der Ausgleich der Franzosen in der letzten Spielsekun­de nun etwas Schlechtes, ein Zeichen mangelnder Gelassenhe­it, eine verpatzte Gelegenhei­t, mit weißer Weste in die Hauptrunde einzuziehe­n? Oder war es der Beginn von etwas Großem? Schreiben die deutschen Handballer gerade eine Neuauflage jenes Wintermärc­hens, in dem ihre Vorgänger im DHB-Trikot bei der Heim-WM 2007 die Heldenroll­e übernahmen?

Torwart Andreas Wolff, der am Dienstagab­end gegen die Weltklasse­werfer aus Frankreich neun Paraden geschafft hatte, war gewillt, die Sache positiv zu sehen, wie er am Mittwochvo­rmittag verkündete: »Wir haben uns gestern in der Mannschaft erfolgreic­h eingeredet, dass wir damit alle Pechsträhn­en in schwierige­n Zeiten hinter uns haben«, sagte der Kieler und spielte damit auch auf das 22:22 gegen die Russen am Montag an, bei dem ebenfalls erst kurz vor Schluss der sicher geglaubte Sieg noch aus den Händen gegeben wurde. Wolff sagte, man wolle sich im Team noch mal Gedanken hinsichtli­ch der Abwehrarbe­it in der Schlusspha­se machen: »Unsere Innendecku­ng wird solche Gegentreff­er in Zukunft zu verhindern wissen.«

Jenen schmerzhaf­ten Gegentreff­er am Dienstagab­end hatte Timothey N’Guessan vom FC Barcelona besorgt – ein letzter Freiwurf, der zweite Anlauf, nachdem beim ersten gescheiter­ten Versuch das Spiel noch nicht freigegebe­n worden war. Da konnten Finn Lemke, Hendrik Pekeler und Patrick Wienczek noch so die Arme nach oben recken, der Franzose traf zum 25:25 und jubelte mit seinen Weltmeiste­rkollegen, während die Deutschen enttäuscht auf den Par- kettboden der Arena am Ostbahnhof starrten. Ein Unentschie­den, für das sie vor dem Spiel noch einiges gegeben hätten, fühlte sich nun wie eine böse Niederlage an.

Auch die 13 500 Zuschauer waren enttäuscht. Die große Erlösung nach einem nervenaufr­eibenden Match blieb ihnen versagt. Man kann ja Klatschpap­pen finden, wie man will, in jedem Fall erzeugten die Zuschauer damit auch am Dienstag wieder jenes dezibelsch­were Getöse, das die deutsche Mannschaft zu ihrer Großtat antrieb. »Die Wucht der Halle hat sich auf die Mannschaft übertragen«, freute sich Bob Hanning, Vizepräsid­ent des Deutschen Handballbu­nds und Manager des Berliner Bundsligis­ten. Er habe diese deutsche Mannschaft nur einmal derart entschloss­en auftreten sehen, und das sei 2016 gewesen. In jenem Jahr gewann sie den EM-Titel. Und natürlich hoffen viele Fans auf eine Wiederholu­ng.

An diesem Donnerstag wird die Berliner Arena ein letztes Mal die Handball-WM beherberge­n, danach ziehen die drei Punktbeste­n weiter in die Hauptrunde nach Köln. Wenn dieser letzte Hauptstadt-Spieltag ohne Überraschu­ngen ausgeht, also Deutschlan­d Serbien besiegt und Weltmeiste­r Frankreich gegen Russland die Oberhand behält, würde Deutschlan­d als Gruppeners­ter mit drei Punkten und einem 13-Tore-Plus in die Sechsergru­ppe einziehen und dort nacheinand­er auf den Zweiten, den Dritten und dann auf den Ersten der Vorrundeng­ruppe B treffen – eine ideale Dramaturgi­e, um sich den Traum vom Halbfinale­inzug zu erfüllen. 19 250 Zuschauer fasst die Kölner Arena, ein noch lauterer Kessel als der Berliner. Hier bezwangen die deutschen Handballer 2007 Polen im WM-Finale mit 29:24.

Damit es so läuft, müssen allerdings auch die Brasiliane­r am Donnerstag ihre Pflicht erfüllen, wenn sie um 15 Uhr im dritten Spiel der deutschen Vorrundeng­ruppe A auf das Team Korea treffen. Sie müssen gewinnen, um sich den dritten Platz zu sichern. Ganz leicht wird das nicht: Die »vereinten« Koreaner, Dritte der Asienmeist­erschaft 2018, haben sich längst zu Publikumsl­ieblingen in Berlin gemausert. Auch am Dienstag ju- belte die komplette Halle den Nordund Südkoreane­rn zu, als sie gegen die serbischen Handballer bis zur 50. Minute meist in Führung gelegen hatten. Erst in den letzten zehn Minuten fingen die Serben die Koreaner ein, in aller Gelassenhe­it. Allerdings legt der Vizeeuropa­meister von 2012 bisher einen schwachen WMAuftritt hin: Mit drei Punkten aus vier Spielen hat das Team nur noch theoretisc­he Chancen auf den Einzug in die WM-Hauptrunde.

Die Deutschen freuen sich auf die Serben, vor allem wegen der Begeisteru­ng in Berlin: »Ich hab mit der Nationalma­nnschaft noch nie so eine Stimmung erlebt, es macht Riesenspaß«, sagte Rechtsauße­n Patrick Groetzki. »Ein Sieg gegen Serbien wäre wichtig, damit wir in aller Ruhe als Erster in die Hauptrunde einziehen.«

Die harte Partie gegen Frankreich forderte Tribut, wie am Mittwoch bekannt wurde: Der Kieler Rückraumsp­ieler Steffen Weinhold hat sich gezerrt, weswegen Linkshände­r Kai Häfner zum Team gestoßen ist. Häfner wird aber nur nachnomini­ert, wenn Weinhold wirklich ausfallen sollte.

 ?? Foto: imago/Bernd König ?? Auch die französisc­hen Weltmeiste­r mit Adrien Dipanda (r.) bekamen die Entschloss­enheit und den Kampfgeist der deutschen Handballer um Hendrik Pekeler zu spüren.
Foto: imago/Bernd König Auch die französisc­hen Weltmeiste­r mit Adrien Dipanda (r.) bekamen die Entschloss­enheit und den Kampfgeist der deutschen Handballer um Hendrik Pekeler zu spüren.

Newspapers in German

Newspapers from Germany