Karlsruher Grundrechteabgleich
Verfassungsgericht erklärt Kennzeichenkontrollen teilweise für unzulässig
Berlin. Das Bundesverfassungsgericht gleicht Gesetze und Regelungen mit dem Grundgesetz ab – nicht automatisiert, aber mit vielen Treffern. Am Dienstag haben gleich drei Bundesländer den Bescheid aus Karlsruhe erhalten, dass ihre Vorschriften zum automatischen Abgleich von Nummernschildern mit polizeilichen Datenbanken zum Teil verfassungswidrig sind.
Die Regelungen verstießen gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, erklären die Richter in den am Dienstag veröffentlichten Beschlüssen. Dort heißt es unter anderem: »Zur Freiheitlichkeit des Gemeinwe- sens gehört es, dass sich die Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich fortbewegen können, ohne dabei beliebig staatlich registriert zu werden.«
Der Freiburger Rechtsanwalt Udo Kauß, der die Beschwerdeführer aus Bayern und BadenWürttemberg mit Unterstützung der Humanistischen Union in dem Fall vertritt, sieht in den Entscheidungen einen »großen Sieg für Bürgerrechte«. Mit den Urteilen habe das Verfassungsgericht »der pauschalen und anlasslosen Kontrolle des öffentlichen Raumes durch die Polizei« enge Bandagen angelegt. »Das Bundesverfassungsgericht hat unter ausdrück- licher Aufgabe früherer Auffassungen allein schon im Tatbestand der elektronischen Video-Kontrolle einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gesehen. Vor allem hat es der anlasslosen Kontrolle eine Absage erteilt und die Zulässigkeit solcher Massenkontrollen vom Vorliegen einer konkreten Gefahrensituation abhängig gemacht«, erklärte Kauß. Karlsruhe habe damit »den Fantasien einer rundherum und ohne konkreten Anlass permanent überwachten Gesellschaft einen Riegel vorgeschoben.« Die beanstandeten Regelungen dürfen noch bis Jahresende in Kraft bleiben.
Der automatische Abgleich von Nummernschildern mit Fahndungsdaten der Polizei ist verfassungswidrig. Drei betroffene Bundesländer müssen jetzt nachbessern.
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat die automatisierten KfzKennzeichenkontrollen in drei Bundesländern für in Teilen verfassungswidrig erklärt. In dem am Dienstag veröffentlichten Beschluss kippte das höchste deutsche Gericht teilweise Regelungen in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen. Die Vorschriften sind demnach bis Ende des Jahres größtenteils übergangsweise weiter anwendbar. (Az. 1 BvR 142/15, 1 BvR 2795/09, 3187/10)
Das Urteil wird eher mit Verstößen der jeweiligen Länderbehörden begründet, nicht mit der von den Klägern intendierten Ablehnung einer Massenüberwachung. Der Vorwurf einer übertriebenen Überwachung wird am ehesten noch im Fall Bayern erhoben: Hier fehlte den Verfassungsrichtern ein gewichtiger Anlass für die Kennzeichenkontrollen im Bereich des Grenzschutzes. Die nun zu verwerfenden Vorschriften seien nicht auf den Schutz von Rechtsgütern »von zumindest erheblichem Gewicht« beschränkt.
Bei der Regelung in Baden-Württemberg rügte das Verfassungsgericht, dem Land fehle es bei der automatisierte Kennzeichenkontrolle zur Unterstützung von polizeilichen Kontrollen an der Gesetzgebungskompetenz. Ebenfalls aus formellen Gründen seien auch die hessischen Regelungen zur automatisierten Kennzeichenkontrolle an polizeilichen Kontrollstellen verfassungswidrig. Beide Länder müssen künftig ihren Datenbestand enger eingrenzen, mit dem die erfassten Kennzeichen abgeglichen werden.
Geklagt hatte unter anderem der bayerische Informatiker Benjamin Erhart. Er ist schon seit 2008 mit Unterstützung von Spendern auf dem Klageweg gegen das massenhafte au- tomatisierte Scannen von Kfz-Kennzeichen. Erhart freute sich über den Erfolg, bedauerte aber zugleich den langen Weg durch viele Instanzen.
Ein weiterer Kläger ist der Piratenpolitiker und Jurist Patrick Breyer, der zur »Enttarnung« von ScannerStandorten aufgerufen und in der vergangenen Woche eine Bauanleitung für ein Gerät zum Aufspüren der Kennzeichenscanner online veröffentlicht hatte. Breyer verwies auch auf die aktuelle Gefahr, dass Verstöße gegen Dieselfahrverbote durch Scanner automatisch erfasst werden könnten. Mit der Entscheidung des Verfassungsgerichtes dürften die Diesel-Scanner-Pläne des Bundesverkehrsministers vom Tisch sein, meint der sich selbst so nennende »digitale Freiheitskämpfer«. Angesichts der der geplanten Überwachung der DieselFahrverbote mittels Kennzeichen- Scannens hatte der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages bereits Ende 2018 Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung moniert. Offen ist eine weitere Verfassungsbeschwerde Breyers gegen den Massenabgleich von Nummernschildern durch die Bundespolizei.
Nach den vom Verfassungsgericht gekippten Regelungen scannte zum Beispiel Bayern an 15 Standorten KfzKennzeichen zum Abgleich mit Polizeidatenbanken. Monatlich wurden 8,5 Millionen Kennzeichen erfasst. Allerdings waren 98 Prozent der Treffermeldungen falsch, das die Scanner ein großes »i« nicht von der Ziffer »1« unterscheiden, ebensowenig eine Null von einem großen »o«. In Baden-Württemberg und Hessen wurden zwar deutlich weniger Kennzeichen erfasst, im gesamten Jahr 2017 jeweils maximal 250 000. Aber auch dort waren knapp über 90 Prozent der Treffer falsch.
In Großbritannien, Dänemark und den Niederlanden werden mit den Scannern schon sämtliche Fahrzeugbewegungnen bis zu zwei Jahre auf Vorrat gespeichert Europaweit wurden durch Polizei und Geheimdienste drei Millionen Kfz-Kennzeichen ausgeschrieben, in Deutschland insgesamt fast eine Million. Europaweit ist das Sammeln verdächtiger Autokennzeichen schon weit voran gekommen. Nummernschilder könnnen mittels der Eucaris-Datenbank analysiert werden, die alle Kfz-Schilder speichert, die mit Diebesgut oder illegalen Aktivitäten aller Art in Verbindung gebracht werden. Eucaris gehört zu den Datenbanken, die von der EU verwaltet und entlang der EUAußengrenze eingesetzt werden.