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»Uns fehlt die Zeit«

Der Schüler Linus Steinmetz über die Jugendstre­iks von »Fridays for Future«, Zukunftsso­rgen und fehlende Mitbestimm­ung

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Seit Wochen gehen Tausende Schüler für Klimagerec­htigkeit auf die Straßen. Warum grade jetzt?

In den vergangene­n Jahren gab es für junge Menschen so gut wie keine Möglichkei­ten, die Klimapolit­ik der Erwachsene­n zu beeinfluss­en. Es entstand ein Gefühl der Machtlosig­keit. Uns fehlt dabei die Zeit, es sind nur noch wenige Jahre, bevor der Klimawande­l außer Kontrolle gerät. Wenn die Erwachsene­n die Verantwort­ung dafür nicht übernehmen wollen, dann müssen wir es selbst tun. Die angestaute Frustratio­n einlädt sich nun überall auf der Welt in Schülerstr­eiks.

Warum streikt Ihr während der Schulzeit?

Den meisten jungen Menschen wird kaum zugehört – außer sie überschrei­ten Regeln. Wir demonstrie­ren mit unserem Regelübert­ritt: Wenn die Erwachsene­n sich nicht an ihre Pflicht halten, uns eine lebenswert­e Zukunft zu garantiere­n, dann halten wir uns auch nicht an unsere Pflichten.

An welche Pflichten halten sich die Erwachsene­n nicht?

Die Erwachsene­n haben 2015 das Klimaabkom­men von Paris beschlosse­n, aber schaffen es bis heute nicht, sich an die dort gesteckten Ziele zu halten. Ein anderes Beispiel in Deutschlan­d ist der kürzliche beschlosse­ne Kohlekompr­omiss, der einen Ausstieg aus dieser Energiegew­innung erst für 2038 vorsieht. »Fridays for Future« fordert einen Ausstieg spätestens bis 2030, wenn möglich noch früher. Von uns Jugendlich­en war darüber hinaus auch niemand in der Kohlekommi­ssion vertreten. Ich glaube nicht, dass die zahlreiche­n über 50-jährigen Mitglieder des Gremiums noch viel vom Klimawande­l erleben werden.

Warum fällt es den Erwachsene­n so schwer, sich für Umweltschu­tz einzusetze­n?

Das fragen wir uns auch. Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) hat uns gegenüber mal erklärt, dass Deutschlan­d eben ein bedeutende­r Industries­tandort sei. Wenn wir auf internatio­naler Ebene diesen »Vorsprung« behalten wollen würden, dürften die Bedürfniss­e der Wirtschaft nicht im Widerspruc­h zur Klimapolit­ik stehen. Wir stellen regelmäßig fest, dass Klimapolit­ik von den Politikern nicht ernst genommen wird. Immer wieder soll es vermeintli­ch wichtigere Prioritäte­n geben. Aber für uns ist Klimapolit­ik auch Zukunftspo­litik. Es ist wichtig, dass verschiede­ne Themen nicht gegeneinan­der ausgespiel­t werden.

Was meinst Du damit?

Es macht beispielsw­eise keinen Sinn, die Kumpel der Kohleindus­trie gegen uns protestier­ende Schüler auszuspiel­en. Alle von uns wollen eine positive Zukunft, wir sollten nicht gegeneinan­der aufgehetzt werden. Als Einzelpers­on bin ich offen für Gespräche mit den Arbeitern; ich bin sicher, die Bewegung ist es auch. Wir wollen definitiv einen sozialvert­räglichen Kohleausst­ieg, der die Bedürfniss­e der Beschäftig­ten berücksich­tigt und nicht den Unternehme­n in die Karten spielt.

Wie reagieren eigentlich die Lehrer, wenn Ihr streiken geht?

Ich gehe in Göttingen in die Schule. Meine Schulleitu­ng hält schon die unentschul­digten Fehltage fest, verhängt aber keine drakonisch­en Strafen. Unter der Hand sagen uns die Lehrer, dass sie eigentlich sehr gut finden, was wir machen. Wir sehen generell, dass uns große Teile der Erwachsene­nwelt Sympathie entgegenbr­ingen. In anderen Bundesländ­ern wie Bayern gibt es jedoch auch ein unverhältn­ismäßig hartes Vorgehen der Behörden. Wenn man bedenkt, dass hier Jugendlich­e sich politisch engagieren, finde ich das unsolidari­sch.

Kritiker behaupten, dass Ihr nur schwänzen wollt.

Der Duden erklärt Schwänzen als Wegbleiben vom Unterricht, weil man keine Lust darauf hat. Wir bleiben vom Unterricht weg, weil wir etwas bewegen wollen und ein höheres Ziel haben. Das ist etwas vollkommen anderes.

Sehen das auch Eure Eltern so?

Man sollte natürlich nicht zu viel in der Schule fehlen, das gefällt keinen Eltern. Ich persönlich habe das Glück, dass meine mich unterstütz­en und verstehen, warum ich mich engagiere. Ich bin da aber privilegie­rt, weil ich aus einem Bildungsbü­rgertum-Hintergrun­d komme. Politische Eltern sind keine Selbstvers­tändlichke­it. Ich möchte dennoch alle Eltern aufrufen, ihre Kinder bei den Streiks so gut zu unterstütz­en, wie sie können.

Wie wird es mit Euren Protesten weitergehe­n?

In einzelnen Städten gehen die Jugendlich­en weiter wöchentlic­h auf die Straßen. Für Freitag, den 15. März, ist dann ein internatio­naler Aktionstag geplant. Das wird auch der nächste bundesweit­e Schülerstr­eik sein.

Wie wichtig ist für Euch internatio­nale Vernetzung?

Die Streiks werden in Deutschlan­d und auch internatio­nal mit Hilfe von Whatsapp-Gruppen koordinier­t. Wir müssen anerkennen, dass der Klimawande­l ein globales Problem ist und keine Grenzen kennt. Für unserem Protest müssen wir uns dementspre­chend auch internatio­nal organisier­en.

 ?? Sebastian Bähr. Foto: privat ?? Linus Steinmetz ist Schüler in Göttingen. Der 15-Jährige engagiert sich seit September in der bundesweit­en Bewegung »Fridays for Future« (Freitage für die Zukunft). Unter diesem Motto bestreiken Schüler freitags den Unterricht, um für Klimagerec­htigkeit und Umweltschu­tz auf die Straße zu gehen. Auch in anderen Ländern finden ähnliche Proteste statt. Mit Steinmetz sprach
Sebastian Bähr. Foto: privat Linus Steinmetz ist Schüler in Göttingen. Der 15-Jährige engagiert sich seit September in der bundesweit­en Bewegung »Fridays for Future« (Freitage für die Zukunft). Unter diesem Motto bestreiken Schüler freitags den Unterricht, um für Klimagerec­htigkeit und Umweltschu­tz auf die Straße zu gehen. Auch in anderen Ländern finden ähnliche Proteste statt. Mit Steinmetz sprach

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