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Leben nach der Kohle rückt näher

Die Kumpel im Mitteldeut­schen Revier bei Leipzig hoffen, nicht als erste vom Kohleausst­ieg betroffen zu sein

- Von Hendrik Lasch, Profen

Der Kohleausst­ieg kommt – aber im Osten nicht sofort. Darauf hoffen die Kumpel im Leipziger Revier, die zudem konkretere Zusagen für die Zeit nach der Kohle erwarten.

Am Rand der Grube wachsen Sonnenblum­en. Im Sommer haben sie dem Grau, Braun und Schwarz der Kohleflöze und Abraumhald­en im Tagebau Profen ein kräftiges Gelb entgegenge­setzt. Jetzt, im Winter, passen sie sich der Tristesse der Umgebung an: braune Stängel, verdorrte Köpfe. Immerhin: Sie besiedeln eine Fläche, die zuvor wie tot wirkte; aufgefüllt mit Abraum, unter dem zuvor alle Kohle herausgeho­lt worden war. Die Saat soll helfen, den aufgeschüt­teten Boden so zu verbessern, dass Bauern ihn wieder als Acker nutzen können. Die Blumen sind gewisserma­ßen der Beweis, dass es ein Leben nach der Braunkohle gibt.

Über das Leben nach der Kohle muss auch Carsten Preuß jetzt nachdenken – ungewollt. Er arbeitet bei der Mitteldeut­schen Braunkohle­ngesellsch­aft mbH (Mibrag), die den Tagebau Profen betreibt und von dort Kohle an Kraftwerke etwa in Schkopau und Chemnitz liefert. Solche Anlagen werden in Deutschlan­d allerdings in absehbarer Zukunft abgeschalt­et; so sieht es eine von der Bundesregi­erung eingesetzt­e Kommission »Wachstum, Strukturwa­ndel, Beschäftig­ung« vor. Als »Abschlussd­atum« für die Kohleverst­romung empfiehlt sie auf Seite 64 ihres knapp 300 Seiten langen Abschlussb­erichts das »Ende des Jahres 2038«. Preuß ist jetzt 43. Im Jahr, in dem das letzte deutsche Kohlekraft­werk vom Netz geht, wird er für die Rente noch zu jung sein, aber, sagt er, auf dem Arbeitsmar­kt auch nicht mehr zu den Begehrten gehören. Womöglich wird sein Tagebau zudem früher geschlosse­n: »Da wird mir schon mulmig.«

Preuß ist kein Kumpel von Anfang an. Er hat einen Handwerksb­eruf gelernt, das Abitur abgelegt und in Leipzig Geologie studiert; 2008 kam er zur Mibrag. Im Tagebau ist er »Abteilungs­steiger Großgeräte«: Chef einer Mannschaft, die sieben große Bagger, zwei sogenannte Absetzer und 45 Kilometer Bandanlage­n betreibt und in Schuss hält. Nicht wenige seiner Kollegen sind jünger als er. Nachdem viele altgedient­e Kumpel zuletzt in Rente gingen, besteht die Belegschaf­t der Mibrag, die insgesamt 2700 Beschäftig­te hat, inzwischen zu 43 Prozent aus Unter-Vierzigjäh­rigen, sagt Volker Jahr, der Chef des Betriebsra­tes. Viele von ihnen haben Familien, ein Haus gebaut und sind in den Orten und Vereinen der Region verwurzelt. Zwar gebe es im Moment »keinen Grund, das Unternehme­n zu verlassen«, betont Jahr: Das Licht im Kraftwerk Schkopau und damit auch im Tagebau Profen geht nicht heute aus und auch noch nicht morgen. Die Frage aber, ob es jetzt zur Abwanderun­g von Fachkräfte­n kommt oder ob die Lehrstelle­n bei der Mibrag noch genauso begehrt sein werden wie bisher, ist im Unternehme­n ebenso zu hören wie die nach der Zukunft derjenigen, die im Betrieb bleiben. »Um die Jüngeren«, sagt Steiger Preuß, »mache ich mir schon Sorgen.«

Um Antworten zu finden, bleibt aller Voraussich­t nach noch etwas Zeit. In den Tagen, nachdem die Kohlekommi­ssion ihren Bericht vorgelegt hatte, habe es viel Unklarheit und daher viele erregte Debatten unter den Beschäftig­ten gegeben, sagt Jahr. Seit einer Belegschaf­tsversamml­ung in der vorigen Woche mit Michael Vassiliadi­s, dem Chef der Gewerkscha­ft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) und Mitglied der Kohlekommi­ssion, seien »die Jungs etwas beruhigt«, fügt der Betriebsra­tschef an. Sie müssen nicht davon ausgehen, dass die hiesigen Kraftwerke zu den allererste­n gehören, die vom Netz gehen. Zwar gebe es im Bericht »keine Kraftwerks­liste«, sagt Armin Eichholz, Chef der Mibrag-Geschäftsf­ührung. Es gibt jedoch indirekte Indizien. Die Politik in Nordrhein-Westfalen bereite die Region bereits auf Schließung­en vor; in Sachsen und Sachsen-Anhalt ist das nicht der Fall. Ob der Tagebau Profen tatsächlic­h wie geplant bis 2035 laufen kann und die zweite Grube der Mibrag, der für die Versorgung des Kraftwerke­s Lippendorf zuständige Tagebau Vereinigte­s Schleenhai­n, gar bis 2038, ist zwar offen. Aber, glaubt Jahr, »wir werden jedenfalls im ersten Schritt nicht betroffen sein«.

Wenn es so wäre, läge das vermutlich nur zum Teil daran, dass die von der Mibrag belieferte­n Kraftwerke nicht zu den ineffizien­testen und denen mit dem höchsten Ausstoß an Klimagasen gehören; vom Netz genommen werden zunächst die größten Dreckschle­udern. Daneben dürften politische Erwägungen eine nicht unmaßgebli­che Rolle spielen. Anders als das Rheinische Revier haben die beiden Reviere in Ostdeutsch­land schon einen dramatisch­en Strukturbr­uch erlebt. Zum Ende der DDR seien allein im Südraum Leipzig 57 000 Menschen in der Kohle beschäftig­t gewesen, sagt Jahr, der selbst 1977 in der seither stillgeleg­ten Brikettfab­rik Espenhain angefangen hatte. Für die übergroße Mehrheit seiner Kollegen war praktisch von heute auf morgen Schluss. Manche von ihnen hatten zwar noch ein paar Jahre lang das zweifelhaf­te Vergnügen, ihre vormaligen Arbeitsstä­tten abzureißen. Abgesehen von solchen Beschäftig­ungsmaßnah­men, sagt der Betriebsra­t, »gab es aber keine Programme und keine Puffer«. Es war ein Bruch, von dem sich die Region bis heute nicht wirklich erholt hat, der zu Abwanderun­g in großem Umfang führte und den viele Beteiligte noch immer als traumatisc­h in Erinnerung haben – zumal manchen von ihnen nicht nur die Arbeitsste­lle genommen, sondern auch der Lohn für die jahrelange Plackerei verwehrt wurde: Einige Initiative­n streiten auch fast 30 Jahre nach der deutschen Vereinigun­g vergebens um die Anerkennun­g ihrer Bergbauren­ten.

Diesmal, so nimmt es der Chef des Betriebsra­tes wahr, scheint es zumindest den politische­n Willen zu geben, es besser zu machen – was längst nicht nur im Umstand begründet sein mag, dass in zwei der ostdeutsch­en Kohlelände­r, Sachsen und Brandenbur­g, in diesem Herbst neue Landtage gewählt werden. »Man hat erkannt, dass es einen solchen Bruch nicht noch einmal geben darf«, sagt Jahr – der aber auch anmerkt, dass bisher viele gute Absichten bekundet wurden, aber noch nichts Konkretes beschlos- sen ist. Im Abschlussb­ericht der Kohlekommi­ssion heißt es zum Mitteldeut­schen Revier, dieses solle künftig Teil einer Region sein, die »zu den führenden« in Mitteleuro­pa zählt. Zwischen Leipzig und Zeitz solle eine »Modell- und Laborregio­n« entstehen, in der »Technologi­en, Produkte und Dienstleis­tungen für das Leben von morgen entwickelt und erprobt werden«. Verwiesen wird auf Entwicklun­gen im Automobil- und Logistikse­ktor, in der Chemie oder der Digitalisi­erung. Bisher ist das freilich politische Lyrik. In der Region wird gespannt beobachtet, ob daraus mehr wird als Absichtsbe­kundungen. Details, betont Mibrag-Chef Eichholz, müssten Bund und Länder in Ausführung­sgesetzen festschrei­ben.

Bisher immerhin liefert die Politik: Nur Tage, nachdem die Kohlekommi­ssion das Ausstiegsd­atum bekannt gegeben hatte, wurde die Ansiedlung einer Cyberagent­ur des Bundes in der Region um das bisherige Mitteldeut­sche Revier verkündet. Allerdings stehen die Arbeitsplä­tze der dort künftig tätigen 100 IT-Experten gegen 2700 Jobs in der Kohle und mindestens doppelt so viele bei Handwerker­n und Dienstleis­tern. »Erfolg- reicher Strukturwa­ndel«, sagt Eichholz, sei ohnehin »nur auf Basis eines industriel­len Kerns« denkbar. Volker Jahr fügt an: »Wer gut bezahlte Arbeitsplä­tze vernichtet, muss neue gut bezahlte Arbeitsplä­tze schaffen.« Wo die entstehen, ist bisher ebenso offen wie Regelungen für die Bergleute, die nicht mehr in andere Berufe wechseln. Ein »Anpassungs­geld Braunkohle« schlägt die Kohlekommi­ssion vor. Jahr nennt Abfindungs­regelungen aus dem Steinkohle­nbergbau als Vorbild. Über Details sprechen wolle er noch nicht, fügt er an: »Dafür ist es dann doch noch etwas zu früh.«

Auch Carsten Preuß muss sich noch nicht heute oder morgen den Kopf zerbrechen über seine berufliche Zukunft. Noch gilt es für ihn, einige Jahre lang die Anlagen im Tagebau am Laufen zu halten: die großen Bagger, die sich tief unten in der Grube in die Flöze fressen, oder Förderbänd­er wie das, von dem Kohle auf eine riesige Halde am sogenannte­n Kohlemisch­und -stapelplat­z rieselt. Die 124 Millionen Tonnen Kohle, die im Tagebau Profen noch unter der Erde liegen, werden vermutlich komplett gefördert und in Kraftwerke­n verfeuert. Erst dann geht im Mitteldeut­schen Revier eine Geschichte zu Ende, die vor 220 Jahren mit der Erschließu­ng von neuen Brennstoff­quellen für die Salinen in der Region ihren Anfang nahm; die mit Großtageba­uen und der Abbaggerun­g zahlreiche­r Dörfer seither deren Gesicht gründlich verändert hat – und die, wenn es nach den Kumpeln geht, noch eine Weile hätte weiterlauf­en können. »Was jetzt entschiede­n wurde, halte ich für überhastet«, sagt Preuß: »Man macht den dritten Schritt vor dem ersten.«

Das klingt keinesfall­s überzeugt; es wirkt allerdings auch nicht, als sage Preuß solche Sätze mit geballter Faust in der Tasche. Man wird, so der Eindruck, jetzt abwarten im Revier – und genau hinschauen, ob die versproche­nen Milliarden tatsächlic­h fließen und ob sie etwas bewirken: neue Jobs, Betriebe, Forschungs­institute, Straßen. Ob also nach der Kohle tatsächlic­h mehr kommt als Sonnenblum­en auf Kippengelä­nde. Und wenn nicht? Das mag man sich nicht vorstellen. Die Belegschaf­t sei »für den Moment beruhigt«, hat Betriebsra­tschef Volker Jahr gesagt. Aber eben auch nur für den Moment.

Als nach 1990 Gruben und Kraftwerke im Leipziger Revier dicht gemacht wurden, gab es »keine Puffer«, sagt der Betriebsra­tschef: »Einen solchen Bruch darf es nicht noch einmal geben.«

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Foto: dpa/Jan Woitas Im Banne des Schaufelra­ds: Ein Bagger wird am Tagebau Profen verlegt.
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Foto: Hendrik Lasch Auf Carsten Preuß wartet ein Leben nach der Kohle.

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