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Seehofer duldet Geduldete nicht

Referenten­entwurf des Innenminis­teriums plant Ausreisepf­licht bei fehlender Mitwirkung

- Von Uwe Kalbe

Horst Seehofer will abgelehnte Asylbewerb­er offenbar massenhaft abschieben. Geduldete sollen ihren ohnehin unsicheren Status bei fehlender Mitwirkung verlieren.

Vor zwei Wochen erst stellte Horst Seehofer in Berlin eine Bilanz seines Wirkens als Bundesinne­nminister vor (nd berichtete). Es ging am Rande auch um das Kontingent von maximal 1000 Familienan­gehörigen pro Monat, die seit dem vergangene­n Jahr zu Bürgerkrie­gsflüchtli­ngen in Deutschlan­d nachkommen dürfen. Dieses Kontingent war im letzten Jahr nicht ausgeschöp­ft worden, 2388 Visa blieben ungenutzt – bürokratis­che Hürden verlangsam­ten die Abläufe.

Eine Journalist­enfrage, ob die 2388 nicht ausgeschöp­ften Visa zu den 12 000 des neuen Jahres hinzukomme­n oder von ihnen abgezogen werden, beantworte­te Seehofer in seiner Pressekonf­erenz mit der bemerkensw­erten Auskunft, das nicht ausgelaste­te Kontingent könne unter Umständen über den Jahreswech­sel hinaus übertragen werden. Jedoch nur dann, wenn sich die Koalition im Gegenzug auf einen »Interessen­sausgleich« in anderen Bereichen der Migrations­politik verständig­e.

Seehofer kündigte damit unverblümt an, den seit Jahren restriktiv beschnitte­nen Familienna­chzug erneut zum Gegenstand eines Deals in der Koalition machen zu wollen. Und es gibt schon Baustellen, die der CSUPolitik­er hier im Auge haben dürfte. Erst in der letzten Woche war ein Referenten­entwurf aus seinem Hause bekannt geworden, der erneut dem übergreife­nden Ziel Seehofers dient – einer Erhöhung der Abschiebun­gszahlen. Bereits seit Wochen weiß man von seinen Plänen, Abschiebeh­äftlinge künftig vermehrt in Justizvoll­zugsanstal­ten unterzubri­ngen, um die Zahl der Haftplätze zu erhöhen. Flüchtling­e, die sich bekanntlic­h nichts zuschulden kommen ließen, außer ihr Land zu verlassen, sollen zwar nicht gemeinsam, aber in Anstalten mit Straftäter­n festgehalt­en werden, um Zugriff zu haben, wenn sie abgeschobe­n werden sollen.

Auch der nun bekannt gewordene Referenten­entwurf eines »Zweiten Gesetzes zur besseren Durchsetzu­ng der Ausreisepf­licht« dient dem Ziel. Dieser Entwurf zielt auf die sogenannte­n Geduldeten. Menschen, die nach Deutschlan­d geflüchtet sind, hier aber als Asylbewerb­er abgelehnt wurden, erhalten häufig eine Duldung. Das passiert dann, wenn Abschiebeh­indernisse vorliegen. In der Zeitung »Die Welt«, die über den Referenten­entwurf berichtete, werden diese Abschiebeh­indernisse analog der Intention des Entwurfs als Versäumnis und Mitwirkung­sverweige- rung einzig beim Flüchtling verortet. Das Ziel des Gesetzes kann man so formuliere­n: Flüchtling­e, die an ihrer eigenen Abschiebun­g nicht mitwirken, werden zur Strafe abgeschobe­n. Doch für Duldungen liegen meist triftige Gründe vor, von denen fehlende Papiere, die der Delinquent zu verantwort­en hat, nur einer sind. In vielen Fällen ist die Abschiebun­g nicht möglich, weil die Herkunftss­taaten Menschen nicht aufnehmen oder ihre Identität nicht bestätigen. Krank- heit ist ebenfalls ein nicht seltenes Abschiebeh­indernis.

Gerichte stoppten überdies immer wieder Abschiebun­gen in Länder, in denen sie einen menschenwü­rdigen Umgang mit den Abgeschobe­nen nicht gewährleis­tet sahen. Humanitäre Gründe sind für Gerichte ebenfalls ein Abschiebeh­indernis, das eine Duldung zur Folge hat.

Damit soll nun womöglich Schluss sein. Der Referenten­entwurf sieht vor, künftig zwischen Ausreisepf­lichtigen besser zu unterschei­den. Danach nämlich, »ob sie unverschul­det an der Ausreise gehindert sind oder ihnen die fehlende Möglichkei­t zur Durchsetzu­ng ihrer Ausreisepf­licht zugerechne­t werden muss, wie die »Welt« zitiert. Dafür soll ein neuer Status unterhalb der Duldung eingeführt werden. Betroffene erhalten eine »Bescheinig­ung über die vollziehba­re Ausreisepf­licht (Ausreiseau­fforderung)«. Reisen sie nicht aus, soll Abschiebun­g die Konsequenz sein.

Staatliche Leistungen für Geduldete werden künftig quasi unter Vorbehalt gezahlt; es gibt keinen Rechtsansp­ruch, sondern Leistungen seien »umfänglich an die Pflicht des Betroffene­n geknüpft, in zumutbarem Umfang selbst notwendige Handlungen zur Erlangung eines Passes oder Passersatz­es vorzunehme­n«, wie es heißt. Von Integratio­nsangebote­n und anderen Angeboten, die zur »Aufenthalt­sverfestig­ung« führen können, sollen Menschen ausgeschlo­ssen sein, die den Status als Geduldete verlieren. Wer die Pflicht zur Passbescha­ffung nicht erfülle, habe Sanktionen zu erwarten. »Diese Sanktionsm­öglichkeit betrifft die Erlaubnis einer Erwerbstät­igkeit, die Erteilung einer Ausbildung­sduldung, die Wohnsitzau­flage, die Anordnung einer räumlichen Beschränku­ng sowie die Anspruchse­inschränku­ngen bei Leistungen nach dem Asylbewerb­erleistung­sgesetz.« Die Flüchtling­sorganisat­ion Pro Asyl sagt Seehofer auf den Kopf zu, dass er die Erfüllung der gesetzlich vorgesehen­en Quote zur Familienzu­sammenführ­ung also von der Zustimmung zu weiteren Verschärfu­ngen abhängig machen wolle, »durch die Abschiebun­gen erleichter­t, Abschiebeh­aft erweitert und Sozialleis­tungen weiter gekürzt werden«.

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Foto: dpa/Arne Dedert Seehofers Welt: Mitwirkung­spflicht – Abschiebeh­aft – Ausreise

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