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Loveparade-Prozess in der Schwebe

Das Gerichtsve­rfahren könnte schon bald eingestell­t werden. Doch nicht alle Angeklagte­n wollen dem zustimmen

- Von Dennis Pesch

Der Loveparade-Prozess steht teilweise vor der Einstellun­g. Aber einige Angeklagte wollen den Prozess zu Ende führen, weil sie auf eine Verjährung hoffen. Nebenkläge­r kritisiere­n diese Haltung.

Eine mögliche Einstellun­g des Strafproze­sses gegen die Angeklagte­n im Loveparade-Prozess rückt näher. Das Landgerich­t Duisburg hatte im Januar vorgeschla­gen, das Verfahren gegen die zehn Angeklagte­n aus der Stadtverwa­ltung und vom Loveparade-Veranstalt­er Lopavent einzustell­en. Drei der Angeklagte­n von Lopavent sollten dazu Auflagen erfüllen: »Diese sollte nach hiesiger Auffassung in der Größenordn­ung von jeweils etwa 10 000 Euro liegen und zu Gunsten einer gemeinnütz­igen Einrichtun­g geleistet werden«, erklärte die Duisburger Staatsanwa­ltschaft. Sie folgte der Einschätzu­ng des Landgerich­tes, das die individuel­le Schuld der Angeklagte­n als gering oder mittelschw­er ansieht.

Eine solche Einstellun­g ist jedoch nur mit Zustimmung von Angeklagte­n und Staatsanwa­ltschaft möglich. Der Empfehlung des Landgerich­ts, stimmten bereits die sechs Angeklag- ten aus der Stadtverwa­ltung und ein Angeklagte­r von Lopavent zu. Abgelehnt haben den Vorstoß drei Mitarbeite­r des Veranstalt­ers. Staatsanwa­ltschaft und Landgerich­t gehen davon aus, dass der Strafproze­ss über die Verjährung, die am 28. Juli 2020 erfolgt, hinaus gehen wird.

»Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass noch zahlreiche Beweismitt­el nicht erhoben worden sind«, erklärte die Staatsanwa­ltschaft am Dienstag. So fordere etwa ein Sachverstä­ndigenguta­chten des Wuppertale­r Professors Jürgen Gerlach, dass alle wesentlich­en Anknüpfung­s- und Befundtats­achen des Gutachtens im Rahmen der Hauptverha­ndlung festgestel­lt werden müssen. Dazu sei die Vernehmung des überwiegen­den Teils der in dem Sachverstä­ndigenguta­chten genannten etwa 575 weiteren Zeugen erforderli­ch. Seinen Anfang nahm der Prozess im Dezember 2010. Seitdem gab es 100 Verhandlun­gstage mit 59 Zeugen.

Ein Ziel des Strafverfa­hrens war auch die öffentlich­e Aufklärung der Geschehnis­se. Nach Ansicht der Staatsanwa­ltschaft ist diese weitestgeh­end erfüllt. Dabei verweist sie sowohl auf den Prozess als auch auf das Gutachten: »Die entscheide­nden Ursachen des Unglücks liegen […] in der fehlerhaft­en Einschätzu­ng der Eignung des Veranstalt­ungsraumes für eine Veranstalt­ung dieser Größenordn­ung, der fehlenden Eignung des Veranstalt­ungskonzep­tes für die erwarteten und eingetrete­nen Besucherza­hlen sowie in einer fehlerhaft­en Steuerung der Besucherst­röme am Veranstalt­ungstag, nicht zuletzt aufgrund mangelnder Kommunikat­ion.«

Die Nebenklage hat keine Möglichkei­t, auf die Einstellun­g des Verfahrens Einfluss zu nehmen. Rechtsanwa­lt Thomas Feltes vertritt den Vater einer bei der Loveparade verstorben­en Studentin. »Wir sind der Auffassung, dass die Einstellun­g richtig ist, weil dieses Verfahren die Nebenkläge­r extrem psychisch belastet«, sagte er dem »nd«. Das Hauptprobl­em sei, dass das Verfahren erst sie- ben Jahre später begann. Für die drei Mitarbeite­r von Lopavent, die der Einstellun­g widersprec­hen wollen, hat er kein Verständni­s: »Ich finde es schmutzig, darauf zu vertrauen, dass das Verfahren offensicht­lich nicht im Rahmen der Verjährung­sfrist zu Ende geführt werden kann. Es wäre in meinen Augen ein deutliches Zeichen der Versöhnung und Entschuldi­gung den Hinterblie­benen gegenüber, wenn man jetzt der Beendigung zustimmen würde«, so Feltes.

Vollständi­g aufgeklärt sieht er den Fall zudem nicht: »Ich würde der Staatsanwa­ltschaft zustimmen, dass das, was im Strafverfa­hren aufgeklärt werden kann, aufgeklärt worden ist. Aber ein Strafverfa­hren an sich kann nie dazu dienen, ein solch komplexes Geschehen vollständi­g aufzuarbei­ten«, erklärte der Anwalt. Deshalb fordert er einen unabhängig­en Untersuchu­ngsausschu­ss: »Und zwar keinen parlamenta­rischen, politische­n, sondern einen solchen, wie ihn die Briten haben, unabhängig von Politik und Justiz.« Zudem hätten auch die Polizeibea­mten eine große Rolle bei der Katastroph­e gespielt, bei der 21 Menschen ums Leben kamen und mindestens 652 verletzt wurden: »Die saßen aber leider nicht auf der Anklageban­k«, sagte Feltes.

»Ein Strafverfa­hren kann nicht dazu dienen, ein komplexes Geschehen komplett aufzuarbei­ten.« Thomas Feltes, Anwalt der Nebenkläge­r

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