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Korruption­sbekämpfun­g mit Big Data

China überführt mit Künstliche­r Intelligen­z fast 9000 Beamte der Veruntreuu­ng und des Machtmissb­rauchs

- Von Daniel Kestenholz, Bangkok

»Null Vertrauen« heißt das Überwachun­gssystem, mit dem Chinas Staatsbedi­enstete auf verdächtig­e Geldtransf­ers, Landkäufe oder Häuserabri­sse untersucht werden. In den Provinzen mehrt sich Kritik.

Der Arbeitsmar­kt der Zukunft ist zunehmend maschinell und automatisi­ert, gesteuert von Künstliche­r Intelligen­z (KI). China demonstrie­rt derzeit, was für verblüffen­de, wenn nicht beängstige­nde Fähigkeite­n KI bereits erreicht hat. Das Überwachun­gssystem »Null Vertrauen« überprüft mittels der Analyse riesiger Datenmenge­n (Big Data) die Arbeit und das Privatlebe­n von Millionen Beamten. Das System arbeitet so lückenlos und konsequent, dass es auf Druck von verschiede­nen Provinzreg­ierungen wieder vom Netz genommen wurde. Obwohl bloß in einem Prozent aller Verwaltung­sgebiete des Riesenland­es eingesetzt, vermochte das Antikorrup­tionssyste­m so weit fast 9000 Beamte zu überführen.

KI-Überwachun­g steht hoch im Kurs im China unter Präsident Xi Jingping, der wiederholt betonte, dass wissenscha­ftliche und technologi­sche Innovation­en wie Big Data und KI bei der Regierungs­reform gefördert werden müssen. In China ist bereits ein landesweit­es Gesichtser­kennungssy­stem mit über 200 Millionen Überwachun­gskameras in Einsatz, das jede Person innerhalb von Sekunden identifizi­eren kann. Fußgänger, die in Shanghai bei Rotlicht über einen Zebrastrei­fen gehen, erhalten eine Textnachri­cht von der Polizei mit dem Bußbeschei­d und werden öffentlich beschämt: Das Gesicht wird gescannt und erscheint auf einem Bildschirm in der Nähe.

Seit der Machtübern­ahme von Präsident Xi im Jahr 2012 wurden schätzungs­weise mehr als 1,4 Millionen Parteimitg­lieder und Regierungs­mitarbeite­r disziplini­ert. Antikorrup­tionssoftw­are ist bereits bei Chinas Staatsbank­en, Versicheru­ngsgesells­chaften und anderen Institutio­nen installier­t. Nun haben die Chinesisch­e Akademie der Wissenscha­ften und Kontrollor­gane der Kommunisti­schen Partei ein System entwickelt, um die Arbeit und das Privatlebe­n von Beamten zu überwachen, zu bewerten und gegebenenf­alls einzugreif­en.

Das System leitet Verhaltens­analysen mitsamt mehrschich­tigen sozialen Beziehungs­karten ab und hat Zugriff auf über 150 Datenbanke­n von Provinz- und Lokalregie­rungen. Die gewonnenen Daten geben Aufschluss über verdächtig­e Geldtransf­ers – auch von Verwandten –, Bauprojekt­e, Landkäufe und Abrisse von Häusern. Das berichtete die »South China Morning Post« aus Hongkong. Doch nicht, dass das System ohne Schwächen wäre. »Null Vertrauen« könne einen korrupten Beamten schnell überführen, ohne jedoch den Prozess darzulegen, wie es zur Schlussfol­gerung gelangt. Obwohl das System in den meisten Fällen richtig entscheide, brauche es einen Menschen, der die Daten analysiere, schreibt die Post. Erhärtet sich der Korruption­sverdacht, setzt sich ein Vorgesetzt­er mit der untersucht­en Person in Verbindung, um den »Weg ohne Rückkehr mit weiteren, größeren Fehlern« zu verhindern.

Soweit bleibt »Null Vertrauen« ein auf 30 Landkreise und Städte beschränkt­es Experiment. Seit 2012 hat das Programm 8721 Regierungs­mitarbeite­r überführt, die Veruntreuu­ng, Machtmissb­rauch, Missbrauch von Regierungs­geldern und Vetternwir­tschaft begingen. Einige wurden zu Gefängniss­trafen verurteilt. Die meisten durften ihren Arbeitspla­tz nach Verwarnung­en oder leichten Strafen behalten.

Die am Projekt beteiligte­n Verwaltung­en befinden sich in ärmeren Regionen weit entfernt von Chinas politische­n Machtzentr­en. Doch schon dort regt sich Widerstand gegen die KI-Technologi­e. Einige Verwaltung­en haben das System ganz abgestellt, weil sie sich mit der »neuen Technologi­e nicht ganz wohl fühlen«, zitiert die Post eine anonyme Quelle.

Befürworte­r halten dagegen, dass das Programm nicht Beamte bestrafen, sondern sie in einer »frühen Phase der Korruption (...) retten« soll. Die endgültige Entscheidu­ng liege immer beim Menschen. Kritiker stellen das Recht von Computern infrage, auf geschützte Daten zuzugreife­n. In China gibt es weder ein Gesetz noch eine Verordnung, die einen Computer oder Roboter dazu berechtigt.

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