Wider die Unsitten der Zeit
Die Kunsthalle in Rostock zeigt vor allem frühe Werke von Willi Sitte und Fritz Cremer in einem spannenden Dialog
Die Kunsthalle Rostock nimmt sich seit Jahren auf vorbildliche Weise der Künstler an, die in der DDR gearbeitet haben. Jetzt offerieren die Ausstellungsmacher an der Küste einen Dialog mit etwa 60 Gemälden des Hallensers Willi Sitte (1921 – 2013) mit rund 60 Plastiken des Berliners Fritz Cremer (1906 – 1993). Unter der Überschrift »Motiv Mensch« geben sie einen Überblick über das frühe Schaffen der beiden prominenten Künstler, die sich einer politisch bekennenden und ästhetisch figürlichen Kunst verpflichtet gefühlt haben. Die frühen Arbeiten des vom Mainstream gerne mit dem Verdikt eines »Staatskünstlers« attackierten Malers geben Einblick in seine Prägungen vor und im Krieg. Dazu passt das Werk des Bildhauers, der in der NS-Zeit in Kontakt zur Widerstandsgruppe der Rote Kapelle stand.
Alles, was in der Kunsthalle zusammengetragen ist, ist exzellente Kunst. Vor allem kleine Formate, die ganz und gar für sich stehen. In der Form immer dem Figürlichen verpflichtet, bieten sie eine offensive Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit und sind inhaltlich weniger an eine Parteidoktrin als an humanistischen Idealen orientiert. Darunter finden sich Schlüsselwerke der beiden Künstler, so Sittes hier erstmals komplett gezeigter Zyklus zur Flutkatastrophe am Po 1952/53 in seiner zweiten Wahlheimat Italien oder die Vorstudie (Rufende Frauen, 1957) zu seinem verschollenen Lidice Triptychon. Daneben: Cremers erste Entwürfe zum Buchenwald-Denkmal und »Der Aufsteigende«, der 1975 als Geschenk der DDR am UNGebäude in New York aufgestellt wurde und von dem sich ein Guss auch vor der Kunsthalle befindet. Die Ausstellung überrascht, indem sie einen weithin unbekannten Sitte zeigt, der sich bei der Suche nach dem eigenen Stil auch an die westeuropäische Kunst der Nachkriegszeit orientierte, unter anderem an Fernand Léger oder Pablo Picasso. Sein Frühwerk dürfte manchen Besucher in seiner selbstbewussten Modernität erstaunen.
Um so verblüffender war die Begleitmusik zur Eröffnung der Exposition. Es begann mit einer »BILD«Schlagzeile, die eine Forderung des Leiters der Forschungs- und Dokumentationsstelle des Landes Mecklenburg-Vorpommern zur Geschichte der Diktaturen in Deutschland, Fred Mrotzek, aufgriff. Das »Fachblatt für differenzierte Debatten und Kunstbetrachtung« mit den vier Großbuchstaben wandte sich unter der Überschrift »UnSITTE« gegen die öffent- liche Präsentation von DDR-Kunst. Von der »Ostsee-Zeitung« daraufhin befragte Leser votierten hingegen mit über 90 Prozent gegen solche reflexartigen Attacken, die ideologischer Zensur gleichkommen.
Der deutsch-deutsche Bilderstreit im Gefolge der fulminant gescheiterten Weimarer Ausstellung »Aufstieg und Fall der Moderne« 1999 und die Kontroverse um die Verhinderung einer Personalausstellung im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg zu Sittes 80. Geburtstag 2001 haben sich offenbar nicht bis zu jeder im Kunstbetrieb verantwortlichen Person herumgesprochen. Auch Cremer sei »ein strammes SED-Mitglied und mit Ehrungen überhäuft« worden, drischt der Historiker und Dozent an der Rostocker Universität Mrotzek auf einen ausgewiesenen Antifaschisten und exzellenten Bildhauer ein, dem Schöpfer eines Denkmals, das an die Opfer und Leiden der internationalen Häftlingsgemeinschaft im KZ auf dem Ettersberg bei Weimar erinnert.
Dem 1921 im tschechischen Kratzau geborenen Malerfürsten Sitte wiederum, der von der Naziwehrmacht zu den italienischen Partisanen desertiert war, wird gerne vorgeworfen, dass er von 1974 bis 1988 Präsident des Verbandes Bildender Künstler in der DDR war. Dass zu seinem 85. Geburtstag, bei der Eröffnung der Willi-Sitte-Stiftung in Merseburg, der damalige CDU-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt und Altkanzler Gerhard Schröder den Jubilar explizit würdigten, zählt bei den Eiferern einer die DDR delegitimierenden Vergangenheitsbewältigung nicht. Dem Kunsthallenchef Jörg-Uwe Neumann ficht das jedoch nicht an: »All die Bilder und Skulpturen haben ein humanistisches Menschenbild und sind einfach unfassbar gut. Außerdem zeigen wir die Kunst, nicht die Künstler.« Recht hat er.
»All die Bilder und Skulpturen haben ein humanistisches Menschenbild und sind einfach unfassbar gut.« Jörg-Uwe Neumann »Die Farben haben ein bemerkenswertes Eigenleben, sobald sie auf die Leinwand aufgemalt wurden.« Edvard Munch
»Motiv Mensch. Willi Sitte und Fritz Cremer im Dialog«, Kunsthalle Rostock, bis 10. März, www.kunsthallerostock.de, Kataloges »Fritz Cremer Plastiken und Zeichnungen« (20 €).