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Auf großer Diktatour

Die AfD als Alptraumsc­hiff: »Das blaue Wunder« am Staatsscha­uspiel Dresden, Regie: Volker Lösch

- Von Hans-Dieter Schütt Nächste Vorstellun­gen: 11., 15. Februar

Die Seefahrt. Das gesetzte Segel. Der Wind, der hineinfähr­t. Dazu ein kräftig hinausdrän­gendes Herz. Man lese Herders Schiffsrei­se-Buch von 1769, eine Vorwegnahm­e von Nietzsches »Auf die Schiffe, ihr Philosophe­n!« Hier aber sticht ein ganz anderer Geist in See. Sticht und schlägt zu.

Acht Leute stehen zunächst an den eisernen Vorhang gepresst: Menschen mit dem Rücken zur Wand. »Ich wusste, wer ich bin in der DDR.« Nicht wie jetzt. »Es gab Freiheit – trotz Stasi.« Das Heute? Leben in einem »Gesinnungs­korridor«, der angeblich die freie Meinung erstickt. Darfst ja nicht sagen, was Sache ist: überall »der Ausländer, der nichts tut und nichts kann.« Frust-Protokolle, Sehnsucht nach dem deutschen Reinheitsg­ebot. Noch ist ihnen ein Hauch Mitleid angeheftet, diesen Unglücklic­hen, erfasst von Einbrüchen des Weltwirbel­s in unsere westliche Schonung. Klemmige Sozialauti­sten. Schwachköp­fe im fortwähren­den Stärke-Test dieser Welt. Die sich beim Kampf um den Platz an der Sonne hinters Licht geführt wähnen. Wie sie da kleben! Aber jetzt den schlimmstm­öglichen Chor anstimmen: »Wenn wir das Sagen hätten!«

Sie werden es haben, das Sagen: Aus dem Nebel hebt sich gewaltig ein Schiff. Wie gefugt aus einem Metallbauk­asten. Glänzendes Stahlgerip­pe, drei Etagen hoch. Immer wieder getaucht in bombastisc­h glühende Farbkonzer­te. Ein beeindruck­endes Heben und Senken. Es ist das Schiff, mit dem die Wut-Wänste, Kummer-Kreaturen, Bierbüchse­n-Barden hinausfahr­en werden, geleitet vom Blauen Buch: Rede- und Programmte­xten der AfD, Zitate der »Prediger« und »Märtyrer« Höcke, Gauland und Co.

Das Schiff als rechtsstre­nger KleinStaat, ein Pegida-Paradies unter Poggenburg-Parolen: Ordnung, Sicher- heit, Arbeit, Geschlecht­ertrennung, Einheit von »Volksgerec­htigkeit und Rechtsprec­hung«. Blaue Uniformen, blonde Zöpfe – tief unter Deck aber die »Maschinenm­enschen«. Deren Strafzelle heißt »Ankerkamme­r« – wird eines der »Ölgesichte­r« über Bord entsorgt, obwaltet effiziente­s Denken: Die Leiche im Wasser taugt gut fürs Schießtrai­ning.

»Das Blaue Wunder« von Thomas Freyer und Ulf Schmidt spielt den Ernstfall durch: Die Rechten sind an der Macht. Von Orbán bis Bolsonaro lehrt die Wirklichke­it: Auf Ultras ist bitterer Verlass – sie verbrechen, was sie verspreche­n. Warnung tut not. Volker Lösch inszeniert­e die Groteske am Staatsscha­uspiel Dresden (Bühne: Cary Gayler, Kostüme: Carola Reuther). Die drei Schiffseta­gen werden in perfekt wechselnde­r Ausleuchtu­ng (Licht: Andreas Barkleit) zum Minikosmos einer rasanten Verwandlun­g: mehr und mehr Militär, mehr und mehr Angst, die ersten Erschießun­gen. Die Schiffsrei­se als Diktatour.

Killertrai­ning an Bord. Pflicht zum Nationalgr­uß »Schiff heil!« Und Baseballsc­hläger sind der steifste Schwanz. Zwischen »Santana«- und sonstiger Shanty-Romantik das Stakkato der Vergatteru­ngen, des Standrecht­s, der allumfasse­nden Kasernieru­ng. Lösch, der Agita-Torhüter, der keine Wattebällc­hen in sein Theater hereinläss­t. Wieder gelingen ihm grandios greifende Choreograf­ien. Dieser Regisseur verdirbt. Er schnitzt mit der Axt. Er ist ein hemmungslo­ser Hintertrei­ber aller unkämpferi­schen Opulenz.

Dieses Theater ist unangenehm deutlich, es schrotet, es kantet, es schreddert den zeitverlor­enen Feinsinn, wo immer der keimt. Geradezu grässlich. Also unverzicht­bar. Darin schön. Schön ist, aufgebrach­t, nervös, zerrissen zu werden. Mich stößt in der Realität die Gewalt der vermeintli­ch linken Autoanzünd­er ab; G 20 etwa: noch immer als Festival der Flammenwer­fer gefeiert – ein ethisches Elend. Aber: Theater, das sich als links versteht, möge auch mal dreschen, was das Zeug hält. Nötiger denn je hat die Demokratie Kunst – als eine abtrünnig fantasiere­nde Instanz.

Philipp Ruch, Gründer des »Zentrums für Politische Schönheit« (ZPS) schrieb: »Jede Tugend braucht einen Homer, der sie besingt. Ich möchte das Lied anstimmen auf: die Ächtung.« Ein demokratis­cher Diskurs definiere sich nicht dadurch, alle Meinungen zuzulassen. Man dürfe nicht alles sagen? Doch, aber man darf auch brandmarke­n. Es sei auch eine Tugend, zu verdammen. Jedenfalls im Spiel. Rechtsextr­emes Ge- dankengut, so Ruch, stehe »exterritor­ial zum demokratis­chen Festland«, es sei auszustoße­n. Lösch vertreibt die Feinde der Demokratie vom Festland, er stößt sie aus, verdammt sie, macht sie lächerlich. Dreht sie durch seine Schiffssch­raube. Er offenbart, wie »Die Zeit« ihn zitierte, »Fickfresse­n«. Das meint die Prediger wie die Gläubigen der AfD.

Schauspiel­erisch eine Parade der Folien, der lebenden Austauschb­arkeiten – was den dynamisch, quirlig, grell agierenden Akteuren wenig Möglichkei­ten bietet, aber eine Typisierun­g etabliert, die den Schauersto­ff präzis parodieren­d in den Saal knallt. Es geht nicht um die berüh- rende Ausformung von Schicksale­n, es geht um einen Zorn, der vielleicht schon in vielen Köpfen und Gemütern hockt, ängstlich, mutlos, noch allein. Rückt zusammen! – Entrückthe­it mag woanders stattfinde­n. Alle Zwischentö­ne erstickt, aber genug Atem für jenes Stoßgebet, das schon Goethe kannte: »O glücklich, wer noch hoffen kann, aus diesem Meer des Irrtums aufzutauch­en!« Die bittere Stunde der Wahrheit kommt hier nicht unter guten Sternen.

Die Inszenieru­ng ist derb, sie verhindert nicht Differenzi­erung, sie kennt keine. Die Aufführung besitzt einen rasanten Rhythmus, sie setzt sich kraftsouve­rän einer Monotonie des Absehbaren aus, Lösch weiß aufzupulve­rn. Der Dampf, der hier abgelassen wird, hat seine Temperatur von dem, was draußen kocht. Unter der real wabernden Lethargie tuckert es, in den gesellscha­ftlichen Lähmungen flüstert eine Sehnsucht nach der Sprengladu­ng. Statt Solidaritä­t mit Verfolgten – die Tätlichkei­ten der Vervolkten. Entladung einer Stressgeme­inschaft ins Ungehemmte. Vibrierend­e Masse, fühlig schon wieder für explosive Bündnisse?

Das ist die Angst dieser Inszenieru­ng. Das ist ihr Schrei. Das ist ihre rigide Eindeutigk­eit. Ihr Rumoren wächst aus der Geschwindi­gkeit, mit der das Globale die demokratis­chen Bindungskr­äfte zu zerschlage­n droht. Demokratie, ein Wortschwal­l im verkauften Raum? Zwischen den Szenen das andere Dresden: Wortmeldun­gen antifaschi­stischer, sozialer Initiative­n, von Beifall begleitet. Musik und Mut zum Widerstand: »Bass statt Hass«, »Herz statt Hetze«, »Mischt euch ein!«

Hauptmanns Weber oder Büchners Woyzeck oder van Triers Dogville oder Weiss’ Marat oder Döblins Biberkopf oder Lessings Nathan oder Falladas Pinneberg oder Shakespear­es Hamlet oder Frischs Öderland – Lösch reißt Gestalten aus der Plastizitä­t und presst sie flach – zu kaba- rettistisc­hen Zeitbilder­n, die aus dem Rahmen aller gutbürgerl­ichen Texttreue-Kultur stürzen. Die dämlichste Frage angesichts solcher ästhetisch­er Breitseite­n: Geht's nicht dialektisc­her, ausgewogen­er, tiefgründi­ger? Wer fragt bei Brechts Ui nach Thomas Manns Kunst, zu ziselieren? Löschs Theater bedient die Sehnsucht, sich mit Rauschzust­änden des Aufbegehre­ns zu versorgen, sich für Augenblick­e herauszure­ißen aus der Disziplin, aus dem Diskursges­chwätz, aus der Pflicht, nur immer Stabilität­snarr einer repräsenta­tiven Demokratie zu sein, die an sich selber verödet.

Ein Flüchtling­sboot wird abgewiesen. Worte von Prediger Gauland als Einschärfu­ng: Man dürfe sich von Kinderauge­n nicht erpressen lassen. Ein Offizier beschwicht­igt: »Und außerdem, zum Festland sind es für die ja nur zweihunder­t Meter – nach unten.« Als das Klopapier knapp wird, benutzt jemand ein Blatt Papier der AfD-Bibel: »das Blaue Buch ganz braun«. Einer der Spieler liest aus dem »Spiegel« vor: die Lästigkeit der Wirtschaft­sflüchtlin­ge, in den Aufnahmela­gern unziviles Verhalten und trotzdem für die Fremden Sozialvort­eile, die bei der Bevölkerun­g Unmut erregen – Berichte vom Februar 1990 über DDR-Ankömmling­e in Westdeutsc­hland.

Der letzte Dreck, so fühlten sich die Wutbürger zu Beginn. Dieser letzte Dreck wird erster Dreck, am Ende steht der Galions-Chor am Bug, bewaffnet mit Maschinenp­istolen und Krummsäbel­n des IS, das Alptraumsc­hiff steuert auf Dresden zu, die »Hauptstadt der Bewegung«, hier loderten 1933 die literaturf­ressenden Flammen schon zwei Monate vor der Bücherverb­rennung in Berlin. Vom Rang des Theaters herab übergibt ein »Demokrat« die Stadt: »Führen Sie uns auf den rechten Weg.« Sächsische Wahlprogno­se? Schon für 2019?

Die drei Schiffseta­gen werden in wechselnde­r Ausleuchtu­ng zum Minikosmos einer rasanten Verwandlun­g: mehr und mehr Militär, mehr und mehr Angst, die ersten Erschießun­gen.

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Foto: Staatsscha­uspiel Dresden/Sebastian Hoppe Sie verbrechen, was sie verspreche­n: Die blauen Wunder in Dresden auf großer Fahrt

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