Auf großer Diktatour
Die AfD als Alptraumschiff: »Das blaue Wunder« am Staatsschauspiel Dresden, Regie: Volker Lösch
Die Seefahrt. Das gesetzte Segel. Der Wind, der hineinfährt. Dazu ein kräftig hinausdrängendes Herz. Man lese Herders Schiffsreise-Buch von 1769, eine Vorwegnahme von Nietzsches »Auf die Schiffe, ihr Philosophen!« Hier aber sticht ein ganz anderer Geist in See. Sticht und schlägt zu.
Acht Leute stehen zunächst an den eisernen Vorhang gepresst: Menschen mit dem Rücken zur Wand. »Ich wusste, wer ich bin in der DDR.« Nicht wie jetzt. »Es gab Freiheit – trotz Stasi.« Das Heute? Leben in einem »Gesinnungskorridor«, der angeblich die freie Meinung erstickt. Darfst ja nicht sagen, was Sache ist: überall »der Ausländer, der nichts tut und nichts kann.« Frust-Protokolle, Sehnsucht nach dem deutschen Reinheitsgebot. Noch ist ihnen ein Hauch Mitleid angeheftet, diesen Unglücklichen, erfasst von Einbrüchen des Weltwirbels in unsere westliche Schonung. Klemmige Sozialautisten. Schwachköpfe im fortwährenden Stärke-Test dieser Welt. Die sich beim Kampf um den Platz an der Sonne hinters Licht geführt wähnen. Wie sie da kleben! Aber jetzt den schlimmstmöglichen Chor anstimmen: »Wenn wir das Sagen hätten!«
Sie werden es haben, das Sagen: Aus dem Nebel hebt sich gewaltig ein Schiff. Wie gefugt aus einem Metallbaukasten. Glänzendes Stahlgerippe, drei Etagen hoch. Immer wieder getaucht in bombastisch glühende Farbkonzerte. Ein beeindruckendes Heben und Senken. Es ist das Schiff, mit dem die Wut-Wänste, Kummer-Kreaturen, Bierbüchsen-Barden hinausfahren werden, geleitet vom Blauen Buch: Rede- und Programmtexten der AfD, Zitate der »Prediger« und »Märtyrer« Höcke, Gauland und Co.
Das Schiff als rechtsstrenger KleinStaat, ein Pegida-Paradies unter Poggenburg-Parolen: Ordnung, Sicher- heit, Arbeit, Geschlechtertrennung, Einheit von »Volksgerechtigkeit und Rechtsprechung«. Blaue Uniformen, blonde Zöpfe – tief unter Deck aber die »Maschinenmenschen«. Deren Strafzelle heißt »Ankerkammer« – wird eines der »Ölgesichter« über Bord entsorgt, obwaltet effizientes Denken: Die Leiche im Wasser taugt gut fürs Schießtraining.
»Das Blaue Wunder« von Thomas Freyer und Ulf Schmidt spielt den Ernstfall durch: Die Rechten sind an der Macht. Von Orbán bis Bolsonaro lehrt die Wirklichkeit: Auf Ultras ist bitterer Verlass – sie verbrechen, was sie versprechen. Warnung tut not. Volker Lösch inszenierte die Groteske am Staatsschauspiel Dresden (Bühne: Cary Gayler, Kostüme: Carola Reuther). Die drei Schiffsetagen werden in perfekt wechselnder Ausleuchtung (Licht: Andreas Barkleit) zum Minikosmos einer rasanten Verwandlung: mehr und mehr Militär, mehr und mehr Angst, die ersten Erschießungen. Die Schiffsreise als Diktatour.
Killertraining an Bord. Pflicht zum Nationalgruß »Schiff heil!« Und Baseballschläger sind der steifste Schwanz. Zwischen »Santana«- und sonstiger Shanty-Romantik das Stakkato der Vergatterungen, des Standrechts, der allumfassenden Kasernierung. Lösch, der Agita-Torhüter, der keine Wattebällchen in sein Theater hereinlässt. Wieder gelingen ihm grandios greifende Choreografien. Dieser Regisseur verdirbt. Er schnitzt mit der Axt. Er ist ein hemmungsloser Hintertreiber aller unkämpferischen Opulenz.
Dieses Theater ist unangenehm deutlich, es schrotet, es kantet, es schreddert den zeitverlorenen Feinsinn, wo immer der keimt. Geradezu grässlich. Also unverzichtbar. Darin schön. Schön ist, aufgebracht, nervös, zerrissen zu werden. Mich stößt in der Realität die Gewalt der vermeintlich linken Autoanzünder ab; G 20 etwa: noch immer als Festival der Flammenwerfer gefeiert – ein ethisches Elend. Aber: Theater, das sich als links versteht, möge auch mal dreschen, was das Zeug hält. Nötiger denn je hat die Demokratie Kunst – als eine abtrünnig fantasierende Instanz.
Philipp Ruch, Gründer des »Zentrums für Politische Schönheit« (ZPS) schrieb: »Jede Tugend braucht einen Homer, der sie besingt. Ich möchte das Lied anstimmen auf: die Ächtung.« Ein demokratischer Diskurs definiere sich nicht dadurch, alle Meinungen zuzulassen. Man dürfe nicht alles sagen? Doch, aber man darf auch brandmarken. Es sei auch eine Tugend, zu verdammen. Jedenfalls im Spiel. Rechtsextremes Ge- dankengut, so Ruch, stehe »exterritorial zum demokratischen Festland«, es sei auszustoßen. Lösch vertreibt die Feinde der Demokratie vom Festland, er stößt sie aus, verdammt sie, macht sie lächerlich. Dreht sie durch seine Schiffsschraube. Er offenbart, wie »Die Zeit« ihn zitierte, »Fickfressen«. Das meint die Prediger wie die Gläubigen der AfD.
Schauspielerisch eine Parade der Folien, der lebenden Austauschbarkeiten – was den dynamisch, quirlig, grell agierenden Akteuren wenig Möglichkeiten bietet, aber eine Typisierung etabliert, die den Schauerstoff präzis parodierend in den Saal knallt. Es geht nicht um die berüh- rende Ausformung von Schicksalen, es geht um einen Zorn, der vielleicht schon in vielen Köpfen und Gemütern hockt, ängstlich, mutlos, noch allein. Rückt zusammen! – Entrücktheit mag woanders stattfinden. Alle Zwischentöne erstickt, aber genug Atem für jenes Stoßgebet, das schon Goethe kannte: »O glücklich, wer noch hoffen kann, aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen!« Die bittere Stunde der Wahrheit kommt hier nicht unter guten Sternen.
Die Inszenierung ist derb, sie verhindert nicht Differenzierung, sie kennt keine. Die Aufführung besitzt einen rasanten Rhythmus, sie setzt sich kraftsouverän einer Monotonie des Absehbaren aus, Lösch weiß aufzupulvern. Der Dampf, der hier abgelassen wird, hat seine Temperatur von dem, was draußen kocht. Unter der real wabernden Lethargie tuckert es, in den gesellschaftlichen Lähmungen flüstert eine Sehnsucht nach der Sprengladung. Statt Solidarität mit Verfolgten – die Tätlichkeiten der Vervolkten. Entladung einer Stressgemeinschaft ins Ungehemmte. Vibrierende Masse, fühlig schon wieder für explosive Bündnisse?
Das ist die Angst dieser Inszenierung. Das ist ihr Schrei. Das ist ihre rigide Eindeutigkeit. Ihr Rumoren wächst aus der Geschwindigkeit, mit der das Globale die demokratischen Bindungskräfte zu zerschlagen droht. Demokratie, ein Wortschwall im verkauften Raum? Zwischen den Szenen das andere Dresden: Wortmeldungen antifaschistischer, sozialer Initiativen, von Beifall begleitet. Musik und Mut zum Widerstand: »Bass statt Hass«, »Herz statt Hetze«, »Mischt euch ein!«
Hauptmanns Weber oder Büchners Woyzeck oder van Triers Dogville oder Weiss’ Marat oder Döblins Biberkopf oder Lessings Nathan oder Falladas Pinneberg oder Shakespeares Hamlet oder Frischs Öderland – Lösch reißt Gestalten aus der Plastizität und presst sie flach – zu kaba- rettistischen Zeitbildern, die aus dem Rahmen aller gutbürgerlichen Texttreue-Kultur stürzen. Die dämlichste Frage angesichts solcher ästhetischer Breitseiten: Geht's nicht dialektischer, ausgewogener, tiefgründiger? Wer fragt bei Brechts Ui nach Thomas Manns Kunst, zu ziselieren? Löschs Theater bedient die Sehnsucht, sich mit Rauschzuständen des Aufbegehrens zu versorgen, sich für Augenblicke herauszureißen aus der Disziplin, aus dem Diskursgeschwätz, aus der Pflicht, nur immer Stabilitätsnarr einer repräsentativen Demokratie zu sein, die an sich selber verödet.
Ein Flüchtlingsboot wird abgewiesen. Worte von Prediger Gauland als Einschärfung: Man dürfe sich von Kinderaugen nicht erpressen lassen. Ein Offizier beschwichtigt: »Und außerdem, zum Festland sind es für die ja nur zweihundert Meter – nach unten.« Als das Klopapier knapp wird, benutzt jemand ein Blatt Papier der AfD-Bibel: »das Blaue Buch ganz braun«. Einer der Spieler liest aus dem »Spiegel« vor: die Lästigkeit der Wirtschaftsflüchtlinge, in den Aufnahmelagern unziviles Verhalten und trotzdem für die Fremden Sozialvorteile, die bei der Bevölkerung Unmut erregen – Berichte vom Februar 1990 über DDR-Ankömmlinge in Westdeutschland.
Der letzte Dreck, so fühlten sich die Wutbürger zu Beginn. Dieser letzte Dreck wird erster Dreck, am Ende steht der Galions-Chor am Bug, bewaffnet mit Maschinenpistolen und Krummsäbeln des IS, das Alptraumschiff steuert auf Dresden zu, die »Hauptstadt der Bewegung«, hier loderten 1933 die literaturfressenden Flammen schon zwei Monate vor der Bücherverbrennung in Berlin. Vom Rang des Theaters herab übergibt ein »Demokrat« die Stadt: »Führen Sie uns auf den rechten Weg.« Sächsische Wahlprognose? Schon für 2019?
Die drei Schiffsetagen werden in wechselnder Ausleuchtung zum Minikosmos einer rasanten Verwandlung: mehr und mehr Militär, mehr und mehr Angst, die ersten Erschießungen.