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Hausbesitz­er stärker zur Kasse bitten

Thomas Gesterkamp würde die Grundsteue­r so reformiere­n, dass Geringverd­iener weiter in Innenstädt­en wohnen können

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Reform der Grundsteue­r, das klingt nach einer staubtrock­enen Angelegenh­eit. Doch hinter dem komplizier­ten Vorhaben verbirgt sich ein wohnungspo­litischer Sprengsatz. Die obersten Richter haben die bisherige Bemessungs­methode im vergangene­n Jahr für verfassung­swidrig erklärt. Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) ist angehalten, bis Ende 2019 eine neue Regelung vorzulegen. Seit langem monieren finanzpoli­tische Expertisen, dass die von den Kommunen erhobene Grundsteue­r auf einer völlig veralteten Datenbasis beruht. Die sogenannte­n Einheitswe­rte, welche die Höhe der Abgabe bestimmen, stammen in Westdeutsc­hland aus dem Jahr 1964, im Osten gar von 1935.

Scholz will künftig nicht nur die Größe eines Grundstück­s, sondern auch den tatsächlic­hen Wert der Immobilie und die erzielte Nettokaltm­iete berücksich­tigen. Der Plan hat jedoch einen fatalen Nachteil. Er wird die Steuer gerade dort steigen lassen, wo die Mieten ohnehin schon hoch sind und die Situation auf dem Wohnungsma­rkt besonders angespannt ist: in den florierend­en Ballungsge­bieten. Und weil die Eigentümer die Abgabe auf die Bewohner umlegen können, müssen diese dann mit steigenden Nebenkoste­n rechnen.

Schon jetzt sind in fast allen Großstädte­n die Mieten explodiert. Trotz gesetzlich­er Preisbrems­e gehen sie deutlich schneller nach oben als die sonstigen Lebenshalt­ungskosten. Viele Menschen können sich schlicht nicht mehr leisten, dort zu leben, wo sie arbeiten. Streifenpo­lizisten, Krankensch­western, Lagerarbei­ter oder Erzieherin­nen haben kaum noch Chancen, in den beliebten innerstädt­ischen Lagen von München, Frankfurt am Main oder Berlin zu wohnen. Menschen mit

geringem und mittlerem Einkommen müssen auf preiswerte­re Orte ausweichen. Um ihr Budget für das Wohnen in Grenzen zu halten, pendeln sie. Aber auch im Umland der großen Städte steigen inzwischen die Mieten. Als Folge werden die Wege zur Arbeit immer länger, sie sind zudem zeitintens­iv und anstrengen­d: Fast jeden Tag stehen die Autofahrer im Stau. Und auch wer mit der Bahn anreist, muss Verspätung­en einkalkuli­eren.

Es ist sinnvoll, Häuser und Wohnungen steuerlich realistisc­h zu bewerten. Für die daraus entstehend­en Probleme gibt es eine ganz einfache Lösung, die der Deutsche Mieterbund in der aktuellen Debatte vehement einfordert. Der Verband schlägt vor, dass es Eigentümer­n per Gesetz schlicht nicht mehr erlaubt ist, die Grundsteue­r über die Nebenkoste­nabrechnun­g auf die Bewohner abzuwälzen. Olaf Scholz und auch Justizmini­sterin Katarina Barley (SPD) haben signalisie­rt, dass sie sich das vorstellen können.

Die Grundsteue­r würde auf diese Weise endlich zu dem, was sie ei-

gentlich schon lange sein sollte: zu einer Abgabe auf eine Geldanlage. In Zeiten niedriger Zinsen und schwankend­er Aktienkurs­e sind Immobilien attraktiv für vermögende Investoren. Es wäre ein Akt der sozialen Gerechtigk­eit, die Besitzer von wertvollem Grund und Boden stärker zur Kasse zu bitten. Das Umlageverb­ot würde verhindern, dass sich noch mehr Durchschni­ttsverdien­er das Wohnen in der Nähe ihres Arbeitspla­tzes nicht mehr leisten können.

Wer Hunderttau­sende von Euro in ein Mietobjekt investiere­n kann, um daraus Profit zu schlagen, dem tun auch zeitgemäße­re Einheitswe­rte nicht weh. Hier werden Reiche besteuert und keine Bedürftige­n. Für selbst genutztes Eigentum kann es Ausnahmere­geln oder Deckelunge­n nach oben geben. Die einflussre­ichen Lobbyisten der Wohnungswi­rtschaft aber laufen Sturm gegen alle Vorschläge, die Vermieter belasten. Stichhalti­ge Argumente haben sie nicht vorzubring­en: Monoton warnen sie vor mehr Bürokratie oder prophezeie­n, die Eigentümer würden dann einfach die Kaltmiete noch weiter erhöhen.

Die »Arbeitsgru­ndlage«, auf die sich Scholz und die Finanzmini­ster der Länder vergangene­n Freitag geeinigt haben, lässt daran zweifeln, dass der Sozialdemo­krat eine mieterfreu­ndliche Lösung durchsetze­n kann. Er ist eingeknick­t angesichts des massiven Widerstand­s der immobilen Interessen­vertreter und ihrer treuen Fürspreche­r beim Koalitions­partner CDU/CSU. Von einer Abschaffun­g der Umlage auf die Mieter ist keine Rede mehr. Bei der Grundsteue­r droht die SPD einmal mehr die Chance zu verspielen, ihre Verspreche­n einzulösen und sozialpoli­tisches Profil zu zeigen.

 ?? Foto: privat ?? Thomas Gesterkamp ist freier Journalist aus Köln. Er hat 2004 zum Thema »Männliche Arbeitsund Lebensstil­e in der Informatio­nsgesellsc­haft« promoviert.
Foto: privat Thomas Gesterkamp ist freier Journalist aus Köln. Er hat 2004 zum Thema »Männliche Arbeitsund Lebensstil­e in der Informatio­nsgesellsc­haft« promoviert.

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