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Das letzte Opfer des Schießbefe­hls

Mit einer Andacht wurde an den 30. Todestag von Chris Gueffroy erinnert

- Von Jérôme Lombard

Er war das letzte Opfer der Mauerschüt­zen: Chris Gueffroy wurde am 5. Februar 1989 bei dem Versuch erschossen, über die Berliner Mauer in die Freiheit zu fliehen. Am Dienstag wurde seiner gedacht.

»Hinter jedem Opfer der Berliner Mauer steht der individuel­le Name und die Biografie eines von Gott geliebten Menschen«, sagte sagte Rainer Just, ehemaliger Öffentlich­keitsrefer­ent der Evangelisc­hen Versöhnung­sgemeinde in seiner Ansprache zum 30. Todestag von Chris Gueffroy. Mit einer Gedenkanda­cht in der Kapelle der Versöhnung in der Bernauer Straße hat die Stiftung Berliner Mauer am Dienstag an den 30. Todestag des von DDR-Grenzsolda­ten Ermordeten erinnert.

Gueffroy stehe stellvertr­etend für Hunderte Todesopfer des Regimes an der innerdeuts­chen Grenze, so Just. Dass es 28 Jahre gedauert habe, bis die Mauer in Berlin durch die Friedliche Revolution im November 1989 zu Fall gebracht werden konnte, sei für Deutschlan­d und Europa ein »großes Unheil« gewesen.

Nach dem Vaterunser entzündete Just eine Kerze im Gedenken an Gueffroy und die 140 weiteren Menschen, die an der Berliner Mauer zwischen 1961 und 1989 ums Leben gekommen waren.

Der Direktor der Stiftung Berliner Mauer, Axel Klausmeier, sagte am Rande der Veranstalt­ung, dass die Opfer auch 30 Jahre nach dem Fall der Mauer niemals in Vergessenh­eit geraten dürften. »Ihre Schicksale zeigen, wie groß der Leidensdru­ck und wie stark ihr Wunsch nach Freiheit gewesen sein muss«, so Klausmeier. Wenn man heute weltweit wieder über die militärisc­he Sicherung von Landesgren­zen nachdenke, solle man an das Schicksal der Berliner Maueropfer denken. »Mauern können Men- schen umbringen, sie halten sie aber nicht auf«, sagte der Stiftungsd­irektor.

Chris Gueffroy wurde in der Nacht des 5. Februar 1989 in Treptow von DDR-Grenzsolda­ten erschossen, als er gemeinsam mit seinem Freund Christian Gaudian versucht hatte, über die Mauer nach West-Berlin zu fliehen. Da der schwedisch­e Ministerpr­äsident zu dieser Zeit in Ost-Berlin zu Gast war, hatten die beiden Freunde angenommen, die Grenzsolda­ten würden nicht auf Flüchtende schießen. Für den damals 20-jährigen Gueffroy endete diese Fehleinsch­ätzung tödlich. Christian Gaudian überlebte den Fluchtvers­uch schwer verletzt und wurde später zu einer Haftstrafe verurteilt.

Im Gedenkbuch für die Opfer der Berliner Mauer, das in der Kapelle der Versöhnung ausliegt, schreiben die Historiker Udo Baron und Hans-Hermann Hertle, dass der Anlass für Gueffroys Fluchtvers­uch die bevorstehe­nde Einziehung in den Wehrdienst der Nationalen Volksarmee gewesen war. Gueffroy habe sich überdies in der SED-Diktatur unterdrück­t und reglementi­ert gefühlt. Zudem habe er die Korruption in der DDR-Gastro- nomie verabscheu­t, wie die Historiker schreiben. Der 1968 in Pasewalk geborene Gueffroy hatte eigentlich profession­eller Turner werden wollen. Nach dem die Behörden ihm den Zugang zum Abitur verweigert hatten, arbeitete er als Kellner in OstBerlin.

Gueffroy war das letzte Opfer des Schusswaff­engebrauch­s an der Mauer, der erst im April 1989 von Erich Honecker ausgesetzt wurde. Nach dem Fall der Mauer kämpfte seine Mutter, Karin Gueffroy, um die strafrecht­liche Aufarbeitu­ng und Ahndung der Todesschüs­se auf ihren Sohn.

Am 27. Mai 1991 erhob die Staatsanwa­ltschaft Anklage gegen vier unmittelba­r an der Ermordung beteiligte Grenzsolda­ten. Der Prozess war einer der ersten Mauerschüt­zenprozess­e vor dem Landgerich­t Berlin. Während drei der Angeklagte­n frei gesprochen wurden, wurde einer der Todesschüt­zen nach erfolgreic­h eingelegte­r Revision zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt.

Im Gedenken an die Todesopfer der Berliner Mauer sollen ab März wöchentlic­h Andachten in der Kapelle der Versöhnung stattfinde­n.

»Mauern können Menschen umbringen, sie halten sie aber nicht auf.« Axel Klausmeier, Direktor Stiftung Berliner Mauer

 ?? Foto: nd/Ulli Winkler ?? Gedenken an die Maueropfer: Der ehemalige Öffentlich­keitsrefer­ent der Evangelisc­hen Versöhnung­sgemeinde, Rainer Just, entzündet ein Licht.
Foto: nd/Ulli Winkler Gedenken an die Maueropfer: Der ehemalige Öffentlich­keitsrefer­ent der Evangelisc­hen Versöhnung­sgemeinde, Rainer Just, entzündet ein Licht.

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