»Kleines Europa«
Grenzüberschreitende Freundschaft wird im Ländereck um das Saarland gelebt
Das Saarland übernahm jetzt für zwei Jahre den Vorsitz einer Vereinigung im Ländereck zwischen Deutschland, Frankreich, Luxemburg und Belgien.
Das Ländereck zwischen Deutschland, Frankreich, Luxemburg und Belgien ist die Grenzregion in Europa mit dem größten Pendlerstrom. Die 1995 gegründete SaarLorLux-Kooperation wurde längst um Teile Belgiens und um Rheinland-Pfalz erweitert. Das Saarland hat für die kommenden zwei Jahre den Vorsitz in der Großregion. Die Macher in Saarbrücken haben viel vor.
»Ich bin ja schon froh, wenn niemand mehr SaarLorLux sagt. Das wird der Großregion nicht gerecht«, sagt Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans (CDU). »Grande Region« – die französische Version des Begriffs – findet der 40-Jährige passender. Seit Jahren suchen die politisch Verantwortlichen für die am westlichen Rand Deutschlands gelegene Region mitten in Europa einen neuen Namen. Denn längst sind zu dem 1996 gegründeten und vom Saarland, von Luxemburg und Lothringen initiierten Bündnis neue Partner hinzugekommen. Heute gehören der europäischen Großregion die Wallonie, die deutschsprachigen Gemeinden in Belgien sowie Rheinland-Pfalz an. Lothringen wurde 2016 durch eine Verwaltungsreform Teil der Region Grand Est. Dem französischen Lothringen und der Champagne-Ardenne wurde Beobachterstatus in den Gremien der Großregion eingeräumt.
In der »Grande Region« leben 11,6 Millionen Menschen. Mehr als 230 000 Pendler fahren jeden Tag zur Arbeit über die Grenze. Das sind so viele Grenzpendler wie in keiner anderen europäischen Region. Und da wird schon die riesige wirtschaftliche Diskrepanz zwischen den Partnern deutlich: Drei Viertel der Menschen arbeiten im gut situierten Luxemburg, fast die Hälfte sind Franzosen aus dem ärmeren Lothringen.
Die Kontakte zwischen den Menschen verschiedener Nationalitäten in der Region sind vielfältig. Nicht nur zum Arbeiten pendeln sie über die Grenzen. Vor allem an Wochenenden ist in Städten wie Saarbrücken, Saarlouis, Trier oder im Grenzort Perl genauso viel Deutsch wie Französisch zu hören. Franzosen und Luxemburger kommen gern zum Shoppen nach Deutschland, wo vieles billiger ist.
Deutsche kaufen in Lothringen vor allem Wein und Käse oder genießen Kultur im Centre Pompidou in Metz, im Museum Mudam in Luxemburg oder der dortigen Philharmonie. Zwischen Gemeinden und Vereinen wird grenzüberschreitende Freundschaft seit Jahren gelebt. Martin Niedermeyer, der sich im saarländischen Europaministerium um die Beziehungen kümmert, spricht von einem »Kleinen Europa«. Ein Problem bereitet den Verantwortlichen Kopfzerbrechen: Die durchlässigen Grenzen sind für viele selbstverständlich geworden. »Wir sind nach 25 Jahren leider nicht viel weiter dabei, uns sportlich und kulturell für die andere Seite zu interessieren«, resümiert Hans. »Wir müssen die alltäglichen Begegnungen aus der Ecke herausholen«, hat er sich für die nächsten zwei Jahre zum Ziel gesetzt. Das Saarland hat 2019 und 2020 turnusgemäß die Präsidentschaft bei den Gipfeln, im Wirtschafts- und Sozialausschuss und im Interregionalen Parlamentarierrat inne.
Um die Menschen mitzunehmen, sollen gemeinsame Projekte stärker herausgestellt, bei der Vorbereitung von Konferenzen Bürger einbezogen werden. Besonders wichtig ist den Strategen die junge Generation. Geplant ist ein Forum, bei dem Jugendliche und junge Erwachsene Vorstellungen entwickeln sollen, was sie bis 2030 von der Großregion erwarten.
Größte Errungenschaft der Kooperation der letzten Jahre ist zweifelslos der gemeinsame Arbeitsmarkt. Eine »Task Force Grenzgänger« – eine europaweit wohl einmalige Einrichtung – berät Grenzpendler. Die Rechtslage ist kompliziert. Was ist zu beachten, wenn ich in einem anderen Land arbeite?
Für saarländische Handwerker bedeutet das geltende Entsendegesetz einen riesengroßen bürokratischen Aufwand, wenn sie jenseits der Grenze arbeiten. Für jeden Arbeitstag müsse er für jeden Angestellten mehrere Formulare ausfüllen, klagt ein saarländischer Schreiner. Große Hoffnung setzen die Beteiligten in das vorgeschlagene Rechtsinstrument ECBM (european cross-border mechanism). Es soll grenzüberschreitende Projekte ermöglichen. Eine gemeinsam von Trägern verschiedener Mitgliedsländer betriebene Kindertagesstätte etwa wäre für Hans ein Traum. Oft stehen nationale Interessen dem gemeinsamen europäischen Gedanken im Wege. So schafften es die Grenzregionen nicht, in Berlin eine Ausnahmereglung für Grenzregionen bei der geplanten Pkw-Maut zu erreichen.
Treibende Kraft im Verbund der Großregion ist neben Luxemburg vor allem das Saarland. Das ist wiederum stark auf Frankreich ausgerichtet. Die Landesregierung hat sich etwa zum Ziel gesetzt, dass innerhalb einer Generation alle Saarländer die Sprache des Nachbarn sprechen.
Die Kooperation in der Großregion soll »polyzentrisch« sein, das heißt, dass auch die anderen Partner stärker einbezogen werden sollen. »Es ist nicht nur der Aachener oder der Élysée-Vertrag im Kleinen. Es ist mehr«, beschwört Hans. Die Großregion soll gerade in Zeiten des Brexits »Modellregion für die europäische Integration« sein und sieht sich als »Inkubator« für neue Ideen.
Problemkind bleibt die verkehrstechnische Vernetzung in der Region. So sollen die Menschen 2020 im Großherzogtum kostenlos Bus und Bahn fahren können. Im Autoland Saarland ist so etwas undenkbar: »Das ist im Saarland nicht finanzierbar. Punkt«, sagt Hans.