»Brutal eng« und »sehr bitter«
Viktoria Rebensburg verpasst zum Auftakt der alpinen Ski-WM nur ganz knapp eine Medaille
Selbst der Sieg wäre möglich gewesen – auf die Weltmeisterin im Super G, Mikael Shiffrin aus den USA, fehlten Viktoria Rebensburg nur sieben Hundertstel Sekunden, nur zwei waren es zu Bronze.
Die Sonnenbrille mit den verspiegelten Gläsern hätte Viktoria Rebensburg eigentlich in der Tasche lassen können. Denn der Himmel über dem Skistadion in Are war mittlerweile von Wolken bedeckt. Aber die deutsche Skirennläuferin versuchte ja auch gar nicht, sich vor grellem Licht zu schützen, sondern vor den Blicken in ihre Augen. Die schimmerten wohl doch noch bein bisschen feucht – wieder einmal aus Ärger. Um zwei Hundertstelsekunden verpasste sie am Dienstag zum Auftakt der alpinen SkiWeltmeisterschaften eine Medaille im Super-G und landete auf jenem Platz, der bei Großereignissen als der bitterste gilt: dem vierten, nur sieben Hundertstelsekunden von Gold entfernt. »Brutal eng, aber so ist unser Sport«, sagte sie später, als sie versuchte, ihre große Enttäuschung in Worte zu fassen.
Im Ziel hatte die 29 Jahre alte Kreutherin die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Sie rang um Fassung, während ein paar Meter weiter Mikaela Shiffrin auf dem beheizten Stuhl der Führenden ein letztes Mal tief durchgeatmet hatte. Denn es war das letzte Mal in diesem Wettkampf, dass die Amerikanerin um ihren Sieg bangen musste. Auch Sofia Goggia aus Italien als Zweite und vor allem die Schweizerin Corinne Suter als überraschende Dritte dürften den Lauf der Deutschen mit bangem Blick verfolgt haben. Rebensburg war in der zweiten Rennhälfte immer schneller geworden – doch am Ende fehlte eben nur dieser Hauch zu Edelmetall. Zum dritten Mal bei einem Großereignis landete sie auf diesem ersten Platz hinter den Siegerpodest. Im vergangenen Jahr bei den Olympischen Winterspielen im Riesenslalom war sie ebenso Vierte geworden wie bei den Weltmeisterschaften 2017 in St. Moritz im Super-G. Beide Male war sie aber weiter entfernt von einer Medaille als jetzt in Schweden. »Sehr bitter«, sagte sie mit etwas zittriger Stimme. Große Gedanken, ob ein Fehler im oberen Teil vielleicht die Medaille gekostet hatte, wollte sie sich nicht machen. Die fehlenden Hundertstel würde man »immer finden, aber bringt ja nichts.«
Zumal auch die Beste nicht ohne kleines Missgeschick die wegen starken Windes verkürzte Strecke bewältigt hatte. Die 23-jährige Shiffrin wusste, dass sie etwas Glück bei ihrem bereits vierten WM-Titel hatte. Rebensburg habe eine »schreckliche Sicht« gehabt, gab sie zu. »Wenn sie zu dem Zeitpunkt gefahren wäre wie ich, hätten wir vielleicht eine andere Führende.«
Kurz vor der Deutschen war Lindsey Vonn gestartet und vor der zweiten Zwischenzeit wieder einmal im Fangzaun gelandet. Es dauerte minutenlang, bis sich die Amerikanerin hochrappelte, dann noch einmal eine Weile, bis sie entschied, sich nicht vom bereitgestellten Wannenschlitten nach unten bringen zu lassen, sondern selbst auf Skiern ins Ziel zu fahren. Sie tat dies auch nicht abseits der Strecke, wie eigentlich in so einem Fall üblich, sondern schwang auf dem Rennkurs locker hinunter. Dass sich in der Zwischenzeit Wol- ken vor die Sonne geschoben hatten und die nach ihr startenden Läuferinnen deshalb eine schlechtere Sicht haben würden, war Vonn in diesem Fall egal. Sie wollte eben bei ihrer Abschiedstour in Are noch einmal den Applaus der Zuschauer genießen und die volle Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Ein paar Minuten ist ihr dies auch gelungen.
Viktoria Rebensburg wollte ihr Pech dann aber nicht auf die Unterbrechung und die dann schlechteren Bedingungen schieben. Die Sicht sei okay gewesen, sagte sie: »Ich habe mich nicht groß rausbringen lassen.« Es war ihr bestes Resultat seit dem dritten Platz zu Saisonbeginn in Lake Louise in dieser Disziplin, die ihr zuletzt ein paar Probleme bereitet hatte. Aber rechtzeitig zum Großereignis bekam sie die wieder in den Griff und strafte damit gleichzeitig Maria Höfl-Riesch Lügen. Ihre frühere Mannschaftskollegin hatte ihr in einem Interview vorgeworfen, manchmal nicht gierig genug zu sein und in den schnellen Disziplinen Abfahrt und Super-G ihr Potential oft nicht auszuschöpfen. Am Dienstag tat sie dies auf alle Fälle. Sie habe sich nichts vorzuwerfen, sagte Rebensburg: »Ich habe wirklich alles gegeben.« Nur war das in diesem Fall zu wenig.