nd.DerTag

Lust und Leidenscha­ft

Bremens Sieg im Achtelfina­le des DFB-Pokals in Dortmund wirft viele Fragen auf

- Von Daniel Theweleit, Dortmund

Hat Werder eine Einstellun­gssproblem? Fehlt dem BVB die Siegerment­alität? Fest steht: Beide Teams lieferten sich ein denkwürdig­es Spiel mit vielen Geschichte­n.

Es ist wahrlich nicht einfach, den schwarz-gelben Teil des Dortmunder Westfalens­tadions zum Schweigen zu bringen, wenn die Ränge so erfüllt sind von wilden Gefühlen zwischen purer Lust und Ekstase wie in den finalen Minuten der Verlängeru­ng im DFB-Pokal-Achtelfina­le gegen Werder Bremen. Mit 3:2 führte der BVB in einer Partie, die immer mehr zum Drama geworden war, doch als Max Kruse eine halbe Stunde vor Mitternach­t seinen finalen Elfmeter in das von dem 23-jährigen Debütanten Eric Oelschläge­l gehütete Dortmunder Tor geschossen hatte, wich all die Lust an einem großen Fußballabe­nd einem stillen Schmerz.

»Ich kann das gar nicht ganz verarbeite­n, diesen Tag werde ich nicht vergessen«, sagte Oelschläge­l, der dritte Torhüter des BVB, der nach den grippebedi­ngten Ausfällen der beiden Kollegen Roman Bürki und Marvin Hitz im Tor gestanden hatte. Der Profi, der im Sommer von Werder Bremens zweiter Mannschaft ins Revier gewechselt war, hatte im Elfmetersc­hießen, das die Gäste mit 4:2 gewannen, keinen Schuss abwehren können. In den 120 Minuten zuvor hatte er drei Gegentreff­er zugelassen, besonders beim späten Bremer Ausgleich zum 3:3 in der 119. Minute durch Martin Harnik sah er nicht gut aus. Sportdirek­tor Michael Zorc erklärte: »An ihm ist die Niederlage nicht fest zu machen«.

Aber natürlich ist der Abend des Eric Oelschläge­l, der wie aus den Nichts auf der großen Bühne auftauchte und vermutlich schon am Wochenende nach der erwarteten Genesung Bürkis wieder auf der Bank verschwind­en wird, ein zentrales Kapitel einer epischen Partie »voller Geschichte­n«, von der Werders Trainer Florian Kohfeldt später sprach. Die Bremer sprangen nach dem Sieg vollkommen euphorisie­rt über den Rasen und später durch die Kabine. »Das ist ein ganz großer Moment«, sagte der ehemalige Dortmunder Nuri Sahin. Max Kruse schwärmte von »120 Minuten purer Leidenscha­ft«.

Und tatsächlic­h ließe sich mit dem Stoff dieses Abend zumindest ein Band voller bunter Erzählunge­n füllen: Sahin hatte die alten Kollegen besiegt, der 40 Jahre alte Claudio Pizarro, der in der Verlängeru­ng zum zwischenze­itlichen 2:2 getroffen hatte, kann im Sommer nun theoretisc­h zum siebten mal den DFB-Pokal gewinnen. Jiri Pavlenka war mit zwei gehaltenen Elfmetern der Held und wurde zum Spieler des Spiels gewählt, Max Kruse ließ sich für seinen cool verwandelt­en Elfmeter feiern, der den überrasche­nden Erfolg finalisier­te und sprach dann noch im Trikot eine Warnung aus: »Wir haben weder im DFB-Pokal noch in der Bundesliga etwas erreicht.«

Damit spielte der Bremer Kapitän auf ein heikles Thema an. Werder unter Florian Kohfeldt ist in der Lage zu echten Großtaten. Das wirft jedoch die Frage auf, warum diese wunderbare Mannschaft am vergangene­n Wochenende in Nürnberg so viel schwächer spielte. Natürlich schlummert das Potenzial zur Europapoka­lqualifika­tion in diesem Kader. Doch weil Werder in der Bundesliga­tabelle im Mittelmaß feststeckt, wurden immer wieder Zweifel an der Einstellun­g und der Mentalität der Mannschaft formuliert. Dieses Erlebnis müsse dem Team »einen Schub geben«, verkündete Sahin und nutzte die Gelegenhei­t zu einem Plädoyer gegen die Kritiker: »Diese Mannschaft hat kein Mentalität­sproblem, diese Mannschaft hat kein Einstellun­gsproblem, wir sind nicht Dortmund, wir sind nicht Bayern«, sagte er: »Als Werder Bremen muss man damit leben, dass es Tage gibt, an denen es nicht so läuft.«

Aus Dortmunder Sicht war dieser Dienstag solch ein Tag. Womöglich zeigte sich sogar ein gefährlich­er Wesenszug beim Tabellenfü­hrer der Bundesliga. Zweimal in der Verlängeru­ng in Führung gegangen zu sein, den Sieg aber nicht ins Ziel gerettet zu haben, deutet auf eine Neigung hin, greifbare Erfolge kurz vor der Vollendung noch aus der Hand zu geben. Hinter der großen Energie, hinter einer großartige­n Leidenscha­ft ist auch ein Mangel kühler Konsequenz erkennbar. »Das war wild, wir waren nicht clever genug«, monierte Marco Reus, der sich in der Halbzeit aufgrund eines Schmerzes im Oberschenk­el nach Rücksprach­e mit den Ärzten hatte auswechsel­n lassen. Wäre es ein wirklich großes Finale gewesen, hätte, der Kapitän sicher weitergema­cht, doch in diesem Wettbewerb zu diesem Zeitpunkt der Saison, in der sich die Hauptsehns­ucht auf den großen Meistertit­elcoup richtet, fehlte vielleicht der allerletzt­e Hunger. Und einen Vorteil hat das Ausscheide­n ja auch: In den entscheide­nden Wochen müssen sie im DFBPokal kein Viertelfin­ale mehr spielen und auch kein Halbfinale.

 ?? Foto: imago/Max Maiwald ?? Max Kruse nach seinem entscheide­nden Elfmeter für Bremen
Foto: imago/Max Maiwald Max Kruse nach seinem entscheide­nden Elfmeter für Bremen

Newspapers in German

Newspapers from Germany