Lust und Leidenschaft
Bremens Sieg im Achtelfinale des DFB-Pokals in Dortmund wirft viele Fragen auf
Hat Werder eine Einstellungssproblem? Fehlt dem BVB die Siegermentalität? Fest steht: Beide Teams lieferten sich ein denkwürdiges Spiel mit vielen Geschichten.
Es ist wahrlich nicht einfach, den schwarz-gelben Teil des Dortmunder Westfalenstadions zum Schweigen zu bringen, wenn die Ränge so erfüllt sind von wilden Gefühlen zwischen purer Lust und Ekstase wie in den finalen Minuten der Verlängerung im DFB-Pokal-Achtelfinale gegen Werder Bremen. Mit 3:2 führte der BVB in einer Partie, die immer mehr zum Drama geworden war, doch als Max Kruse eine halbe Stunde vor Mitternacht seinen finalen Elfmeter in das von dem 23-jährigen Debütanten Eric Oelschlägel gehütete Dortmunder Tor geschossen hatte, wich all die Lust an einem großen Fußballabend einem stillen Schmerz.
»Ich kann das gar nicht ganz verarbeiten, diesen Tag werde ich nicht vergessen«, sagte Oelschlägel, der dritte Torhüter des BVB, der nach den grippebedingten Ausfällen der beiden Kollegen Roman Bürki und Marvin Hitz im Tor gestanden hatte. Der Profi, der im Sommer von Werder Bremens zweiter Mannschaft ins Revier gewechselt war, hatte im Elfmeterschießen, das die Gäste mit 4:2 gewannen, keinen Schuss abwehren können. In den 120 Minuten zuvor hatte er drei Gegentreffer zugelassen, besonders beim späten Bremer Ausgleich zum 3:3 in der 119. Minute durch Martin Harnik sah er nicht gut aus. Sportdirektor Michael Zorc erklärte: »An ihm ist die Niederlage nicht fest zu machen«.
Aber natürlich ist der Abend des Eric Oelschlägel, der wie aus den Nichts auf der großen Bühne auftauchte und vermutlich schon am Wochenende nach der erwarteten Genesung Bürkis wieder auf der Bank verschwinden wird, ein zentrales Kapitel einer epischen Partie »voller Geschichten«, von der Werders Trainer Florian Kohfeldt später sprach. Die Bremer sprangen nach dem Sieg vollkommen euphorisiert über den Rasen und später durch die Kabine. »Das ist ein ganz großer Moment«, sagte der ehemalige Dortmunder Nuri Sahin. Max Kruse schwärmte von »120 Minuten purer Leidenschaft«.
Und tatsächlich ließe sich mit dem Stoff dieses Abend zumindest ein Band voller bunter Erzählungen füllen: Sahin hatte die alten Kollegen besiegt, der 40 Jahre alte Claudio Pizarro, der in der Verlängerung zum zwischenzeitlichen 2:2 getroffen hatte, kann im Sommer nun theoretisch zum siebten mal den DFB-Pokal gewinnen. Jiri Pavlenka war mit zwei gehaltenen Elfmetern der Held und wurde zum Spieler des Spiels gewählt, Max Kruse ließ sich für seinen cool verwandelten Elfmeter feiern, der den überraschenden Erfolg finalisierte und sprach dann noch im Trikot eine Warnung aus: »Wir haben weder im DFB-Pokal noch in der Bundesliga etwas erreicht.«
Damit spielte der Bremer Kapitän auf ein heikles Thema an. Werder unter Florian Kohfeldt ist in der Lage zu echten Großtaten. Das wirft jedoch die Frage auf, warum diese wunderbare Mannschaft am vergangenen Wochenende in Nürnberg so viel schwächer spielte. Natürlich schlummert das Potenzial zur Europapokalqualifikation in diesem Kader. Doch weil Werder in der Bundesligatabelle im Mittelmaß feststeckt, wurden immer wieder Zweifel an der Einstellung und der Mentalität der Mannschaft formuliert. Dieses Erlebnis müsse dem Team »einen Schub geben«, verkündete Sahin und nutzte die Gelegenheit zu einem Plädoyer gegen die Kritiker: »Diese Mannschaft hat kein Mentalitätsproblem, diese Mannschaft hat kein Einstellungsproblem, wir sind nicht Dortmund, wir sind nicht Bayern«, sagte er: »Als Werder Bremen muss man damit leben, dass es Tage gibt, an denen es nicht so läuft.«
Aus Dortmunder Sicht war dieser Dienstag solch ein Tag. Womöglich zeigte sich sogar ein gefährlicher Wesenszug beim Tabellenführer der Bundesliga. Zweimal in der Verlängerung in Führung gegangen zu sein, den Sieg aber nicht ins Ziel gerettet zu haben, deutet auf eine Neigung hin, greifbare Erfolge kurz vor der Vollendung noch aus der Hand zu geben. Hinter der großen Energie, hinter einer großartigen Leidenschaft ist auch ein Mangel kühler Konsequenz erkennbar. »Das war wild, wir waren nicht clever genug«, monierte Marco Reus, der sich in der Halbzeit aufgrund eines Schmerzes im Oberschenkel nach Rücksprache mit den Ärzten hatte auswechseln lassen. Wäre es ein wirklich großes Finale gewesen, hätte, der Kapitän sicher weitergemacht, doch in diesem Wettbewerb zu diesem Zeitpunkt der Saison, in der sich die Hauptsehnsucht auf den großen Meistertitelcoup richtet, fehlte vielleicht der allerletzte Hunger. Und einen Vorteil hat das Ausscheiden ja auch: In den entscheidenden Wochen müssen sie im DFBPokal kein Viertelfinale mehr spielen und auch kein Halbfinale.