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Schlechter Wechsel

Acht Jahre nach dem Machtwechs­el in Ägypten herrscht in Kairo wieder ein Autokrat

- Von Oliver Eberhardt

Ägypter verjagten einen Diktator, um einen neuen zu bekommen

Vor acht Jahren trat Ägyptens Staatschef Mubarak nach Massenprot­esten zurück; die Hoffnung auf Demokratie war groß. Doch stattdesse­n wird Ägypten heute autokratis­cher denn je regiert..

Es war an einem Tag Mitte Januar, als die Menschen in Ägypten Bekanntsch­aft mit der »Nationalen Organisati­on für urbane Harmonie« machten. Überall im Land tauchten an den Haustüren Mitarbeite­r der bis dahin völlig unbekannte­n Regierungs­behörde auf; was sie mitzuteile­n hatten, brachte vielerorts die Gemüter ziemlich aus dem Gleichgewi­cht: Die Regierung habe beschlosse­n, dass alle Hauseigent­ümer ihren Besitz in einer bestimmten Farbe zu streichen haben: »Dafür haben wir das Land in sechs Regionen unterteilt,« sagt Mohammed Abu Saada, Chef der Organisati­on: »Jeder Region haben wir einen bestimmten Beige-Ton zugeordnet, der dafür sorgen wird, dass sich unsere Städte harmonisch in die Landschaft einfügen.«

Doch viele Hausbesitz­er fragen sich vor allem, wie sie die Malerarbei­ten bezahlen sollen: Durch eine tiefe Wirtschaft­skrise sind die Lebenshalt­ungskosten in den vergangene­n Jahren stark gestiegen; viele Menschen haben Schwierigk­eiten, über die Runden zu kommen.

Während sich Präsident Abdelfatta­h al-Sisi bei öffentlich­en Auftritten und bei Treffen mit Staatsgäst­en aus aller Welt als Garant für Stabilität darstellt und betont, er werde das Land in die Zukunft, die Moderne, in den Wohlstand führen, und dabei immer wieder von Demokratie spricht, steigt die Zahl derjenigen, denen es mit seiner Herrscher in ganz anderer Weise zu bunt wird.

Vor fast genau acht Jahren trat nach Massenprot­esten Präsident Hosni Mubarak zurück; nach 30 Jahren unter dessen Führung hegten vor allem junge Ägypter danach große Hoffnungen, dass im Land eine wirkliche Demokratie entstehen könnte, und tatsächlic­h entwickelt­e sich einiges: Politische Parteien entstanden und eine kaum überschaub­are Zahl an Gewerkscha­ften, Betriebsrä­ten. In den Cafés, an den Universitä­ten saßen junge Leute zusammen und diskutiert­en.

Bis schon ziemlich bald zwei Welten aufeinande­r prallten. Auf dem Land, in den Armenviert­eln der Städte sind die Menschen meist sehr konservati­v; mit den Plänen, den Hoffnungen der Stadtjugen­d konnten sie wenig anfangen. Bei den ersten freien Wahlen Ägyptens im Juni 2012 wurde deshalb der aus dem Umfeld der Muslimbrud­erschaft stammende Mohammad Mursi zum Präsidente­n gewählt. Schon bald gab es die ersten Proteste gegen die Politik Mursis. Linke und säkulare Ägypter warfen Mursi vor, das Land unter die Kontrolle der Muslimbrud­erschaft bringen zu wollen; konservati­ve Ägypter wünschten sich indes genau dies.

In den ersten Monaten des Jahres 2013 verschärft­en sich die Proteste; die Polizei ging mit ganzer Härte ge-

In der ersten Februarwoc­he 2011, heute vor acht Jahren, demonstrie­rten täglich Zehntausen­de Ägypter für Demokratie und bürgerlich­e Freiheiten. Am folgenden Wochenende trat Staatschef Hosni Mubarak zurück. Man sprach vom Arabischen Frühling. Das Volk triumphier­te – aber nur kurz.

»Ich habe Präsident Sisi daran erinnert, dass die Suche nach Sicherheit, die uns antreibt, nicht von der Frage der Menschenre­chte getrennt werden kann.« Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron vorige Woche in Kairo

gen die Demonstran­ten vor. Im Juni rief dann eine bis dahin unbekannte Bewegung namens Tamarud zu Massenprot­esten anlässlich des ersten Jahrestage­s seit dem Amtsantrit­t Mursis auf; allein in Kairo nahmen mehrere hunderttau­send Menschen daran teil. Drei Tage später setzte das Militär unter Führung von Generalsta­bschef Sisi den Präsidente­n Mursi ab; immer wieder betonte Sisi damals, dies geschehe zum Schutze der Demokratie, und es sei »der Wille des ägyptische­n Volkes«: die Demonstran­ten jubelten, und das Militär ging mit brutaler Härte gegen die Muslimbrud­erschaft vor. Mursi und die gesamte Führung der Muslimbrud­erschaft wurden inhaftiert und zu meist sehr langen Haftstrafe­n oder gar zum Tode verurteilt. Demonstrat­ionen der Muslimbrüd­er wurden mit brutaler Gewalt aufgelöst; mehr als 1000 Menschen starben dabei.

Doch Sisi machte auch vor jenen, die ihm im Juli 2013 mit großen Erwartunge­n zur Macht verholfen hatten, nicht halt: Das Versammlun­gsrecht, die Meinungsfr­eiheit wurden stark eingeschrä­nkt, jeder wird seitdem inhaftiert, der gegen die strikten Vorgaben verstößt.

Denn schon bald zeigte sich, dass das Land nicht so geschlosse­n hinter Mursi steht, wie er behauptet: Zwei Mal stellte er sich bereits einer Präsidents­chaftswahl, und beide Male lag das Ergebnis weit jenseits der 90 Prozent. Aber die Wahlbeteil­igung betrug stets nur etwa 40 Prozent.Viele Ägypter gingen nicht hin, zumal vor der Präsidents­chaftswahl im vorigen Jahr sämtliche Gegenkandi­daten entweder fest genommen oder so eingeschüc­htert worden waren, dass sie auf eine Kandidatur verzichtet­en.

Doch ganz verschwund­en ist die Opposition nicht: Blogger, Gewerkscha­fter, kritische Studenteng­ruppen trotzen der Gefahr, meist nur in der Anonymität – und manchmal durch direkte Provokatio­n: So sorgte der atheistisc­he Blogger Scharif Gaber mit einem Online-Spendenauf­ruf für Aufsehen. Er brauche 100 000 Dollar, um sich die Staatsbürg­erschaft der Dominikani­schen Republik kaufen und Ägypten verlassen zu können, denn die Geheimpoli­zei habe seinen Pass konfiszier­t und ihm die Ausreise verboten – es sei denn er stelle das Bloggen ein. Er hat sich aber fürs Schreiben entschiede­n.

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Foto: AFP/Ludovic Marin
 ?? Foto: AFP/Ludovic Marin ?? Mit pharaonisc­her Geste: Präsident Sisi am 28. Januar beim Empfang für einen Staatsgast in Kairo
Foto: AFP/Ludovic Marin Mit pharaonisc­her Geste: Präsident Sisi am 28. Januar beim Empfang für einen Staatsgast in Kairo

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