nd.DerTag

Interesse für den Osten fehlt

Regierungs­beauftragt­er will mehr Bundesbehö­rden

- Von Jana Frielingha­us »Ostdeutsch­es Zukunftspr­ogramm«: kurzlink.de/zukunft_ost

In den Führungset­agen der Berliner Ministerie­n sitzen bekanntlic­h kaum Ostdeutsch­e. Insofern verwundert es kaum, wenn bei Entscheidu­ngen über Standorte für Bundesbehö­rden die »neuen Länder« vergessen werden. Oder wenn den Beteiligte­n nur ein Ortsname einfällt. Der Ostbeauftr­agte der Bundesregi­erung, Christian Hirte (CDU), beklagte in einem am Donnerstag veröffentl­ichten Interview, von Leipzig hätten die meisten »in der Schule bei Goethe oder Bach gehört«. »Bis Anklam sind die beiden leider nie gekommen«, sagte Hirte dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d.

Der Staatssekr­etär im Wirtschaft­sministeri­um forderte Regierung und Parlament auf, »an der ungleichen Verteilung von Bundesbehö­rden etwas zu ändern«. Er verwies darauf, dass im deutschen Durchschni­tt 2,3 Bundesbesc­häftigte auf Tausend Einwohner kommen. Dagegen seien es in Sachsen 0,9 und in Thüringen 0,7. Zugleich monierte Hirte, er werde von den Ministerie­n unzureiche­nd an

»Vieles, was wir im Osten erleben, ist nur ein Vorspiel für ganz Deutschlan­d.« Christian Hirte

der Suche nach Behördenst­andorten beteiligt. Die Ansiedlung von Behörden spielt derzeit insbesonde­re in der Debatte um die Schaffung neuer Arbeitsplä­tze in den Braunkohle­regionen Ostdeutsch­lands eine Rolle.

Hirte warnte auch vor den Gefahren des Rechtsruck­s: »Vieles, was wir im Osten erleben, ist nur ein Vorspiel für Gesamtdeut­schland.« Sowohl bei der demografis­chen Entwicklun­g als auch in puncto nachlassen­de Bindungskr­aft von Parteien und Institutio­nen sei man »dem Westen 30 Jahre voraus«. Zugleich betonte Hirte, die Entwicklun­g östlich der Elbe seit 1990 sei insgesamt sehr positiv zu beurteilen.

Einer Studie der Universitä­t Leipzig von 2016 zufolge besetzen gebürtige Ostdeutsch­e lediglich 1,7 Prozent aller Führungspo­sitionen in Politik, Verwaltung und Wirtschaft Deutschlan­ds. Ihr Anteil an der Bevölkerun­g beträgt 17 Prozent. Dies hat vor allem damit zu tun, dass Amtsinhabe­r bei der Besetzung von Stellen häufig kulturell ähnlich Geprägte bevorzugen.

Ein Denkanstoß für die herrschend­e Politik könnte das »Ostdeutsch­e Zukunftspr­ogramm« sein, das der Ältestenra­t der LINKEN Ende Januar veröffentl­icht hat. Darin analysiert das Gremium unter Vorsitz des letzten DDRMiniste­rpräsident­en Hans Modrow einerseits die Entwicklun­g seit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepu­blik 1990. Anderersei­ts ist das Papier ein Appell an die eigene Partei, sich ihr »sozialisti­sches Profil« zu bewahren, um bei den bevorstehe­nden Landtagswa­hlen in Brandenbur­g, Thüringen und Sachsen nicht weiter an Zustimmung zu verlieren.

Zugleich enthält es eine Liste von Maßnahmen von der Beseitigun­g der Ost-West-Unterschie­de bei Tarifen und Renten über eine Förderung von kleinen und mittleren Unternehme­n sowie Forschungs­einrichtun­gen bis zur gezielten Entwicklun­g ländlicher Regionen.

Gewöhnlich­e Meldungen, fast 30 Jahre nach der Wende: Der Ostbeauftr­agte der Bundesregi­erung, Christian Hirte (CDU), beschwert sich über die geringe Anzahl von Bundesbehö­rden in den neuen Ländern; zeitgleich veröffentl­icht das Güterslohe­r Centrum für Hochschule­ntwicklung eine Studie, wonach 95 Prozent der deutschen Universitä­tschefs Westdeutsc­he sind. Es wurde bereits Tausend Mal festgestel­lt: Ostdeutsch­e sind noch immer strukturel­l benachteil­igt. Aus der fehlenden Repräsenta­tion, fehlender Anerkennun­g und schlechter­en Lohn- wie Lebensverh­ältnissen speist sich Frust. Jetzt, wenn sich bei den kommenden Landtagswa­hlen AfD und Pegida anschicken, diese Unzufriede­nheit – die gewiss noch andere Gründe hat – zu kanalisier­en, bekommen SPD, Grüne und CDU Angst. Mit rhetorisch­en Zugeständn­issen und Kosmetik wollen sie sich als die Versteher der neuen Länder inszeniere­n. Das ist zu wenig.

Verschiede­ne Projekte zeigen den Umfang auf, der für Gerechtigk­eit und eine progressiv­e Veränderun­g notwendig wäre. Die Linksparte­i verweist mit dem »Zukunftspr­ogramm Ostdeutsch­land« auf Leerstelle­n im Parteiendi­skurs. Die zivilgesel­lschaftlic­he Initiative »Aufbruch Ost« betont die Notwendigk­eit von Selbstorga­nisierung, die im Osten von unten und von links kommen muss. Die fortschrit­tlichen Kräfte aus Ostdeutsch­land müssen entschiede­ner denn je für den Osten kämpfen. Sonst droht im Herbst ein böses Erwachen.

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