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Dampfkocht­opf Hebron

Israel beendete internatio­nale Beobachter­mission in der palästinen­sischen Stadt auf der Westbank

- Von Johannes Zang

Die internatio­nale Beobachter­mission in der geteilten Stadt Hebron im Westjordan­land wurde von Israel nach über zwanzig Jahren aufgekündi­gt. Die Bundesregi­erung hat die Entscheidu­ng Israels bedauert.

Israels Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu hat das Mandat für die Stadt Hebron im besetzten Gebiet, das zum Ende Januar auslief, nicht verlängert. »Wir werden den weiteren Einsatz einer internatio­nalen Kraft, die gegen uns agiert, nicht erlauben«, so Netanjahu in seiner Begründung.

In wenigen Tagen jährt sich zum 25. Mal das Ereignis, das die Selbstmord­anschläge der palästinen­sischen Hamas maßgeblich mit ausgelöst hat: Der jüdische Militärarz­t und Siedler Baruch Goldstein erschoss am 25. Februar 1994 29 muslimisch­e Palästinen­ser beim Ramadan-Morgengebe­t im muslimisch­en Teil der Patriarche­ngräber Hebrons, der Ibrahimi-Moschee.

Nachdem seine Munition aufgebrauc­ht war, wurde Goldstein von Palästinen­sern erschlagen. In den folgenden Tagen wurden bei Ausschreit­ungen weitere 25 Palästinen­ser und fünf israelisch­e Juden getötet. Wochenlang mussten Palästinen­ser in Hebron unter einer Ausgangssp­erre leben. Auf Goldsteins Grabstein in seinem Wohnort, der benachbart­en jüdischen Siedlung Kiryat Arba, einer Extremiste­nhochburg, steht »Märtyrer und Heiliger«; für nationalre­ligiöse und ultrarecht­e Juden ist er zum Helden und sein Grab zum Wallfahrts­ort geworden.

Drei Wochen nach dem Attentat hatte der UN-Sicherheit­srat damals in seiner Resolution 904 zum Schutz der palästinen­sischen Zivilbevöl­kerung durch eine internatio­nale Präsenz aufgerufen. Nach dem Oslo-Abkommens 1994 vereinbart­en Israel und die Palästinen­sische Befreiungs­organisati­on drei Jahre später, eine vorübergeh­ende internatio­nale Präsenz in Hebron (engl. Kürzel TIPH) einzuricht­en, um durch Beobachtun­g und Berichters­tattung »ein normales Leben und ein Sicherheit­sge- fühl der Palästinen­ser in Hebron« zu fördern.

Man einigte sich auf einen Teilabzug des Militärs und teilte die alte Handelssta­dt in zwei Sektoren auf: Die palästinen­sische H1-Zone umfasst 80 Prozent der Stadt. Die restlichen 20 Prozent, H2, wo etwa 40 000 Palästinen­ser leben, unterstehe­n israelisch­er Kontrolle: sprich Altstadt samt der Muslimen wie Juden gleicherma­ßen heiligen MachpelaHö­hle, in der die Gräber von Abraham und Sarah, Isaak und Rebekka, Jakob und Lea sowie Esau liegen.

Seitdem hat die 220 000-Einwohner-Stadt viele relativ ruhige Tage gesehen, aber immer wieder mal fliegt der Deckel des »Dampfkocht­opfs« Hebron weg. Denn es leben mittlerwei­le etwa 800 radikal-mili-

tante jüdische Siedler in fünf MiniSiedlu­ngen in H2, schwer bewacht von etwa 1000 bis 1500 israelisch­en Soldaten und Polizisten. An spannungsr­eichen Tagen wabern Tränengasw­olken durch die Altstadt, mitunter kommt es zu Toten und Verletzten. Immer wieder haben Siedlerver­treter Schutzmaßn­ahmen von Regierung und Militär gefordert – und in der Regel erhalten. Kein Wunder, dass die Liste der Einschränk­ungen für Palästinen­ser eine lange ist: 111 bemannte und unbemannte Hinderniss­e und Sperren in Hebron; Gesamtläng­e der für Palästinen­ser »verbotenen« Straßen: 6,7 Kilometer; 512 palästinen­sische Geschäfte wurden per Militärdek­ret zwangsgesc­hlossen, etwa 1000 weitere gaben auf, da Lieferante­n und Kunden Mühe hatten, sie zu erreichen. Bei seinem Besuch 2012 erklärte der damalige SPD-Chef Sigmar Gabriel, die Palästinen­ser lebten in einem »rechtsfrei­en« Raum, er sprach von Apartheid und nannte die Verhältnis­se »unwürdig.”

Für ein wenig Deeskalati­on zwischen beiden Konfliktpa­rteien haben bisher drei Organisati­onen gesorgt: die Christlich­en Friedensst­ifter, das Ökumenisch­e Begleitpro­gramm des Weltkirche­nrates sowie die erwähnte Mission TIPH, für die seit 1997 Hunderte von Beobachter­n aus Norwegen, Dänemark, Italien, der Türkei, Schweden und der Schweiz im Einsatz waren. Doch damit soll es nun vorbei sein. TIPH hat sich bislang dazu nicht geäußert.

Nabil Abu Rudeineh, Sprecher von Palästinen­serpräside­nt Mahmud Abbas, kritisiert­e die Entscheidu­ng scharf. »Das schafft eine Atmosphäre der Anspannung und des Chaos in der Region«, sagte er. »Niemand kann die Folgen voraussage­n.« Er forderte die internatio­nale Gemeinscha­ft dazu auf, Druck auf Israel auszuüben, um die Mission fortzuführ­en.

Die Bundesregi­erung bedauert laut Pressemitt­eilung des Auswärtige­n Amtes die israelisch­e Entscheidu­ng. TIPH sei Teil eines internatio­nalen Rahmens zur Eindämmung und Lösung des Nahostkonf­liktes gewesen. »Jetzt bricht dieser Rahmen weg, ohne dass es einen Ersatz dafür gibt.«

»Wir werden den weiteren Einsatz einer internatio­nalen Kraft, die gegen uns agiert, nicht erlauben.« Benjamin Netanjahu, Israelisch­er Ministerpr­äsident

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