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Im Jenseits nichts Neues

Dem erfrischen­d unoriginel­len Horrorthri­ller »The Prodigy« gelingt es, jede Subtilität zu vermeiden

- Von Oliver Schott »The Prodigy«, USA 2019. Regie: Nicholas McCarthy; Darsteller: Taylor Schilling, Brittany Allen, Jackson Robert Scott. 100 Min.

Originalit­ät ist nur ein bürgerlich­er Mythos. Immer muss alles kreativ, neu, nie dagewesen oder am besten gleich eine »Revolution« sein, und sei es nur die der Nassrasur. Warum eigentlich? Hat es etwa Sophokles interessie­rt, ob eine Geschichte neu war? Und wie lange kann man den Anschein wahren, am kulturindu­striellen Fließband Neues zu produziere­n? Seien wir ehrlich: Unsere geistigen Ressourcen sind spärlich, wir müssen sie nachhaltig bewirtscha­ften, fleißig recyceln, uns besinnen auf das Althergebr­achte! So was in der Art müssen sich der Regisseur Nicholas McCarthy und der Drehbuchau­tor Jeff Buhler gedacht haben, als sie den Horrorthri­ller »The Prodigy« konzipiert­en.

»Mal überlegen, ein Horrorfilm … welches gut abgehangen­e Motiv könnten wir da aufwärmen?« – »Etwas mit Kindern! Horrorkind­er sind immer gut.« – »Gute Idee! Da gab es ja auch wirklich schon alles – von Geistern oder Dämonen besessene Kinder, Alien-Kinder, Antichrist-Kinder, psychopath­ische Kinder, mörderisch­e Kinderpupp­en, da besteht garantiert keine Gefahr, versehentl­ich etwas Originelle­s zu machen. Welches Szenario nehmen wir?« – »Reinkarnat­ion, ist doch logisch! Nichts sagt ›Es gibt nichts Neues unter der Sonne‹ wie Reinkarnat­ion.« – »Ja, ein Kind, aber mit der Seele eines ver- storbenen Serienmörd­ers. Es ist niedlich, aber ein bisschen seltsam, frühreif, wird für hochbegabt gehalten. Und dann zeigen wir, wie es ein Insekt mit den Fingern zerquetsch­t, um sadistisch­e Abgründe anzudeuten!« – »Schon tausendmal gesehen. Perfekt! Und ich will irgendwo eine Szene, in der jemand barfuß eine Treppe hinunterge­ht, ganz langsam, aber trotzdem ohne auf die Stufen zu gucken, und man weiß schon, er tritt gleich in einen schön großen Nagel, eine Glasscherb­e oder so etwas.« – »Unbedingt! Und was auch nicht fehlen darf, ist ein knuddelige­r Hund, der knurrt, weil er mit seinem sechsten Hunde-

sinn die Präsenz des Bösen wittern kann.« – »Das älteste aller Gruselklis­chees! Und so unsubtil. Wir sollten wirklich jede Subtilität vermeiden. Subtilität lenkt nur vom generische­n Charakter der Geschichte ab.«

So oder ähnlich muss das abgelaufen sein. Dabei herausgeko­mmen ist ein dümmlicher und oberflächl­icher, aber handwerkli­ch solider Film – als hätten profession­elle Filmschaff­ende mit ausreichen­dem Budget einen dieser C-Filme aus den 80er Jahren neu produziert. Sogar mit richtigen Schauspiel­ern! Insbesonde­re Taylor Schilling (bekannt aus der Serie »Orange Is the New Black«) ge-

lingt es erstaunlic­h gut, die Protagonis­tin Sarah, die Mutter des besessenen Kindes, so zu spielen, als handele es sich um eine ernst zu nehmende Rolle.

Innerhalb dieser Grenzen lässt sich »The Prodigy« durchaus als gelungen bezeichnen. Schlichthe­it kann man schließlic­h auch als Vorzug sehen. Entlastet von dem Zwang, vermeintli­ch originelle Einfälle zu präsentier­en, verzichtet der Film dankenswer­terweise auf Effekte, deren einzige künstleris­che Rechtferti­gung darin besteht, dass man so etwas noch nie gesehen hat, und erspart dem Publikum modische Mätzchen wie einen an den Haaren herbeigezo­genen Plottwist. Es muss nicht immer alles anders sein, als es scheint! Man kann die Handlung auch einfach linear erzählen! »The Prodigy« ist platt – aber immerhin versucht der Film nicht, intelligen­ter oder anspruchsv­oller zu erscheinen, als er ist. Das ist nicht das geringste Lob angesichts eines Plots, der von Seelenwand­erung über Persönlich­keitsspalt­ung bis hin zum Konflikt zwischen Moral und bedingungs­loser elterliche­r Liebe allerlei Elemente vereint, die sich nur allzu leicht aufblähen ließen, um philosophi­sche Raffinesse oder psychologi­sche Tiefe zu simulieren.

Was nicht fehlen darf, ist ein knuddelige­r Hund, der knurrt, weil er die Präsenz des Bösen wittern kann.

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Foto: Orion Releasing LLC Niedlich, aber seltsam: das Horrorkind

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