Im Jenseits nichts Neues
Dem erfrischend unoriginellen Horrorthriller »The Prodigy« gelingt es, jede Subtilität zu vermeiden
Originalität ist nur ein bürgerlicher Mythos. Immer muss alles kreativ, neu, nie dagewesen oder am besten gleich eine »Revolution« sein, und sei es nur die der Nassrasur. Warum eigentlich? Hat es etwa Sophokles interessiert, ob eine Geschichte neu war? Und wie lange kann man den Anschein wahren, am kulturindustriellen Fließband Neues zu produzieren? Seien wir ehrlich: Unsere geistigen Ressourcen sind spärlich, wir müssen sie nachhaltig bewirtschaften, fleißig recyceln, uns besinnen auf das Althergebrachte! So was in der Art müssen sich der Regisseur Nicholas McCarthy und der Drehbuchautor Jeff Buhler gedacht haben, als sie den Horrorthriller »The Prodigy« konzipierten.
»Mal überlegen, ein Horrorfilm … welches gut abgehangene Motiv könnten wir da aufwärmen?« – »Etwas mit Kindern! Horrorkinder sind immer gut.« – »Gute Idee! Da gab es ja auch wirklich schon alles – von Geistern oder Dämonen besessene Kinder, Alien-Kinder, Antichrist-Kinder, psychopathische Kinder, mörderische Kinderpuppen, da besteht garantiert keine Gefahr, versehentlich etwas Originelles zu machen. Welches Szenario nehmen wir?« – »Reinkarnation, ist doch logisch! Nichts sagt ›Es gibt nichts Neues unter der Sonne‹ wie Reinkarnation.« – »Ja, ein Kind, aber mit der Seele eines ver- storbenen Serienmörders. Es ist niedlich, aber ein bisschen seltsam, frühreif, wird für hochbegabt gehalten. Und dann zeigen wir, wie es ein Insekt mit den Fingern zerquetscht, um sadistische Abgründe anzudeuten!« – »Schon tausendmal gesehen. Perfekt! Und ich will irgendwo eine Szene, in der jemand barfuß eine Treppe hinuntergeht, ganz langsam, aber trotzdem ohne auf die Stufen zu gucken, und man weiß schon, er tritt gleich in einen schön großen Nagel, eine Glasscherbe oder so etwas.« – »Unbedingt! Und was auch nicht fehlen darf, ist ein knuddeliger Hund, der knurrt, weil er mit seinem sechsten Hunde-
sinn die Präsenz des Bösen wittern kann.« – »Das älteste aller Gruselklischees! Und so unsubtil. Wir sollten wirklich jede Subtilität vermeiden. Subtilität lenkt nur vom generischen Charakter der Geschichte ab.«
So oder ähnlich muss das abgelaufen sein. Dabei herausgekommen ist ein dümmlicher und oberflächlicher, aber handwerklich solider Film – als hätten professionelle Filmschaffende mit ausreichendem Budget einen dieser C-Filme aus den 80er Jahren neu produziert. Sogar mit richtigen Schauspielern! Insbesondere Taylor Schilling (bekannt aus der Serie »Orange Is the New Black«) ge-
lingt es erstaunlich gut, die Protagonistin Sarah, die Mutter des besessenen Kindes, so zu spielen, als handele es sich um eine ernst zu nehmende Rolle.
Innerhalb dieser Grenzen lässt sich »The Prodigy« durchaus als gelungen bezeichnen. Schlichtheit kann man schließlich auch als Vorzug sehen. Entlastet von dem Zwang, vermeintlich originelle Einfälle zu präsentieren, verzichtet der Film dankenswerterweise auf Effekte, deren einzige künstlerische Rechtfertigung darin besteht, dass man so etwas noch nie gesehen hat, und erspart dem Publikum modische Mätzchen wie einen an den Haaren herbeigezogenen Plottwist. Es muss nicht immer alles anders sein, als es scheint! Man kann die Handlung auch einfach linear erzählen! »The Prodigy« ist platt – aber immerhin versucht der Film nicht, intelligenter oder anspruchsvoller zu erscheinen, als er ist. Das ist nicht das geringste Lob angesichts eines Plots, der von Seelenwanderung über Persönlichkeitsspaltung bis hin zum Konflikt zwischen Moral und bedingungsloser elterlicher Liebe allerlei Elemente vereint, die sich nur allzu leicht aufblähen ließen, um philosophische Raffinesse oder psychologische Tiefe zu simulieren.
Was nicht fehlen darf, ist ein knuddeliger Hund, der knurrt, weil er die Präsenz des Bösen wittern kann.