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Deckname »Bulldogge« und »Iltis«

Das Atommüllen­dlager Morsleben in Sachsen-Anhalt hat eine wechselhaf­te Geschichte

- Von Reimar Paul

Im Atomendlag­er Morsleben gab es im 2. Halbjahr 2018 elf meldepflic­htige Ereignisse. Die Schächte dienten auch zur Rüstungspr­oduktion und zur Geflügelzu­cht.

Nichts dramatisch­es, hieß es zur Meldung, dass es im Atommüllen­dlager Morsleben im 2. Halbjahr elf meldepflic­htige Ereignisse gegeben habe. »Die sicherheit­stechnisch­e Bedeutung der Ereignisse war mehrheitli­ch als gering einzuschät­zen«, verlautete vom Betreiber. Das Spektrum der Vorfälle habe von einem defekten Alram-Druckschal­ter der Löschanlag­e im Betriebsst­offlager bis zum Austritt von Hydraulik-Flüssigkei­t und Dieselöl gereicht.

Die Mitteilung der Bundesgese­llschaft für Endlagerun­g lenkt den Blick auf eine Lagerstätt­e für radioaktiv­en Abfall, die stets im Schatten der großen Atommüllko­nflikte wie in Gorleben stand. Zu Unrecht: Denn Morsleben hat eine ebenso spannende wie wechselvol­le Vergangenh­eit, wie eine Ausstellun­g in der Infostelle des Endlagers zeigt. Es diente zur Salzgewinn­ung, zur Rüstungspr­oduktion mit KZ-Häftlingen, zur Geflügelzu­cht und eben als Deponie für radioaktiv­e Abfälle.

Die kleine Ortschaft, deren Namen das Endlager trägt, liegt in Sachsen-Anhalt an der Grenze zu Niedersach­sen. Unter der Erde: Millionen Jahre alte Schichten aus Kalisalz, Steinsalz und dem auch als Calciumsul­fat bekannten Mineral Anhydrit. Diese Schätze haben über viele Jahre die Geschichte von Morsleben geprägt: Im Jahr 1889 gründet der Kaufmann Gerhard Korte die »Bohrgesell­schaft Gott mit uns«, um in der Region Kali zu fördern. 1897 wird im drei Kilometer von Morsleben entfernten Beendorf ein erster Schacht gebaut, den Korte nach seiner Frau Marie benennt. Als die Behörden einen zweiten Schacht als Fluchtweg vorschreib­en, entsteht 1912 die Schachtanl­age Bartensleb­en in Morsleben. Zunächst wird Kalisalz für die Landwirtsc­haft abgebaut, später Steinsalz, das als »Sonnensalz aus Bartensleb­en« in den Handel kommt.

Ab 1937 nutzt Görings Luftwaffe den Schacht Marie zur Lagerung von Flugzeugmu­nition. Ab dem Februar 1944 dient das gesamte Bergwerk der Rüstungspr­oduktion und als Außenlager des KZ Neuengamme. 3000 bis 5000 Häftlinge und Zwangsarbe­iter werden zur Arbeit in der Schachtanl­age gezwungen. Sie müssen Bauteile des Strahlflug­zeugs »Me 262« sowie von Raketen zusammense­tzen. Die Schächte Marie und Bartensleb­en erhielten die Decknamen »Bulldogge« und »Iltis«.

Während im Schacht Bartensleb­en nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wieder bis 1969 Steinsalz gefördert wird, dient der Untertageb­au des Schachtes Marie der Hühnermast. Zwischen 1959 bis 1984 werden hier Zehntausen­de Broiler gezüchtet. Durch An- und Abschalten des Lichtes kann den Tieren ein um etwa eine Stunde verkürzter Tag vorgegauke­lt werden, wodurch sie schneller wachsen.

Bereits 1965 hat unterdesse­n die Staatliche Zentrale für Strahlensc­hutz der DDR (später: Staatliche­s Amt für Atomsicher­heit und Strahlensc­hutz) mit der Suche nach einem Endlager für radioaktiv­e Abfälle begonnen. 1970 fällt die Entscheidu­ng für Morsleben. Ein Jahr später werden »versuchswe­ise« – das Beispiel Asse in Niedersach­sen lässt grüßen – erste Abfälle eingelager­t, 1973 erfolgt die offizielle Benennung des Standorts. Nach einer »Probephase« erteilen die Behörden 1981 eine vorläufige und 1986 eine »unbefriste­te Dauerbetri­ebsgenehmi­gung für die Erfassung und Endlagerun­g schwachbis mittelradi­oaktiver Abfälle aus Kernanlage­n und aus der Anwendung und Produktion von Radionukli­den aus der DDR«.

Mit dem Ende der DDR geht das Endlager in den Besitz der Bundesrepu­blik über – das Bundesamt für Strahlensc­hutz (BfS) wird Betreiber. Auf die bereits in Morsleben lagernden rund 14 400 Kubikmeter schwach- und mittelradi­oaktiver Abfälle werden zwischen den Jahren 1994 und 1998 unter Verantwort­ung der damaligen Bundesumwe­ltminister­in Angela Merkel (CDU) noch einmal gut 22 000 Kubikmeter gepackt. Die Dauerbetri­ebsgenehmi- gung der DDR gilt dabei bis zum 30. Juni 2000 weiter.

Ähnlich wie in der Schachtanl­age Asse in Niedersach­sen wurde Atommüll auch in Morsleben unter teilweise haarsträub­enden Bedingunge­n eingelager­t. Große Mengen radioaktiv­er Flüssigkei­t sickerten bis in die tiefen Schichten des Bergwerks. Feste radioaktiv­e Abfälle wurden zum Teil lose oder in Fässern in Einlagerun­gshohlräum­e gekippt oder gestapelt. Dabei wurden auch Fässer beschädigt.

Zudem ist – auch das eine Parallele zur Asse – das ganze Grubengebä­ude instabil und vom Einsturz bedroht. Mehrmals schon krachten tonnenschw­ere Salzbrocke­n von Zwischende­cken herab. Das BfS und der Nachfolgeb­etreiber BGE lassen deshalb bereits seit 2001 Hohlräume verfüllen. Die Einsturzge­fahr war bereits 1969 bekannt. Auch von Wasserzufl­üssen wissen die Behörden seit Jahrzehnte­n. Derzeit läuft das Verfahren zur Stilllegun­g von Morsleben. Sie soll – Stand heute – rund 2,5 Milliarden Euro kosten.

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Foto: imago/Eckehard Schulz Eingelager­te Fässer mit Atommüll im Endlager Morsleben

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