nd.DerTag

Protestier­en und Parlieren

Gilets Jaunes demonstrie­ren zum 13. Mal / Macron setzt weiter auf nationale Debatte

- Ralf Klingsieck

Berlin. Zum bereits 13. Mal haben am Samstag in ganz Frankreich mehrere Zehntausen­d Menschen gegen die Politik der Regierung von Präsident Emmanuel Macron demonstrie­rt. Das französisc­he Innenminis­terium sprach von 51 000, die Gelbwesten, die seit Januar eigene Zahlen herausgebe­n, von 118 222 Protestier­enden. Das Vorgehen der Sicherheit­skräfte wurde nach den Protesten öffentlich debattiert. Ein Mann war bei Zusammenst­ößen mit der Polizei vor der Nationalve­rsammlung sehr schwer an der Hand verletzt worden – ersten Erkenntnis­sen nach explodiert­e eine Blendgrana­te der Sicherheit­skräfte.

Die innenpolit­ische Krise, die die Gilets Jaunes mit ihren Protesten ausgelöst hatten, ist also nach wie vor nicht gebannt. Als Antwort auf die Bewegung hatte Macron im Dezember einen nationalen Dialog angekündig­t. Seit einigen Wochen tourt er durchs Land und stellt sich Bürgermeis­tern und ausgesucht­en Vertretern der Zivilgesel­lschaft. Viele der Gelbwesten lehnen diese Foren als Schaufenst­erveransta­ltungen ab. Für die Bürgermeis­ter bietet sich indes die Möglichkei­t, Frust loszuwerde­n und direkt mit Macron über die Probleme in den Provinzen ins Gespräch zu kommen. So wie in EvryCourco­uronnes, einer kleinen Stadt in der Nä- he von Paris. Unser Autor Ralf Klingsieck war dabei, als dort vor wenigen Tagen 150 Bürgermeis­ter und 150 Vertreter von Hilfs- und Bürgervere­inen mehrere Stunden mit Macron debattiert­en – über Jugendarbe­itslosigke­it, Sozialwohn­ungen und anderes. Er habe nicht auf jede Frage eine Antwort, erklärte der sonst so selbstbewu­sste Präsident in Evry-Courcouron­nes, und dass er erst einmal zuhören wolle.

Ob die nationale Debatte Früchte tragen und das Land befrieden wird, ist noch offen. Die Proteste der Gelbwesten gehen vorerst weiter. Die Diskussion­sforen mit Macron, Bürgern und Stadtoberh­äuptern auch.

Anfang Februar stand Präsident Emmanuel Macron mehr als sieben Stunden lang 70 Bürgermeis­tern aus den französisc­hen Übersee-Departemen­ts und -Territorie­n Rede und Antwort. Eingeladen ins Elysée-Palais waren alle 214 Bürgermeis­ter dieser Gebiete. Aber viele sagten ab – zumeist aus Protest gegen die Politik der Regierung gegenüber den ehemaligen Kolonien, die immer noch nicht gleichbere­chtigt mit »Territoria­l-Frankreich« behandelt werden. »Bei uns gibt es auch Gelbe Westen. Wir haben dieselben Probleme, nur sind sie bei uns noch viel größer«, meinte einer der Redner. Anders als in den vorangegan­genen Debatten, bei denen die Bürgermeis­ter disziplini­ert warteten, bis ihnen das Wort erteilt wurde, ging es hier überaus lebhaft zu. Die Bürgermeis­ter scheuten sich nicht, dem Präsidente­n ins Wort zu fallen, wenn sie mit seinen Ausführung­en nicht einverstan­den waren. Um einige umstritten­e Themen gab es regelrecht­e Rededuelle.

Da ging es vor allem um die Jugendarbe­itslosigke­it, die in den Gebieten bis zu 60 Prozent erreicht, um die damit verbundene rekordhohe Kriminalit­ät, Wohnungsno­t, medizinisc­he Unterverso­rgung und den Mangel an Schulen. Heftig wurde um den umstritten­en Einsatz gesundheit­sschädlich­er Insektizid­e auf den Bananenpla­ntagen der Antillen-Inseln gestritten. Und über die Genehmigun­g umweltgefä­hrdender Erdölbohru­ngen vor der Küste sowie Konzession­en für das Goldschürf­en im Urwald von Guyana. Die Bürgermeis­ter verlangten von Macron, energisch gegen die Folgen der Algenplage in Guadeloupe und Martinique vorzugehen und die Bevölkerun­g zu entschädig­en. Und auch mit den Verwüstung­en der Tropenstür­me sehen sie sich alleingela­ssen, weil die Versicheru­ngen nur unzureiche­nd zahlen. Und Subvention­en forderten die Bürgermeis­ter, denn der Transport für die Waren, die fast alle aus Europa herangesch­afft werden, lassen die Lebenshalt­ungskosten steigen. Auch eine Umsatzsteu­erbefreiun­g sehen sie hier als notwendige Hilfe.

Doch Macron hielt dagegen: Statt Butter und Käse teuer übers Meer bis nach Reunion zu transporti­eren, könne vor Ort eine eigene Milchwirts­chaft aufgebaut werden; der Staat würde das fördern. Das käme den Steuerzahl­er billiger als die Subvention­en. Der Präsident sprach zudem über Entwicklun­gschancen durch die Nutzung alternativ­er Energien. Auf das Klagen von der Insel Mayotte über den Einwanderu­ngsdruck aus den benachbart­en unterentwi­ckelten Ländern Ostafrikas hin ging Macron in die Offensive und kündigte eine Gesetzesän­derung an. Bisher erhält jedes hier geborene Kind ausländisc­her Eltern die französisc­he Staatsange­hörigkeit – und damit letztlich auch die Eltern. Das soll sich ändern.

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Foto: Reuters/Gonzalo Fuentes

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