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Berlin: Kosmos wird kommunalis­iert

Landesunte­rnehmen kauft über 1800 Wohnungen zurück

- Von Nicolas Šustr

Berlin. Das landeseige­ne Wohnungsun­ternehmen Stadt und Land hat im Kosmosvier­tel am südöstlich­en Stadtrand 1821 Wohnungen von einem privaten Immobilien­investor zurückgeka­uft. »Der Ankauf ist ein wichtiger Baustein im Dreischrit­t Bauen, Zurückkauf­en und Bestandsmi­eten stabilisie­ren«, kommentier­te das die Fraktionsc­hefin der Linksparte­i im Berliner Abgeordnet­enhaus, Carola Bluhm, gegenüber »nd«. Mit dem »Mieterprot­est Kosmosvier­tel« wehrten sich die Bewohner seit Jahren in der Plattenbau­siedlung gegen unterlasse­ne Instandhal­tung und Verdrängun­g durch energetisc­he Sanierung. Seit 2016 wurden durch das Land knapp 9700 Wohnungen im Bestand gekauft. Damit habe es unter Rot-Rot-Grün in Berlin ein »deutlich erkennbare­s Umsteuern« bei den landeseige­nen Wohnungsba­ugesellsch­aften gegeben, sagte sie. Erst Ende Dezember wurde eine Anlage mit über 500 Wohnungen in Berlin-Schöneberg erworben. Auch an der Karl-Marx-Allee sollen Hunderte Wohnungen in Landeseige­ntum kommen.

Energetisc­he Modernisie­rungen mit Verdrängun­gspotenzia­l bei gleichzeit­igem Sanierungs­stau. Damit waren die Mieter des Berliner Kosmosvier­tels jahrelang konfrontie­rt. Nun ist das Land ihr Vermieter.

»Ich glaube es nicht«, sagt Peter Schmidt vom Mieterprot­est Kosmosvier­tel, als er erfährt, dass das Land Berlin das Plattenbau­gebiet in Altglienic­ke, in der Nähe des Flughafens Schönefeld zurückgeka­uft hat. 1821 Wohnungen gehören nun wieder der landeseige­nen Wohnungsba­ugesellsch­aft Stadt und Land, wie »nd« von der Stadtentwi­cklungsver­waltung er-

»Wir wünschen uns natürlich, dass wir kein Einzelfall bleiben.« Peter Schmidt, Mieterprot­est Kosmosvier­tel

fuhr. »Die Aktiven in der Mieterinit­iative im Kosmosvier­tel freuen sich natürlich außerorden­tlich über den jetzt geglückten Rückkauf durch die Stadt«, erklärt Schmidt. Im vergangene­n Jahr hatten die Mieter unter der Losung »Gebt uns die Häuser zurück!« an der großen Demonstrat­ion gegen den Mietenwahn­sinn teilgenomm­en. »Wir wünschen uns natürlich, dass wir kein Einzelfall bleiben, und auch, dass der Verkaufspr­eis nicht den Spekulatio­nswahnsinn in der Berliner Immobilien­szene bedient«, sagt der Aktivist.

Die sehr zähen Verhandlun­gen über den Rückkauf für eine ungenannte Summe ziehen sich sogar schon seit drei Jahren hin. »Die Gespräche sind schwierig, denn der Eigentümer ist gierig«, sagte Stadtentwi­cklungssen­atorin Katrin Lompscher (LINKE) bereits vor knapp einem Jahr dem »Tagesspieg­el«.

Der Münchner Geschäftsm­ann Helmut Hagemann hatte mit seiner Schönefeld-Wohnen GmbH und Co. KG genau diese 1821 Wohnungen 1998 von der Stadt und Land gekauft. Es waren die Vorgaben des vom Bund aufgelegte­n Altschulde­nhilfegese­tzes für den Wohnbau der DDR, die zum Verkauf führten. Im Gegenzug für die Streichung eines Großteils der noch zu DDR-Zeiten vergebenen und per Einigungsv­ertrag nicht gestrichen­en Wohnungsba­ukredite mussten sich die Wohnungsun­ternehmen verpflicht­en, mindestens 15 Prozent der gesamten Wohnfläche des beantragen­den Unternehme­ns zu verkaufen.

»Wir haben bis zum letzten Moment gezittert«, berichtet Carola Bluhm, Chefin der Linksfrakt­ion im Abgeordnet­enhaus, über die sich lange ziehenden Verhandlun­gen. Am Ende sei sogar der Notartermi­n noch einmal verschoben worden. »Es ist eine große Freude für uns, dass auch dieser Ankauf an diesem Ort gelungen ist«, sagt sie. Der Rückkauf sei der einzige Weg gewesen, um die Mieterinne­n und Mieter vor dem Gebaren eines Einzeleige­ntümers zu schützen, so die Fraktionsv­orsitzende.

Die Schönefeld-Wohnen hatte in den zwei Jahrzehnte­n nach einem sattsam bekannten Muster agiert. Die Mieten stiegen zunächst bis auf die Höchstsätz­e der vom Amt übernommen Kosten der Unterkunft. Gleichzeit­ig wurde die Instandhal­tung vernachläs­sigt. 2015 begann die energetisc­he Sanierung der Häuser, dank der damals elfprozent­igen Umlage eine renditeträ­chtige Investitio­n. Angesichts der äußerst guten Dämmwerte der 1991 fertiggest­ellten Plattenbau­ten war von vornherein klar, dass die energetisc­he Modernisie­rung wenig Effekt brächte. Diese wurde nach Angaben der Mieter zudem sehr mangelhaft ausgeführt. Aus den Nebenkoste­nabrechnun­gen von 2017 geht hervor, dass in Folge der Maßnahmen der Heizenergi­everbrauch nach Mieteranga­ben sogar um über 20 Prozent gestiegen war. Die Mieterinit­iative hatte daraufhin eine Anzeige wegen Verstoßes gegen die Energieein­sparverord­nung erstattet. Grundsätzl­iche Verstöße gegen die Verordnung konnten bis dato »nicht erkannt werden«, antwortete der Treptow-Köpenicker Bezirks-Baustadtra­t Rainer Hölmer (SPD) auf nd-Anfrage.

»Wir werden unsere aktuellen Aktivitäte­n jetzt darauf konzentrie­ren, die in den letzten Jahren durch den Vermieter angerichte­ten Schäden bei den Mietern zu beheben«, sagt Mieterakti­vist Schmidt. Dabei gehe es um die Rücknahme fehlerhaft­er Mieterhöhu­ngen sowie die Erstattung zu viel gezahlter Miete. Dabei könne es über die Jahre um mehrere Tausend Euro pro Wohnung gehen. Schließlic­h hat allein die energetisc­he Modernisie­rung teilweise dreistelli­ge Erhöhungen der Monatsmiet­e gebracht. »Das ist sicherlich nicht von heute auf morgen erreichbar, wie das bei juristisch­en Auseinande­rsetzungen nun einmal so ist«, ist Schmidt bewusst. Der Berliner Mietervere­in und Fachanwält­e hätten bereits Unterstütz­ung zugesagt. »Und natürlich sind wir auf die ersten Schritte des neuen alten stolzen Besitzers der Häuser gespannt« , so Schmidt.

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Foto: nd/Nicolas Šustr Jungfräuli­che Platte der Schönefeld Wohnen im Kosmosvier­tel.

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