Guaidó wünscht US-Militärintervention
Sicherheitsrats berät zu Venezuela / Kritisches Gutachten zur Anerkennungspolitik der Bundesregierung
Im UN-Sicherheitsrat kursieren zwei gegensätzliche VenezuelaResolutionen. Eine Chance auf Annahme haben beide nicht.
Der Machtkampf in Venezuela hat am Wochenende den UN-Sicherheitsrat erreicht. Die USA wollen dem Vernehmen nach einen Resolutionsentwurf vorlegen, der die venezolanische Regierung nachdrücklich auffordert, dem Verlangen Washingtons nachzukommen: Rücktritt von Präsident Nicolás Maduro, »volle Unterstützung« für das venezolanische Parlament als »einziger demokratisch gewählter Institution« und schnelle Neuwahlen, freie Fahrt für Hilfslieferungen aus dem Ausland und einiges mehr. Dafür soll sich UN-Generalsekretär António Guterres einsetzen.
Der russische Vertreter im Sicherheitsrat moniert, dass dies exakt die Forderungen des selbst ernannten Präsidenten Juan Guaidó seien und kündigte einen eigenen Resolutionsentwurf zu Venezuela an. Darin werden laut AFP »Versuche der Einmischung« in die inneren Angelegenheiten Venezuelas kritisiert. Der Text äußere zudem »Sorge über die Drohungen, Gewalt gegen die territoriale Integrität und politische Unabhängigkeit Venezuelas einzusetzen«. Obwohl noch keiner der Texte offiziell eingereicht wurde, dürften sie nach jetziger Beschaffenheit am Veto der jeweils anderen Seite scheitern.
Guaidó hat sich unterdessen verklausuliert zu einer möglichen militärischen Intervention durch die USA geäußert. Zwar sei ein Eingreifen der USA in Venezuela ein »sehr brisantes Thema«. Er schließe aber »eine von ihm autorisierte US-Militärintervention« nicht aus. Da dies zu beschließen nicht in seiner Macht liegt, heißt das im Klartext, er verlangt sie. US-Präsident Donald Trump hat- te in der Vergangenheit mehrfach erklärt, er halte sich »alle Optionen« diesbezüglich offen.
Etwa 40 Staaten haben Parlamentspräsident Guaidó bisher als Übergangspräsidenten anerkannt, auch Deutschland. War dieser Schritt schon bisher beson-
ders von der politischen Linken als ein die Situation verschärfendes Element verurteilt worden, so kommen jetzt Bedenken auch von Staatsrechtlern.
Nach Einschätzung von Wissenschaftlern des Bundestags könne die Anerkennung von Guaidó als Übergangspräsident auch völkerrechtlich betrachtet eine »Einmischung in innere Angele- genheiten des Landes« sein. Das Gutachten im Auftrag der Linksfraktion im Bundestag betont, dass in Bezug auf die völkerrechtliche Zulässigkeit einer solchen Anerkennung ausschlaggebend sei, ob damit einer Entwicklung vorgegriffen oder sie so überhaupt erst herbeigeführt werden solle. Ob »eine neue Staatsgewalt sich endgültig durchgesetzt hat«, liege freilich im politischen Ermessen.
Für den LINKE-Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko bestätigt das Gutachten damit, dass die Anerkennung Guaidós völkerrechtswidrig ist, denn es sei offensichtlich, dass er derzeit über keine reale Macht in Venezuela verfüge. Dies aber wäre Voraussetzung für die Anerkennung gewesen. »Die Bundesregierung hätte vermitteln können.« »Stattdessen«, so Hunko, »habe sie sich durch ihre einseitige Parteinahme für diese Funktion diskreditiert.«
»Die Bundesregierung hätte vermitteln können.« Andrej Hunko, LINKE
Russland agiert in Lateinamerika wirtschaftlich pragmatisch. Ein Machtwechsel in Caracas wäre vor allem geopolitisch eine Niederlage für Moskau.
Die Verbindungen zwischen Russland und Lateinamerika erhalten normalerweise wenig Aufmerksamkeit. Doch nun, im Kontext der politischen Krise in Venezuela, sehen sich Medien in verschiedenen Ländern dazu veranlasst, über diese Verbindungen zu schreiben. Auch in deutschen Medien war beispielsweise vom »Kalten Krieg in Venezuela« (»FAZ«) und einer »öligen Freundschaft zwischen Moskau und Caracas« (»Süddeutsche Zeitung«) zu lesen.
Seit dem Ende des Kalten Krieges und den besonderen Beziehungen zwischen der Sowjetunion und Kuba scheint der Kreml durch seine Unterstützung für Nicolás Maduro erstmals wieder eine herausgehobene Rolle in Lateinamerika zuzukommen. Nicht erst seitdem sich Juan Guaidó, mit Unterstützung der Vereinigten Staaten, selbst zum venezolanischen Präsidenten erklärt hat, setzt sich die russische Regierung (wie auch China und die Türkei) für Maduro ein. Russische Waffen, Kredite und Unterstützung im Ressourcenabbau sowie diplomatische Rückendeckung auf internationalem Parkett stellen schon länger eine wichtige Hilfe für die stark kriselnde República Bolivariana dar.
Dessen ist sich auch Guiadó bewusst, weshalb er nun an Russland appelliert, Maduro fallen zu lassen. Er deutete gegenüber der Regierung in Moskau an, unter seiner Führung bessere wirtschaftliche Möglichkeiten zu haben. Ein durchaus kluger Schachzug, denn Russlands Agenda in Lateinamerika ist neben der geopolitischen Unterstützung für US-kritische Regierungen auch durch ein hohes Maß an wirtschaftlichem Pragmatismus geprägt.
Wenngleich der russisch-lateinamerikanische Handel wegen der zu ähnlichen wirtschaftlichen Ausrichtungen auf beiden Seiten – vor allem Primärgüterexporte – keine großen Ausmaße annimmt, so lässt sich doch ein stetiger Zuwachs des Austausches verzeichnen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion liefen die russisch-lateinamerikanischen Beziehungen sehr langsam an. Einen Schub gab es nach der Wahl einer Reihe von linken Re- gierungen in Lateinamerika zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Als Hauptpartner kristallisierte sich Venezuela unter dem 1998 gewählten Hugo Chávez heraus. Trotz weniger innenpolitischer Überschneidungen fanden die Regierungen beider Länder durch die ablehnende Haltung gegenüber der US-Politik zusammen.
Bei Chávez’ insgesamt neun Besuchen in Russland wurde von beiden Seiten stets das Streben nach einer multipolaren Weltordnung in den Mittelpunkt gerückt. Ein deutliches außenpolitisches Zeichen setzte Russland durch ein gemeinsames Marinemanöver mit Venezuela im November 2008. Dieses Manöver in der Karibik kann als Antwort auf die Verstärkte US-amerikanische Präsenz im Schwarzen Meer infolge des Georgienkrieges verstanden werden. Venezuela ist seit 2004 zudem steter Abnehmer von russischen Waffen. Darüber hinaus beteiligt sich das russische Energieunternehmen Rosneft gerade in letzter Zeit verstärkt an der Ölausbeutung in dem südamerikanischen Land und gewährt dem staatlichen venezolanischem Energiekonzern PDVSA Kredite.
Geschäfte macht Russland in Lateinamerika jedoch nicht nur mit geopolitisch ähnlich gesinnten Regierungen wie denen in Venezuela, Nicaragua, Kuba oder Bolivien. Handel betreibt Moskau in Lateinamerika schon länger auch mit den USAfreundlich eingestellten Regierungen wie der peruanischen oder der mexikanischen (vor der Amtsüber- nahme Andrés Manuel López Obradors).
Auch der lateinamerikanische Rechtsruck der vergangenen Jahre scheint sich nicht negativ auf die Geschäfte auszuwirken. Der russischbrasilianische Handel konnte beispielsweise unter dem Rechtskonservativen Michel Temer, der von 2016 bis 2018 das Land regierte, im Vergleich zur Zeit der Mitte-LinksRegierungen (2003 bis 2016) sogar gesteigert werden. Wenngleich ein Machtwechsel in Caracas eine geopolitische Niederlage für den Kreml bedeuten würde, so wäre ein pragmatischer Umgang mit einer neuen Regierung – aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus – trotzdem wahrscheinlich.
Ein deutliches außenpolitisches Zeichen setzte Russland durch ein gemeinsames Marinemanöver mit Venezuela im November 2008.
Dr. Mirko Petersen arbeitet an der Universität Bielefeld. 2018 erschien sein Buch »Geopolitische Imaginarien. Diskursive Konstruktionen der Sowjetunion im peronistischen Argentinien« im Transcript Verlag.