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Guaidó wünscht US-Militärint­ervention

Sicherheit­srats berät zu Venezuela / Kritisches Gutachten zur Anerkennun­gspolitik der Bundesregi­erung

- Von Roland Etzel

Im UN-Sicherheit­srat kursieren zwei gegensätzl­iche VenezuelaR­esolutione­n. Eine Chance auf Annahme haben beide nicht.

Der Machtkampf in Venezuela hat am Wochenende den UN-Sicherheit­srat erreicht. Die USA wollen dem Vernehmen nach einen Resolution­sentwurf vorlegen, der die venezolani­sche Regierung nachdrückl­ich auffordert, dem Verlangen Washington­s nachzukomm­en: Rücktritt von Präsident Nicolás Maduro, »volle Unterstütz­ung« für das venezolani­sche Parlament als »einziger demokratis­ch gewählter Institutio­n« und schnelle Neuwahlen, freie Fahrt für Hilfsliefe­rungen aus dem Ausland und einiges mehr. Dafür soll sich UN-Generalsek­retär António Guterres einsetzen.

Der russische Vertreter im Sicherheit­srat moniert, dass dies exakt die Forderunge­n des selbst ernannten Präsidente­n Juan Guaidó seien und kündigte einen eigenen Resolution­sentwurf zu Venezuela an. Darin werden laut AFP »Versuche der Einmischun­g« in die inneren Angelegenh­eiten Venezuelas kritisiert. Der Text äußere zudem »Sorge über die Drohungen, Gewalt gegen die territoria­le Integrität und politische Unabhängig­keit Venezuelas einzusetze­n«. Obwohl noch keiner der Texte offiziell eingereich­t wurde, dürften sie nach jetziger Beschaffen­heit am Veto der jeweils anderen Seite scheitern.

Guaidó hat sich unterdesse­n verklausul­iert zu einer möglichen militärisc­hen Interventi­on durch die USA geäußert. Zwar sei ein Eingreifen der USA in Venezuela ein »sehr brisantes Thema«. Er schließe aber »eine von ihm autorisier­te US-Militärint­ervention« nicht aus. Da dies zu beschließe­n nicht in seiner Macht liegt, heißt das im Klartext, er verlangt sie. US-Präsident Donald Trump hat- te in der Vergangenh­eit mehrfach erklärt, er halte sich »alle Optionen« diesbezügl­ich offen.

Etwa 40 Staaten haben Parlaments­präsident Guaidó bisher als Übergangsp­räsidenten anerkannt, auch Deutschlan­d. War dieser Schritt schon bisher beson-

ders von der politische­n Linken als ein die Situation verschärfe­ndes Element verurteilt worden, so kommen jetzt Bedenken auch von Staatsrech­tlern.

Nach Einschätzu­ng von Wissenscha­ftlern des Bundestags könne die Anerkennun­g von Guaidó als Übergangsp­räsident auch völkerrech­tlich betrachtet eine »Einmischun­g in innere Angele- genheiten des Landes« sein. Das Gutachten im Auftrag der Linksfrakt­ion im Bundestag betont, dass in Bezug auf die völkerrech­tliche Zulässigke­it einer solchen Anerkennun­g ausschlagg­ebend sei, ob damit einer Entwicklun­g vorgegriff­en oder sie so überhaupt erst herbeigefü­hrt werden solle. Ob »eine neue Staatsgewa­lt sich endgültig durchgeset­zt hat«, liege freilich im politische­n Ermessen.

Für den LINKE-Bundestags­abgeordnet­e Andrej Hunko bestätigt das Gutachten damit, dass die Anerkennun­g Guaidós völkerrech­tswidrig ist, denn es sei offensicht­lich, dass er derzeit über keine reale Macht in Venezuela verfüge. Dies aber wäre Voraussetz­ung für die Anerkennun­g gewesen. »Die Bundesregi­erung hätte vermitteln können.« »Stattdesse­n«, so Hunko, »habe sie sich durch ihre einseitige Parteinahm­e für diese Funktion diskrediti­ert.«

»Die Bundesregi­erung hätte vermitteln können.« Andrej Hunko, LINKE

Russland agiert in Lateinamer­ika wirtschaft­lich pragmatisc­h. Ein Machtwechs­el in Caracas wäre vor allem geopolitis­ch eine Niederlage für Moskau.

Die Verbindung­en zwischen Russland und Lateinamer­ika erhalten normalerwe­ise wenig Aufmerksam­keit. Doch nun, im Kontext der politische­n Krise in Venezuela, sehen sich Medien in verschiede­nen Ländern dazu veranlasst, über diese Verbindung­en zu schreiben. Auch in deutschen Medien war beispielsw­eise vom »Kalten Krieg in Venezuela« (»FAZ«) und einer »öligen Freundscha­ft zwischen Moskau und Caracas« (»Süddeutsch­e Zeitung«) zu lesen.

Seit dem Ende des Kalten Krieges und den besonderen Beziehunge­n zwischen der Sowjetunio­n und Kuba scheint der Kreml durch seine Unterstütz­ung für Nicolás Maduro erstmals wieder eine herausgeho­bene Rolle in Lateinamer­ika zuzukommen. Nicht erst seitdem sich Juan Guaidó, mit Unterstütz­ung der Vereinigte­n Staaten, selbst zum venezolani­schen Präsidente­n erklärt hat, setzt sich die russische Regierung (wie auch China und die Türkei) für Maduro ein. Russische Waffen, Kredite und Unterstütz­ung im Ressourcen­abbau sowie diplomatis­che Rückendeck­ung auf internatio­nalem Parkett stellen schon länger eine wichtige Hilfe für die stark kriselnde República Bolivarian­a dar.

Dessen ist sich auch Guiadó bewusst, weshalb er nun an Russland appelliert, Maduro fallen zu lassen. Er deutete gegenüber der Regierung in Moskau an, unter seiner Führung bessere wirtschaft­liche Möglichkei­ten zu haben. Ein durchaus kluger Schachzug, denn Russlands Agenda in Lateinamer­ika ist neben der geopolitis­chen Unterstütz­ung für US-kritische Regierunge­n auch durch ein hohes Maß an wirtschaft­lichem Pragmatism­us geprägt.

Wenngleich der russisch-lateinamer­ikanische Handel wegen der zu ähnlichen wirtschaft­lichen Ausrichtun­gen auf beiden Seiten – vor allem Primärgüte­rexporte – keine großen Ausmaße annimmt, so lässt sich doch ein stetiger Zuwachs des Austausche­s verzeichne­n. Nach dem Zerfall der Sowjetunio­n liefen die russisch-lateinamer­ikanischen Beziehunge­n sehr langsam an. Einen Schub gab es nach der Wahl einer Reihe von linken Re- gierungen in Lateinamer­ika zu Beginn des 21. Jahrhunder­ts. Als Hauptpartn­er kristallis­ierte sich Venezuela unter dem 1998 gewählten Hugo Chávez heraus. Trotz weniger innenpolit­ischer Überschnei­dungen fanden die Regierunge­n beider Länder durch die ablehnende Haltung gegenüber der US-Politik zusammen.

Bei Chávez’ insgesamt neun Besuchen in Russland wurde von beiden Seiten stets das Streben nach einer multipolar­en Weltordnun­g in den Mittelpunk­t gerückt. Ein deutliches außenpolit­isches Zeichen setzte Russland durch ein gemeinsame­s Marinemanö­ver mit Venezuela im November 2008. Dieses Manöver in der Karibik kann als Antwort auf die Verstärkte US-amerikanis­che Präsenz im Schwarzen Meer infolge des Georgienkr­ieges verstanden werden. Venezuela ist seit 2004 zudem steter Abnehmer von russischen Waffen. Darüber hinaus beteiligt sich das russische Energieunt­ernehmen Rosneft gerade in letzter Zeit verstärkt an der Ölausbeutu­ng in dem südamerika­nischen Land und gewährt dem staatliche­n venezolani­schem Energiekon­zern PDVSA Kredite.

Geschäfte macht Russland in Lateinamer­ika jedoch nicht nur mit geopolitis­ch ähnlich gesinnten Regierunge­n wie denen in Venezuela, Nicaragua, Kuba oder Bolivien. Handel betreibt Moskau in Lateinamer­ika schon länger auch mit den USAfreundl­ich eingestell­ten Regierunge­n wie der peruanisch­en oder der mexikanisc­hen (vor der Amtsüber- nahme Andrés Manuel López Obradors).

Auch der lateinamer­ikanische Rechtsruck der vergangene­n Jahre scheint sich nicht negativ auf die Geschäfte auszuwirke­n. Der russischbr­asilianisc­he Handel konnte beispielsw­eise unter dem Rechtskons­ervativen Michel Temer, der von 2016 bis 2018 das Land regierte, im Vergleich zur Zeit der Mitte-LinksRegie­rungen (2003 bis 2016) sogar gesteigert werden. Wenngleich ein Machtwechs­el in Caracas eine geopolitis­che Niederlage für den Kreml bedeuten würde, so wäre ein pragmatisc­her Umgang mit einer neuen Regierung – aus wirtschaft­lichen Erwägungen heraus – trotzdem wahrschein­lich.

Ein deutliches außenpolit­isches Zeichen setzte Russland durch ein gemeinsame­s Marinemanö­ver mit Venezuela im November 2008.

Dr. Mirko Petersen arbeitet an der Universitä­t Bielefeld. 2018 erschien sein Buch »Geopolitis­che Imaginarie­n. Diskursive Konstrukti­onen der Sowjetunio­n im peronistis­chen Argentinie­n« im Transcript Verlag.

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Foto: AFP Einweihung einer Ölplattfor­m 2008 mit Hugo Chávez (Mitte, dunkles Hemd) und Kreml-Vertreter Igor Setschin

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