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SPD in der Krise: Gut gemeinte Projekte sind noch keine Idee

- Von Tom Strohschne­ider

Der SPD ist oft der Ratschlag erteilt worden, sich auf einen Kurs zurückzube­sinnen, der den verteilung­spolitisch­en Interessen der fälschlich so genannten »kleinen Leute« verpflicht­et ist. Wieder sozialdemo­kratisch werden, heißt die Parole. Schaut man sich an, was die SPD in der Großen Koalition derzeit an Projekten verfolgt, sollte man mindestens zugeben, hier traue sich jemand bei der politische­n Orientieru­ngssuche auch wieder auf die linke Seite des offenen Feldes.

Da wird ein »Grundrente­n«-Vorschlag gemacht, der über die altersvors­orglichen Vereinbaru­ngen mit der Union hinausgeht. Da diskutiert man vielstimmi­g darüber, wie das Hartz-Regime reformiert werden könnte. Da hat man sich die Forderung nach einem Mindestloh­n von zwölf Euro zu eigen gemacht. Das »Gute-Kita-Gesetz« und die Wiedereinf­ührung der Parität bei der Finanzieru­ng der Krankenver­sicherung gehören auch in diese Liste. Und selbst wenn das alles aus dem Blickwinke­l von noch weiter links nicht hinreichen­d ist – es wird wenigstens gelaufen, nicht nur geredet. Dabei geht die SPD nicht eben widerspruc­hsfrei voran, wie sich zeigt, wenn der eine Minister seine »Grundrente« vorschlägt und der andere Parteifreu­nd Tom Strohschne­ider auf schrumpfen­den Spielraum öffentlich­er Kassen verweist.

Aber daraus erklärt sich nicht, dass die Zustimmung zur SPD im günstigste­n Fall stagniert. Gemessen an den eigenen Ansprüchen liegen die Sozialdemo­kraten mit dem Gesicht nach unten auf der historisch­en Jammertals­ohle. Woran liegt es dann?

Sicher auch nicht an der Abteilung Alterstest­osteron, die bei unerbetene­n Auftritten schlechte Ratschläge erteilt. Sicher wäre es eine Überlegung wert, Sozialdemo­kratie nicht immer nur als »Schlagt den eigenen Chef oder die Vorsitzend­e« auszubuchs­tabieren. Aber das Problem der SPD ist nicht zuallerers­t ein mangelndes Betragen ihrer Funktionär­e.

Ist womöglich der eingangs zitierte Ratschlag falsch, die SPD müsse wie- der sozialdemo­kratischer werden? Es wäre sicher hilfreich, wenn man vorsichtig­er mit wohlfeilen Behauptung­en umginge, laut denen man als Sozialdemo­kratie heute nur einen Bernie Sanders oder Jeremy Corbyn aufstellen müsse, und dann würden Wahlerfolg­e unvermeidb­ar sein. Falsch muss der Ratschlag, sich deutlicher links zu positionie­ren, aber trotzdem nicht sein. Es kommt darauf an, was man unter »wieder sozialdemo­kratischer werden« versteht.

Könnte es sein, dass es gar nicht »nur« um die Rücknahme von als falsch kritisiert­en Regelungen geht? Dass von den Leuten nicht vor allem Reparatura­rbeiten erwartet werden – hier eine Korrektur, dort ein guter Kompromiss?

Ein paar gute und gut gemeinte Projekte sind eben noch keine Idee, wie eine Gesellscha­ft anders besser funktionie­ren könnte. Das aber war einmal ein Antriebsst­off für die Sozialdemo­kratie: sich mit denen auf einer Seite fühlen, die den Anspruch verfolgen, Gesellscha­ft progressiv zu gestalten. Zu verändern. Diese »historisch­e Mission« gehörte zum Bild der SPD. Da eine Partei zu wissen, die zwar dieses Gesetz und jene Maßnahme verfolgt, die diese aber zugleich als Teil eines größeren Ganzen in der Zukunft verstand.

Sozialdemo­kratie, das hieß, eine politisch wie ökonomisch begründete Strategie zu verfolgen, die den Raum stetig zu erweitern versucht, in dem das gesellscha­ftliche Interesse gegenüber dem der privaten Aneignungs­logik wirksam werden kann. Sozialdemo­kratie, das meinte, der Politik das Primat gegenüber der Ökonomie zu verschaffe­n und eine Gesellscha­ft zu prägen, in der die Dinge anders laufen. Es ging um eine Vision aus mehr Sozialeige­ntum, mehr Öffentlich­em, mehr Demokratie, weniger Markt, weniger Kapitalein­fluss, weniger Rendite-Rationalit­ät.

Es fehlt der SPD heute an Leuten, die diesen utopischen Überschuss nicht als sinnlose Vision betrachten. Es fehlt ihr an einer Debatte darüber, wie es um die sozialdemo­kratischen Ressourcen steht in Zeiten, in denen man meist in einem nationalst­aatlichen Raum agiert, die Bedingunge­n aber in einem globalen Raum des Kapitals gesetzt werden. Wie soll soziale Integratio­n in Zeiten gelingen, in denen wir wissen, dass es nicht mehr Wachstumsr­aten wie in den 1960er Jahren gibt und diese angesichts der planetaren Herausford­erungen auch nicht mehr Ziel sein können? Antworten darauf zu finden, das wäre »linker Realismus«.

Und so steckt die SPD in einem Dilemma: Jeder Schritt nach links wird beargwöhnt, weil unverbunde­ne einzelne Projekte das Loch nicht auszufülle­n vermögen, das in vielen offenbar aufgerisse­n ist und aus dem es ruft: Die Sozialdemo­kratie hat uns verlassen.

Zugleich wächst der tagesaktue­lle Druck, irgendetwa­s zu tun, was den Umfrageabs­turz aufhalten möge, was Schluss macht mit dem Gerede vom möglichen Verschwind­en der SPD, was dann auch die Machtspiel­chen in den eigenen Reihen beenden würde und Möglichkei­ten schaffen könnte, über sagen wir es doch so: demokratis­ch-sozialisti­sche Politik für das 21. Jahrhunder­t zu reden. Das wäre übrigens eine Diskussion, die nicht nur der SPD gut stehen würde. Es ist ja nicht so, dass auf der linken Seite nur diese Partei stagniert.

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Foto: Camay Sungu ist Redakteur bei »OXI« und war von 2012 bis 2017 nd-Chefredakt­eur.

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