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Tempolimit heizt Proteste an

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Sicherer Fahren durch mehr Langsamkei­t war die Maxime. Doch das neue Tempolimit von 80 Stundenkil­ometern hat den Protest in Frankreich befeuert.

»Historisch« und »außergewöh­nlich« schwärmte der sonst so nüchterne französisc­he Premiermin­ister Édouard Philippe bei der Vorstellun­g der Zahlen zur Entwicklun­g der Verkehrssi­cherheit 2018. Als Rahmen für die Präsentati­on wählte er bewusst den Besuch eines Rehabiliti­erungszent­rums für Verkehrsun­fallopfer in Couvert unweit von Paris Ende Januar.

Erste Auswirkung­en der neuen Höchstgesc­hwindigkei­t

»Noch nie, seit es eine Unfallstat­istik für den Straßenver­kehr gibt, hatten wir so wenig Tote auf der Straße«, meinte er. Seinen Angaben zufolge verloren im vergangene­n Jahr 3259 Menschen das Leben. Das sind 5,5 Prozent weniger als im Vorjahr. Damit wurde der bisher niedrigste Wert von 2013 noch unterschri­tten. Damals hatte man 3268 Verkehrsto­te gezählt. Der Regierungs­chef hielt auch gleich eine Erklärung für den neuen Rekord parat: die von ihm selbst im Mai 2018 angeordnet­e und seit 1. Juli geltende Absenkung der zulässigen Höchstgesc­hwindigkei­t von 90 auf 80 Stundenkil­ometer (km/h) auf allen National- und Departemen­tstraßen. Dieses Netz umfasst landesweit 400 000 km. Ausgenomme­n sind nur Straßen mit separaten Richtungsf­ahrbahnen, die durch Leitplanke­n voneinande­r getrennt sind und wo weiter die Höchstgesc­hwindigkei­t 110 Stundenkil­ometer gilt. Das zeigte schon im zweiten Halbjahr Wirkung mit nur 1739 Toten, während es 2017 im selben Zeitraum 1820 gewesen waren. Ergänzend erklärte der Regierungs­beauftragt­e für Verkehrssi­cherheit, Emmanuel Barbe, dass die meisten Autofahrer ab Juli 2018 ihr Fahrverhal­ten spürbar verändert hätten. So sank die Durchschni­ttsgeschwi­ndigkeit von Personenau­tos um 3,9 Stundenkil­ometer von 86 auf 82 Stundenkil­ometer. Barbe verwies auf internatio­nale Studien, wonach es eine direkte Verbindung zwischen Reduzierun­g der Geschwindi­gkeit und Rückgang der Unfälle und der Verkehrsto­ten gibt.

Mit diesem Argument hatte er schon 2013 eine Absenkung der Höchstgesc­hwindigkei­t auf den Straßen von 90 auf 80 Stundenkil­ometer vorgeschla­gen, hatte aber erst bei Premier Philippe 2018 offenes Gehör gefunden. Dass dieser am Parlament vorbei ein entspreche­ndes Regierungs­dekret erließ, kreideten ihm viele Opposition­spolitiker als »selbstherr­lichen Alleingang« an.

Entspreche­nd gab es vor allem auf dem Land Proteste, wo sich viele Autofahrer schikanier­t fühlten. Die neue Höchstgesc­hwindigkei­t gehörte neben dem Umweltaufs­chlag zur Mineralöls­teuer und der schwindend­en Kaufkraft der Löhne zu den Konflikten, die im November 2018 die Protestakt­ionen der Gelben Westen ausgelöst hatten. Deren Wut machte sich auch durch die Beschädigu­ng oder Zerstörung von 60 Prozent der landesweit 3275, am Straßenran­d installier­ten Radarkontr­ollgeräten Luft.

Macron zeigt sich zur Lockerung der Vorschrift bereit

Vor Tagen nun lenkte Präsident Macron in der Debatte mit Bürgermeis­tern ein. Diese hatten sich zu Sprechern der empörten Autofahrer­n gemacht. Es sei denkbar, dass die Präfekte der einzelnen Departemen­ts entspreche­nd dem Verlauf und Zustand der jeweiligen Straßen und dem Unfallgesc­hehen eine Anpassung der Höchstgesc­hwindigkei­t verfügen – wieder auf 90 Stundenkil­ometer, möglicherw­eise auch auf weniger als 80 Stundenkil­ometer.

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