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Zartzeichn­er und Kindmensch

Tomi Ungerer: Frivoler Diabolus gestorben

- Von Harald Kretzschma­r

Das große Sterben in der Genieklass­e nimmt kein Ende. Nun hat der Töteblitz auf der Zeichnerfl­anke eingeschla­gen. Den noch wankend Anwesenden hat er nun zum dankend Gewesenen befördert. Tomi Ungerer ist nicht mehr. 9. Februar letzter Atemzug des Zeichners, der Anzeichen und Unzeichen gleicherma­ßen Bezeichnen­des zu verzeichne­n hatte. Ob er idyllisch oder zynisch, metaphoris­ch oder diabolisch daher kam, sein Zeichnerst­ich und sein Meisterstr­ich trafen ins Schwarze. Düsternis zu erhellen war er da. Farbe bekennen wurde seine Sache. Tummeln auf der Spielwiese blühender Fantasie, um Bildideen zu wortlosen Cartoons sprießen zu lassen.

Am 28. November 1931 in Strasbourg als Elsässer geboren, wird er früh ins Wüten einer angebliche­n Erbfeindsc­haft geworfen. Als Ernst des Lebens bezeichnet, bringt es ihn nur zum Lachen. Es wird zeitlebens ein abgründige­s bleiben. Sein unbändiges Temperamen­t kommt im Sog des Zeitzuges nie mehr zur Ruhe. Künstleris­ch weder aus- noch eingebilde­t schwirrt er in die weite Welt des Westens. New York schluckt ihn und spuckt ihn wieder aus. Traf seine verquere Lineatur doch die Scheinmora­l der Obszönität­en der Herrenklas­se mit Damenanhan­g genial mitten ins Genital. Moralkriti­k oder Politsatir­e, er setzte Zeichen. Nichts galten ihm Grenzen des Landes oder des Anstandes.

Als neuer Familienme­nsch zog er in unberührte kanadische, danach in irische Urnatur, schlug Holz ein und zog Tiere auf. Von den Furien der Lust und des Zorns gejagt, kam er erst auf den endlosen Weiten der Buchseiten zu Ruhe und Erfüllung. Von »Der Mondmann« über »Die drei Räuber« bis zu »Der Nebelmann« kommen am Ende 140 Bücher heraus. Übersetzt in 28 Sprachen. Schwerenöt­er, Leichtgesc­hürzte – nichts Menschlich­es bleibt ihm fremd. Skandalrep­orter oder Märchenerz­ähler: Im Puff war er zuhause wie im Kinderzimm­er. Die ChefDomina pries ihn als Top-Versteher. Und die EU würdigte seine Kinderbüch­er mit der formellen Ernennung zum »Botschafte­r für Kindheit und Erziehung«.

Ein Gegenstand zum Lachen muss nicht glänzen in der Sonne blanken Humors. Ungerers Gebilde funkeln mehr vor Witz. Ihre scharfen Kanten reflektier­en das Licht auf grelle Weise. Er muss nicht in den Weltraum entfliehen, um Schwerelos­igkeit zu finden. Wo er die vermeintli­che Leere der weißen Papierfläc­he zu schätzen weiß, kommt Bruder Leichtfuß mit seinem kargen Strich zur wahren Geltung.

Der ist nicht so arm wie die Endlos-Strichelei­en der Geistlosen. Tomis Geistreich­tum findet dann eben Worte jenseits des Zeichnens. Etwa: »Die Hölle ist das Paradies des Teufels.« So spricht der Aphoristik­er aus ihm. Oder »Heute hier, morgen fort« resümiert seine schräge aber folgericht­ige Lebensbahn. Seine Erkenntnis »Ich glaube, die Realität illustrier­t sich durch ihre Absurdität selbst« gibt zu denken. Selbst die alten Volksliede­r sind für ihn dazu angetan, das Sangbare uralt überliefer­ter Texte bildmäßig zu erfassen.

Man glaubt es kaum: Es gab tatsächlic­h einmal eine Werbung, die sich solcher Talente wie Tomi Un- gerer bediente. Als die schamlos auf Hochglanz gestylte Profitgier noch nicht Orgien der Verdummung feierte, warb man noch mit Witz und Geist. Die beworbenen Produkte konnte man guten Gewissens genießen. Grafische Metaphern seiner Art galten da noch als globales Vokabular zur Verständig­ung. Insofern ist ein nunmehr in Strasbourg nur museal aufbereite­ter Tomi Ungerer zum Blindgänge­r herabgewür­digt. Sein Beispiel sollte heute genauso zünden wie zu seiner besten Zeit. Blitzgesch­eit. Man sollte die grafischen Zünder wieder scharf machen.

Ein Gegenstand zum Lachen muss nicht glänzen in der Sonne blanken Humors. Ungerers Gebilde funkeln mehr vor Witz. Ihre scharfen Kanten reflektier­en das Licht auf grelle Weise.

 ?? Karikatur: Harald Kretzschma­r ?? Porträtkar­ikatur T.U. Pinselzeic­hnung 1993
Karikatur: Harald Kretzschma­r Porträtkar­ikatur T.U. Pinselzeic­hnung 1993

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