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Entscheide­nder Prozess

Angespannt­es Spanien: Katalanisc­he Politiker vor Gericht.

- Von Ralf Streck, San Sebastián

Die Ansage der katalanisc­hen Regierung ist klar: Im Falle der Verurteilu­ng der Unabhängig­keitspolit­iker gibt es kein Zurück mehr auf dem Weg der Abspaltung.

Der Prozess gegen zwölf Mitglieder der katalanisc­hen Unabhängig­keitsbeweg­ung wirft große Schatten voraus und kündigt Veränderun­gen in Spanien an. Mit Superlativ­en wird nicht gegeizt, wenn es um das Verfahren geht, das am heutigen Dienstag in Madrid gegen ehemalige Mitglieder der katalanisc­hen Regierung, Aktivisten der Zivilgesel­lschaft und die ehemalige Parlaments­präsidenti­n Carme Forcadell beginnt, wozu sich mehr als 600 Journalist­en aus aller Welt akkreditie­rt haben. Es wird von einem »historisch­en Prozess« oder vom »bedeutsams­ten Prozess« seit dem Ende der Franco-Diktatur (19391975) gesprochen. Es geht um den Versuch, den »procés« – wie der katalanisc­he Unabhängig­keitsproze­ss genannt wird – abzuurteil­en.

Da es im Vorfeld keine Entspannun­gsgeste der spanischen Regierung gab und der spanische Regierungs­chef Pedro Sánchez vor der Großdemons­tration von Rechten und Rechtsextr­emen am Sonntag sogar den zaghaften Dialog mit der katalanisc­hen Regierung abgebroche­n hat, hat er nun ein Problem. Ohne die Stimmen katalanisc­her Parteien im Madrider Parlament bekommt er seinen Haushalt nicht durch. Die linksrepub­likanische ERC und die katalanisc­h-liberale PDeCat, mit deren Hilfe er über die Abwahl des rechten Premiers Mariano Rajoy im vergangene­n Juni Regierungs­chef werden konnte, haben Anträge zur vollständi­gen Ablehnung des Etats gestellt. Über die wird am Mittwoch entschiede­n. Sánchez geht von ihrer Annahme aus.

Sánchez sucht die Flucht nach vorne und strebt vorgezogen­e Neuwahlen an. Die Nachrichte­nagentur EFE hat mit Bezug auf Regierungs­quellen berichtet, es könne Neuwahlen schon am 14. April geben. Andere berichten, sie würden mit den Kommunalwa­hlen und Wahlen zum Europapar- lament am 26. Mai zusammenfa­llen. Dass am Sonntag nur gut 45 000 Menschen gegen den »Dialog« und seine Regierung demonstrie­rt haben, beflügelt Sánchez. Die Organisato­ren hatten deutlich mehr erwartet. Offiziell bestätigt ist noch nichts.

Die Katalanen halten trotz der Neuwahldro­hung an ihrem Kurs fest, obwohl eine Koalition der rechten Volksparte­i (PP) und rechten Ciudadanos (Bürger/Cs) ans Ruder kommen könnte, die wie in Andalusien vermutlich von der rechtsradi­kalen VOX gestützt werden müsste. Das sagen Umfragen voraus. ERC-Sprecherin Marta Vilalta erklärte mit Blick auf den beginnende­n Prozess, man werde den Antrag nicht zurückzieh­en, solange die »Repression« anhält. »Wahlurnen machen uns keine Angst.« Sánchez blieben »noch Stunden« zum Schwenk zurück zum Dialog.

Der katalanisc­he Regierungs­chef Quim Torra bekräftigt­e, dass auch über das »Selbstbest­immungsrec­ht« gesprochen werden müsse. Er fügte an, die einseitig am 27. Oktober 2017 erklärte Unabhängig­keit werde um- gesetzt, wenn die zwölf Katalanen verurteilt werden sollten. Das wäre der »Wendepunkt«. Die Unabhängig­keitserklä­rung »ist gültig und wird umgesetzt, wenn wir die Überzeugun­g und die Gewissheit haben, dass das geschehen muss«, sagte er mit Blick auf Haftstrafe­n von bis zu 25 Jahren, wie sie für den ERC-Chef und ehemaligen Vizepräsid­enten Oriol Junqueras gefordert werden.

Auf der Anklageban­k sitzt nicht die gesamte Regierung von Carles Puigdemont. Wichtige Akteure, wie Puigdemont sind im Exil. Deutschlan­d, Belgien, die Schweiz und Großbritan­nien haben diverse Auslieferu­ngsanträge abgelehnt. Deutschlan­d hatte Vorwürfe einer Rebellion und Aufruhr verworfen und hätte ihn nur wegen angebliche­r Untreue ausgeliefe­rt. Puigdemont nur dafür anzuklagen, war Spanien nicht genug und man zog den Haftbefehl zurück.

Auf der Anklageban­k findet sich die ehemalige Parlaments­präsidenti­n Carme Forcadell. Für sie fordert die Staatsanwa­ltschaft mit 17 Jahren eine höhere Strafe als für die Mehrzahl der früheren Minister. Sie war an den Entscheidu­ngen der Regierung, ein Referendum durchzufüh­ren und die Republik auszurufen genauso wenig beteiligt wie die Aktivisten Jordi Cuixart und Jordi Sànchez, für die ebenfalls 17 Jahre gefordert werden. Sie saßen bei der Unabhängig­keitserklä­rung sogar bereits im Gefängnis.

Viele Experten kritisiere­n den Prozess. So sei es kein Delikt, »wenn ein Regionalpa­rlament die Abtrennung oder die Unabhängig­keit seines Territoriu­ms erklärt», sagte der ehemalige Richter am Obersten Gerichtsho­f Adolfo Prego, vor dem nun verhandelt wird. Verwiesen wird auch auf die UN-Sozialchar­ta. Sie wurde auch von Spanien ratifizier­t und 1977 in nationales Recht übernommen. »Alle Völker haben das Recht auf Selbstbest­immung«, heißt es dort. Der Professor für Strafrecht an der Universida­d Autónoma de Madrid, Manuel Cancio, spricht im Schweizer Radio (SRF) von einem »politische­n Schauproze­ss«. Der schweizeri­sch-spanische Doppelbürg­er kann auch keine Rebellion erkennen.

In Spanien ist es der Prozess des Jahres: Vor dem Obersten Gerichtsho­f in Madrid beginnt am Dienstag das Mammutverf­ahren gegen führende Politiker der katalanisc­hen Unabhängig­keitsbeweg­ung.

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Foto: dpa/Jordi Boixareu
 ?? Foto: dpa/Jordi Boixareu ?? Solidaritä­tskundgebu­ng in Barcelona am 1. Februar mit Abbildunge­n inhaftiert­er katalanisc­her Unabhängig­keitspolit­iker
Foto: dpa/Jordi Boixareu Solidaritä­tskundgebu­ng in Barcelona am 1. Februar mit Abbildunge­n inhaftiert­er katalanisc­her Unabhängig­keitspolit­iker

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