Löchrige Netze
Ein CSU-Bürgermeister kämpft für mehr Staat beim Mobilfunk.
Funklöcher und Gebiete ohne schnelles Internet sind in Deutschland immer noch weit verbreitet. Dies wird zunehmend zum Standortnachteil für Kommunen wie Abensberg in Niederbayern.
»Die Privatisierung von Staatsbetrieben seit den 1970er Jahren war nicht so intelligent.« Ein Satz, der für viele nicht wirklich spektakulär klingt, würde ihn nicht ein weißblauer CSUBürgermeister aussprechen.
Seit 25 Jahren ist Uwe Brandl im niederbayerischen Abensberg, gelegen zwischen Regensburg und Ingolstadt an der Donau, im Amt. Als er mit 33 Jahren zum ersten Mal gewählt wurde, war er einer der jüngsten Bürgermeister in Bayern. Seit kurzem ist er auch Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, vertritt also die Interessen der kleineren Kommunen, immerhin rund 11 000 an der Zahl.
Eine dieser Interessen ist die flächendeckende Versorgung der Kommunen mit schnellen Breitbandkabeln und mit einem möglichst lückenlosen Mobilfunknetz – ein immer drängenderes Problem. Wenn die Privatwirtschaft das nicht leiste, solle jetzt der Staat einspringen und die nötigen Funkmasten selber aufstellen. Und natürlich, eine derartige Forderung »widerspricht der Philosophie der CSU«, sagt Brandl. Deren Parteispitze ist jetzt allerdings auch auf die staatliche Lösung eingeschwenkt.
Abensberg ist eine Kleinstadt mit rund 14 000 Einwohnern im Landkreis Kelheim. Sie liegt am Rande der Hallertau, dem größten zusammenhängenden Hopfenanbaugebiet der Welt. Im Freistaat ist Abensberg bekannt für seinen Gillamoos im Sommer. Auf dem Volksfest geht es richtig rund mit Bier, Wahl der Dirndlkönigin, einem Holzsägewettbewerb und einer Gewerbeausstellung. O’zapft wird vom ersten Bürgermeister persönlich, Brandl dabei gerne mit Kniebundlederhose und blauem Janker. Abensberg hat aber auch Kunst zu bieten, auf dem Gelände der Kuchlbauer-Brauerei reckt sich der bunte Friedensreich-HundertwasserTurm in die Höhe, der 2010 zehn Jahre nach dem Tod des österreichischen Künstlers fertiggestellt wurde. Der Turm ist 35 Meter hoch, ursprünglich waren 70 Meter geplant, was aber am Widerstand des Bürgermeisters und des damaligen Landeskonservators scheiterte.
Wie hoch genau der Funkturm für den Mobilfunk in der Stadt an der Bahnstrecke nach Regensburg ist, lässt sich von unten nicht so genau sagen. »Das ist einer von neun Masten im Stadtgebiet«, weiß aber Stadtkämmerer Andreas Poschenrieder. Er ist für den kommunalen Haushalt mit gut 37 Millionen Euro zuständig und damit auch teilweise für die Versorgung der Bürger mit Mobilfunk und Netzanschlüssen. Bei Letzteren steht ein Posten mit 600 000 Euro im Haushaltsplan, davon zahlt der Freistaat 480 000 Euro als Förderung, den Rest trägt die Stadt. Dabei geht es um das sogenannte Höfe-Programm, wodurch auch die abgelegenen Bauernhöfe auf dem flachen Land einen Kabelanschluss und damit schnelles Internet bekommen sollen. Längst ist der Internetanschluss zum wichtigen wirtschaftlichen Standortfaktor geworden. »Und für manche ist das inzwischen beim Hauskauf das wichtigste«, erklärt Kämmerer Poschenrieder.
Angewiesen auf schnellen Netzzugang ist auch Otto Kneitinger. Der 64-Jährige betreibt im neuen Gewerbegebiet der Stadt unter dem Label Ippon-Shop einen sehr speziellen Handel. Dazu muss man wissen, dass Abensberg eine große Nummer in Sachen Judo-Wettkampfsport ist, der ortsansässige TSV liegt in der Bundesligagruppe Süd auf Platz eins. Auch Kneitinger war lange Jahre mit dabei, und so ist es fast folgerichtig, dass er in seinem Laden Judoka-Kleidung vertreibt. Und das vor allem über den Internethandel, der Endverbraucher ist sozusagen über die ganze Welt verteilt. Der Ladeninhaber, der in der Altstadt auch noch ein Hotel betreibt, weiß: »Wenn du keine gescheite Verbindung hast, verhungerst du.« Momentan hat er keine gescheite Verbindung und wartet darauf, dass die Telekom im Frühjahr endlich den schnellen Anschluss für die Rudolf-Diesel-Straße freischaltet.
Zurück ins Rathaus: Dort arbeitet Bürgermeister Brandl gerade an einem Stehpult, und auch sonst geht der studierte Jurist etwas andere Wege. So hat er seinen Einkommensteuerbescheid von 2017 ins Netz gestellt, so richtig lesen lässt der sich allerdings nicht. Seinen eigenen Angaben zufolge arbeitet er »durchschnittlich 72 Stunden in der Woche«, findet aber noch Zeit für eines seiner Hobbys, das Schreiben von Büchern wie »Nikolo bum bum – Überraschend andere Geschichten zur Vorweihnachtszeit«. Und Brandl, von der Presse schon mal als »undiplomatisch, polternd, sachkundig« beschrieben, sagt von sich, er gebe seine Meinung nicht an der Garderobe ab, nur weil er in der CSU sei.
Seine Meinung in Sachen Mobilfunkausbau hat er jedenfalls klar gemacht: Der wäre besser in der Hand einer staatlichen Institution, denn so würden schneller Genehmigungen erteilt und Funkmasten auch dort aufgestellt, wo normale Investoren aus wirtschaftlichen Gründen ausscheiden würden. Zudem käme der Staat unter Umständen leichter an Grundstücke und könne bestehende Infrastruktur besser nutzen, so Brandl. Die Versorgung mit schnellen und belastbaren Netzen sei eine
Grundvoraussetzung wirtschaftlicher Prosperität. Architekten etwa oder Bauherrn müssten auch auf der Baustelle auf ihre Daten zurückgreifen können.
Damit angesprochen ist das künftige 5G-Netz, dessen Frequenzen derzeit von der Bundesregierung ausgeschrieben werden. Die Auktion soll in der zweiten Märzhälfte stattfinden. Der neue Standard soll das LTE-Netz (4G) ersetzen, das erst vor neun Jahren an den Start ging und
damals ebenfalls als Meilenstein in der Mobilfunktechnik gepriesen wurde. Doch bis heute sind noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, die dieses Netz – oder besser diese Netze, denn es gibt drei davon: von der Telekom, Vodafone und Telefonica – bietet, zumal es vor allem in ländlichen Gegenden viele Funklöcher aufweist. Dennoch soll der Nachfolger 5G das bisher Dagewesene in den Schatten stellen und zwar mit extrem hohen Datenkapazitäten. Dabei geht es um einen sehr schnellen mobilen Internetzugang, den die Industrie für die Vernetzung von Maschinen und Anwendungen fordert. Die autonom fahrenden Fahrzeuge der Zukunft wären zum Beispiel auf ein derartiges Netz angewiesen, das dann freilich keine Funklöcher aufweisen dürfte. Oder eine vernetzte Produktion in den Fabriken, die einen großen Datenaustausch voraussetzen. Allerdings: Da die Reichweite der 5G-Frequenzen eher beschränkt ist, müsste dafür eine große Zahl von neuen Antennenstandorten erschlossen werden. Für Brandl durchaus ein Problem: »In Abensberg bräuchten wir zehn zusätzliche Standorte – das ist auch eine Frage der Akzeptanz durch die Bevölkerung.«
Die CSU jedenfalls – der Partei ist Brandl, der lange Zeit Mitglied in der Jungen Union war, erst spät beigetreten – hat sich in Sachen Staatsaufgaben quasi vom Saulus zum Paulus gewandelt: In einer Beschlussvorlage für die Klausur der CSU-Bundestagsabgeordneten im Kloster Seeon im Januar hieß es, die Bürger müssten sich »überall in Deutschland auf einen zuverlässigen Mobilfunk verlassen können«, denn Funklöcher passten nicht zu einer der stärksten Wirtschaftsnationen der Welt. So wolle die Partei nun eine »kraftvolle Ausbauoffensive« mit einer »staatlichen Infrastrukturgesellschaft« starten. Wo der privatwirtschaftliche Ausbau nicht funktioniere oder sich die etablierten Mobilfunkbetreiber nicht in der Lage sähen, eine funktionierende Versorgung sicherzustellen, müssten künftig Mobilfunkmasten durch den Staat errichtet werden. Die Mobilfunkbetreiber sollen dabei mit einer Anschlussverpflichtung belegt werden und Gebühren bezahlen, um die staatlichen Investitionen zu refinanzieren.
Und wie erklärt sich der Abensberger Bürgermeister Brandl den Sinneswandel seiner Partei? »Steter Tropfen höhlt den Stein«, lautet die Antwort des Niederbayers.