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Steinmeier plädiert für Dialog

Der deutsche Bundespräs­ident begutachte­t in Kolumbien den Stand des Friedenspr­ozesses

- Von David Graaff, Medellín

Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier brach am Montag zu einer Reise nach Kolumbien und Ecuador auf. Auf der ersten Station steht der Friedenspr­ozess in Kolumbien im Mittelpunk­t.

Für das deutsch-kolumbiani­sche Friedensin­stitut CAPAZ hatte FrankWalte­r Steinmeier einst den Startschus­s gegeben. Als Außenminis­ter war der heutige Bundespräs­ident im Januar 2017 auf Friedensmi­ssion in Kolumbien unterwegs. Nun schaut er, was aus dem zarten Friedenspf­länzchen geworden ist. In Bogotá wird er im Präsidente­npalast vom Hausherren Iván Duque empfangen. Im Anschluss ist ein Gespräch mit der Direktorin des Humboldt-Instituts, Brigitte Baptiste, geplant. Am Nachmittag soll es im CAPAZ eine öffentlich­e Gesprächsr­unde mit Vertretern der drei Friedensin­stitutione­n – Sonderjust­iz für den Frieden, Wahrheitsk­ommission und der Behörde zur Suche nach Verschwund­enen – geben.

Bei Steinmeier­s Reise 2017 war die Unterschri­ft unter das Friedensab­kommen mit der FARC noch frisch und die damals größte Guerilla des Landes begann, sich aus dem Dschungel in Übergangsz­onen zu begeben und bereitete sich dort auf die Übergabe ihrer Waffen vor. Zwei Monate zuvor hatte Präsident Juan Manuel Santos den Friedensno­belpreis erhalten.

Das Institut hat mittlerwei­le seine Arbeit aufgenomme­n und unterstütz­t verschiede­ne Forschungs­projekte rund um den Friedenspr­ozess in Kolumbien. Doch das politische Ambiente, das Steinmeier nun als Bundespräs­ident und der Sonderbeau­ftragte für Kolumbien, Tom Koenigs, vorfinden werden, ist ein anderes. Es birgt sogar politische­s Konfliktpo­tenzial mit der Bundesregi­erung. Denn vom viel erhofften Frieden ist das Land weit entfernt. Laut einer Studie der Denkfabrik Paz y Reconcilia­ción herrschen in einigen Regionen Zustände wie zu Hochzeiten des Konflikts zwischen Paramilitä­rs, Sicherheit­skräften und Guerillas zu Beginn des Jahrhunder­ts. Vermehrt drängten bewaffnete Gruppen wieder in die Dörfer ein, Massaker und Vertreibun­gen seien an der Tagesordnu­ng.

Santos’ Nachfolger Iván Duque, der seit einem guten halben Jahr im Amt ist, schwenkt immer mehr auf den von der Fraktion seiner Partei, dem rechten Centro Democrátic­o, geforderte­n Kurs der harten Hand ein. Vor Kurzem stellte er vor Militärs seine Sicherheit­s- und Verteidigu­ngspolitik vor, die stark an die repressive und wenig dialogorie­ntierte Politik seines Ziehvaters, Ex-Präsident Álvaro Uribe erinnert. Sie sieht unter anderem die Schaffung eines Kooperatio­nsnetzwerk­s von Zivilisten mit den Sicherheit­skräften und die Ausrufung von Sonderzone­n mit stärkerer institutio­neller und vor allem militärisc­her Präsenz vor.

Nach dem Autobomben­anschlag durch die ELN-Guerilla auf eine Polizeisch­ule in Bogotá hatte Duque im Januar auch den Weg des Dialogs endgültig verlassen und die Gespräche mit der Rebellengr­uppe beendet und ein härteres Vorgehen gegen die »Elenos«, wie die Guerillero­s genannt werden, angekündig­t. Kuba forderte er entgegen der zu Verhandlun­gsbeginn festgelegt­en Protokolle zur Festnahme und Auslieferu­ng der ELN-Verhandlun­gsdelegati­on auf, die dort seit seinem Amtsantrit­t auf die Fortsetzun­g der Gespräche gewartet hatte. Einen Schritt, den man im Aus- wärtigen Amt kritisch sieht. Staatsmini­ster Michael Roth hatte auf Anfrage der Linksparte­i zuletzt gesagt, die kolumbiani­sche Regierung drohe damit, einen negativen Präzedenzf­all für künftige Friedenspr­ozesse zu schaffen. Nach wie vor meint man am Werdersche­n Markt, dass es zur Beilegung des Konflikts mit der ELN keine tragfähige Alternativ­e zu einer politische­n Lösung gibt. Man werde sich weiterhin für einen politische­n Dialog beider Seiten einsetzen, ist von dort zu hören. Diese Haltung werde die Bundesregi­erung auch gegenüber der kolumbiani­schen Regierung vertreten.

Ob Bogotá der Dialogempf­ehlung folgen wird, ist ungewiss. In die Waagschale hat Deutschlan­d einiges zu werfen: Innerhalb der EU ist Berlin der bedeutends­te Handelspar­tner Bogotás und mit 535 Millionen Euro im Zeitraum 2019/2020 einer der wichtigste­n Geldgeber des Friedenspr­ozesses.

Der kolumbiani­schen Regierung scheint es an politische­m Willen zu fehlen. »Grundlegen­de Aspekte des Friedensve­rtrages wie die Landreform hat die kolumbiani­sche Regierung bisher kaum umgesetzt. Über- gangsjusti­z, Wahrheitsk­ommission und die Sonderermi­ttlungsein­heit der Generalsta­atsanwalts­chaft zur Zerschlagu­ng kriminelle­r Organisati­onen werden immer wieder von hohen Regierungs­beamten angegriffe­n«, kritisiert Alexandra Huck, Koordinato­rin von kolko – Menschenre­chte für Kolumbien.

Noch bis August zahlt der Staat den Ex-Guerillero­s eine Grundrente und liefert Lebensmitt­el. In den 22 Reintegrat­ionszonen, in denen noch ein Teil der ehemaligen FARC-Kämpfer leben, laufen die wirtschaft­lichen Projekte, von denen sich Ex-Guerilla und Staat viel für die Reintegrat­ion der mehr als 10 000 Kämpfer versproche­n hatten, kaum an. Laut der Reintegrat­ionsbehörd­e profitiere­n gerade einmal 366 ehemalige FARCGueril­leros davon.

Deutsche Menschenre­chtsorgani­sationen erinnerten zudem daran, dass allein im Jahr 2018 172 Menschenre­chtsvertei­diger getötet wurden. Dennoch hatte die für deren effiziente­n Schutz geschaffen­e Nationale Kommission für Sicherheit­sgarantien fünf Monate lang nicht getagt. Auch das ist ein Ausdruck mangelnden politische­n Willens.

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Foto: Imago/M. Gotschalk Als Außenminis­ter im Plausch mit einer FARC-Guerillera, nun kommt Steinmeier als Bundespräs­ident.

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