nd.DerTag

Gepflegter Arbeitsfet­isch

Robert D. Meyer über eine Umfrage zur Sozialpoli­tik

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Das Verhältnis der Bevölkerun­g zur Lohnarbeit lässt sich mit einem Zitat des Apostel Paulaus beschreibe­n: »Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen.« 14 Jahre nach der Einführung von Hartz IV ist laut einer repräsenta­tiven ARD-Umfrage eine Mehrheit von 62 Prozent überzeugt, dass es Sanktionen brauche, um Bezieher von Arbeitslos­engeld II wieder in einen Job zu bekommen. Oder ehrlicher ausgedrück­t: zu zwingen.

Damit hat sich ein wesentlich­er Punkt jenes Menschenbi­ldes durchgeset­zt, das die neoliberal­e Agendalogi­k ausmachte. Der Einzelne ist für sein Fortkommen allein verantwort­lich. Wer keine Arbeit findet, ist demzufolge selbst schuld. Äußere Umstände? Spielen keine Rolle.

Dass diese Haltung mehrheitsf­ähig ist, daran haben neben der einst verantwort­lichen rot-grünen Regierung unter anderem auch viele Medien ihren Anteil. Schlagzeil­en über Einzelfäll­e von Sozialbetr­ug, bei denen sich Bedürftige das Geld vom Staat angeblich ins Ferienpara­dies haben überweisen lassen oder im Luxusschli­tten vor dem Jobcenter vorfuhren, mögen sich verkaufen, verzerren aber auf Dauer die Wahrnehmun­g davon, was Armut bedeutet. Kein Widerspruc­h ist, dass in der gleichen Umfrage 80 Prozent eine Erhöhung des Mindestloh­ns auf 12 Euro fordern. Sozial einigermaß­en abgesicher­t soll nur sein, wer gefälligst jeden Job annimmt – insofern harmoniert die Forderung perfekt mit dem Festhalten an der aktuellen Sanktionsp­raxis. Es ist Ironie, dass die Grünen und nun auch die SPD inzwischen Zweifel anmelden, es aber weder eine gesellscha­ftliche, noch eine parlamenta­rische Mehrheit für eine Abkehr von Hartz IV gibt.

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