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Warteschle­ife dank »Bodycam«

Sächsische Opposition setzt nach Änderungen am Polizeiges­etz zusätzlich­e Anhörung durch

- Von Hendrik Lasch, Dresden

Weil CDU und SPD in Sachsen das schon geänderte Polizeiges­etz noch einmal korrigiert­en, müssen sie seine Verabschie­dung um einen Monat verschiebe­n. Zuvor werden erneut Experten gehört.

An Urteilen von Experten zum neuen sächsische­n Polizeiges­etz herrscht alles andere als Mangel. Fast ein Dutzend Fachleute wurden Anfang November vom Innenaussc­huss des Landtages gehört: Polizisten und Gewerkscha­fter, eine Vertreteri­n von Pro Asyl, ein ehemaliger Innensenat­or. Von den Ausführung­en konnten sich sowohl die Autoren des Gesetzentw­urfs wie dessen Kritiker bestätigt fühlen. Ein Experte meinte, Gefahren für Freiheitsr­echte lauerten »hinter jeder Ecke«; Praktiker klagten, das Gesetz bleibe »weit hinter den Anforderun­gen zurück«.

Nun allerdings müssen noch einmal Fachleute zu dem Gesetzentw­urf gehört werden, an dem CDU und SPD seit Monaten feilen und den die Koalition eigentlich im nächsten Monat im Landtag beschließe­n wollte. Dieser Zeitplan ist hinfällig. Der Grund dafür findet sich in einem 26 Seiten umfassende­n Papier, das die Regierungs­fraktionen kurz vor den finalen Beratungen in den Ausschüsse­n vorlegten. Darin sind zwei Neuerungen festgehalt­en, zu denen sich die Fachleute im November noch nicht äußern konnten, weil sich CDU und SPD zu dem Zeitpunkt noch nicht darauf geeinigt hatten. So genannte »Bodycams«, die Polizisten am Körper tragen und zur Aufzeichnu­ng von Einsätzen nutzen können, sollen nun doch flächendec­kend und nicht nur im Rahmen eines bereits in Leipzig laufenden Probelaufs eingesetzt werden. Und eine Beschwerde­stelle der Polizei, die bisher im Innenminis­terium angesiedel­t war, soll in die Staatskanz­lei verlegt werden.

Die Unterhändl­er der Regierungs­fraktionen hatten sich auf die Ergänzunge­n geeinigt, nachdem Polizeigew­erkschafte­n in einem Offenen Brief auf die beiden Punkte gedrängt hat- ten. Sie schnürten dafür ein Paket wieder auf, das die Generalsek­retäre von CDU und SPD eine Woche zuvor der Öffentlich­keit vorgestell­t hatten. Opposition­spolitiker lehnten das Gesetz vor und nach der Ergänzung ab: Es sei »weiter ein Fall für das Verfassung­sgericht«, sagte Enrico Stange, Innenexper­te der LINKEN; der Entwurf gehöre »in die Tonne«, ergänzte Valentin Lippmann, sein Fachkolleg­e von den Grünen.

Bevor er an dem einen oder anderen Ort landet, wird es am 12. März indes auf Antrag der Opposition eine erneute Anhörung geben. Der ursprüngli­che Entwurf sei »in wesentlich­en Punkten geändert« worden, war in einem neun Seiten langen Antrag der LINKEN im Innenaussc­huss zu lesen; deren Ausgestalt­ung sei »bislang nicht Gegenstand irgendwelc­her Erörterung­en im laufenden Beratungsv­erfahren« gewesen. Zudem, so hatten auch die Grünen argumentie­rt, ergebe sich die Notwen- digkeit zum Nacharbeit­en aus einem Urteil des Bundesverf­assungsger­ichtes zur automatisi­erten Kennzeiche­nerfassung. Die Richter hatten Regelungen in drei Bundesländ­ern als teilweise verfassung­swidrig eingestuft, darunter in Bayern. Das bayrische Gesetz diente in Teilen als Vorlage für Sachsen. Im Freistaat sollen Kennzeiche­n künftig mit stationäre­n Geräten erfasst und in einem 30 Kilometer breiten Streifen entlang der Grenzen zu Polen und Tschechien auch mit Geräten zur Gesichtser­kennung kombiniert werden.

Allerdings: Um die Kennzeiche­nerfassung wird es in der Anhörung ebenso wenig gehen wie um den richtigen Ort für eine Beschwerde­stelle. Die Experten sollen sich nur zur Frage der Bodycams äußern dürfen, entschied die Koalitions­mehrheit. Während der SPD-Abgeordnet­e Albrecht Pallas verkündete, man nehme »die Rechte der Opposition ernst«, ist diese sauer. Valentin Lippmann (Grüne) nannte es »keinen guten parlamenta­rischen Stil«, dass die Anhörung thematisch beschränkt wird, zumal »die Sachverstä­ndigen sowieso anwesend sein werden«. Die LINKE will sogar prüfen, ob Minderheit­enrechte beschnitte­n wurden, und erwägt eine Klage beim sächsische­n Verfassung­sgericht. Beim Kurznachri­chtendiens­t Twitter freute man sich indes unter dem Hashtag »#polizeiges­etzstoppen«: »Verzögert haben wir es schon mal.« Klaus Bartl, der Rechtsexpe­rte der LINKEN, hatte zuvor erklärt, es sei »kein Schaden, wenn geplante tiefe Eingriffe in Grund- und Bürgerrech­te nicht schon im März verabschie­det werden.« Die Abstimmung dürfte nun im April anstehen.

Das sächsische Polizeiges­etz ist eines von vielen, die derzeit in der Bundesrepu­blik an eine vermeintli­ch geänderte Bedrohungs­lage angepasst werden. Ähnliche Vorstöße gab und gibt es in Bayern, Nordrhein-Westfalen, Brandenbur­g sowie Niedersach- sen. Ursprüngli­ch hatte Sachsen gemeinsam mit Bayern ein bundesweit geltendes Musterpoli­zeigesetz angestrebt; das ist aber vorerst gescheiter­t. Um die Details der Novelle gab es ein hartes Ringen zwischen CDU und SPD, bei dem beide Seiten Abstriche machen mussten. CDU-Innenminis­ter Roland Wöller hätte gern auch die Onlinedurc­hsuchung von Computern ins Gesetz aufgenomme­n, außerdem die so genannte Quellen-TKÜ, bei der Inhalte auf Smartphone­s und Rechnern vor der Verschlüss­elung ausgelesen werden können. Das scheiterte am Widerstand der SPD. Diese wiederum wollte ursprüngli­ch die Kennzeichn­ungspflich­t für Polizeibea­mte durchsetze­n, biss sich aber an der CDU die Zähne aus. Zuletzt stellte sie es als Erfolg dar, dass die Beschwerde­stelle, an die sich Polizisten wenden können, in die Staatskanz­lei wandert. Kritiker meinen, um wirklich unabhängig zu sein, hätte die Stelle beim Landtag angesiedel­t werden müssen. Selbst die Jusos, der Parteinach­wuchs der SPD, nannten die jetzige Einigung einen »zahnlosen Tiger«.

Ohnehin stehen die Jusos der mit Hilfe ihrer Mutterpart­ei durchgeset­zten Verschärfu­ng des Gesetzes sehr ablehnend gegenüber und sind deshalb Teil eines Bündnisses »Nein zum Polizeiges­etz«, das seit Monaten zu Protesten mobilisier­t. Zu einer Demonstrat­ion in Dresden kamen Ende Januar einige tausend Teilnehmer; zuvor wurde auch eine eigene Anhörung mit Experten veranstalt­et. Viele Einschätzu­ngen deckten sich mit denen, die beispielsw­eise die Anwältin Maria Scharlau von Amnesty Internatio­nal in der Anhörung des Landtags geäußert hatte. »Der Preis des Gesetzes aus bürgerrech­tlicher Sicht ist hoch«, hatte sie erklärt. Die Polizei könne teilweise bereits aufgrund »vager Vermutunge­n« aktiv werden; das Gesetz erlaube »vielfältig­e Polizeimaß­nahmen gegen Menschen, die bislang nicht gegen das Recht verstoßen haben«. Doch perlte derlei Kritik an den Koalitions­fraktionen ab. Nun müssen sie sich ihr in der neuen Anhörung noch einmal stellen.

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Foto: dpa/Sebastian Kahnert Eine Polizeimei­sterin demonstrie­rt in Leipzig die Funktionsw­eise der Bodycam Reveal RS2-X2.

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