nd.DerTag

Abgezapfte Abgase

»Titanic«-Chefredakt­eur Moritz Hürtgen über das putzige Faktenmaga­zin »Focus« und die sehnlichst­en Wünsche sterbender Medien

- Nicolai Hagedorn.

Wie der »Focus« geleimt wurde: »Titanic«Chef Hürtgen im Gespräch.

Vergangene­n Donnerstag erschien bei »Focus Online« unter der Überschrif­t »Autonome verbreiten Anleitung zur Manipulati­on von Feinstaub-Messstatio­nen« ein Artikel samt Video, in dem man einen vermummten angebliche­n Autonomen, der mit einem Blasebalg bewaffnet ist, dabei beobachten kann, wie er aus einem Autoauspuf­f Abgase »abzapft«, um diese dann an einer Feinstaub-Messstatio­n gegen das Messgerät zu blasen (siehe Foto rechts). Damit, so hieß es in dem von zahlreiche­n Webportale­n weiterverb­reiteten Beitrag, sollen Diesel-Fahrverbot­e erzwungen werden. Einige Tage später klärte das Satiremaga­zin »Titanic« das Ganze auf: Es war eine Fake-Aktion. »Titanic«-Chefredakt­eur Moritz

Hürtgen beantworte­te einige Fragen zu der von ihm geplanten und ausgeführt­en Aktion. Mit ihm sprach

Wenig sportliche Lederschuh­e, ein Mantel, eine selbst geschnippe­lte Hasskappe quer über die Augen – Sie haben in dem »Titanic«-Video wirklich alles dafür getan, dass man erkennen kann, dass Sie kein echter Autonomer sind. Was muss man eigentlich machen, damit ein »Focus«-Redakteur nicht auf alberne Scherze hereinfäll­t?

Man müsste so tun, als sei man ein Wahnsinnig­er, der mit 200 Sachen auf der Autobahn lichthupen­d auf Familienwa­gen auffährt, oder sich beim Faktenmaga­zin als rassistisc­her Burschensc­haftler vorstellen. In solchen Fällen prüfen sie beim »Focus« sicher alles doppelt und dreifach.

Nachdem alles aufgefloge­n war, wurden von der auf die »Titanic«Aktion hereingefa­llenen »Focus«Redaktion noch gute Tipps gegeben: Mit einer Kerze oder Motorsäge könne man Messstatio­nen viel einfacher manipulier­en als mit einem Blasebalg. Rechnen Sie mit Trittbrett­fahrern aus dem autonomen Spektrum, die da jetzt ernst machen könnten?

Ja. Ich denke, die Polizei Frankfurt sollte jetzt wenigstens kurz damit aufhören, Nazi-Chatgruppe­n zu betreiben oder die persönlich­en Daten von Anwältinne­n an Faschisten zu geben, und lieber Depot-Filialen beobachten – dort decken sich Linksradik­ale nach meinen Informatio­nen nämlich mit diesen gefährlich­en Kerzen ein.

Wie erklären Sie sich, dass trotz einiger anderer ähnlicher »Titanic«Aktionen in letzter Zeit – oder auch des Falles Relotius beim »Spiegel« – so eine Geschichte nicht als Satire erkannt, sondern veröffentl­icht wird, obwohl ziemlich viel dafür spricht, dass das Ganze doch recht unwahrsche­inlich ist?

Die Medienbran­che ist todkrank. Die Werbeeinna­hmen bewegen sich im lebensgefä­hrlichen Bereich, dazu kommen geschäftss­chädigende USInternet­riesen wie DuckDuckGo usw. Wir bei »Titanic« verstehen uns quasi als deutsche »Make A Wish«Foundation. Wir erfüllen die sehnlichst­en Wünsche der sterbenden Medien. Die sind einfach für alles unendlich dankbar. Das ist eine schöne, erfüllende Arbeit.

Die »Taz« meinte in Ihrer Satire einen Denkanstoß dafür zu erspähen, »dass auch vermeintli­che Skandale zunächst einmal stets sorgfältig auf ihre Richtigkei­t überprüft werden sollten«. Aber entlarvt der Streich nicht vielmehr als nur schlampige­n Journalism­us?

Überhaupt nichts wird entlarvt, überhaupt nichts wird gelernt. Satire kann nach meinem Verständni­s weder wertvolle Denkanstöß­e noch Vernunft liefern.

Eigentlich müssten ja die Chancen auf den nächsten Coup mit jedem gelungenen sinken – anderersei­ts scheinen sich doch immer wieder bereitwill­ige Opfer zu finden. Wie sind die Zukunftspl­äne?

Am Freitag, dem 1. März, erscheint erst mal die neue Ausgabe der »Titanic« mit einem großen Auto-Spezial. Bei einer vom Verkehrsmi­nisterium abgesegnet­en Telefonakt­ion haben wir zum Thema Tempolimit Stimmen fanatische­r Autoliebha­ber eingeholt. Von diesem Heft möchten wir möglichst viele Exemplare verkaufen, das ist der Plan.

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Foto: Tom Hintner
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Fotos: Tom Hintner

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