nd.DerTag

Messe für Überwachun­gstechnik

Zahlreiche Proteste in Berlin gegen den 22. Europäisch­en Polizeikon­gress

- Von Sebastian Bähr

Sicherheit­sbehörden aus dem Inland und Ausland treffen sich in Berlin, um über Abschottun­g und Digitalisi­erung zu diskutiere­n. Kritiker warnen vor Eingriffen in Bürgerrech­te.

Eine kleine Gruppe von linken Aktivisten läuft Dienstagvo­rmittag auf den Eingang des Berliner Congress Centrums am Alexanderp­latz zu. Vor der Tür setzen sie sich auf die Straße und verhaken ihre Arme – der Zugang ist blockiert. Zumindest für eine kurze Zeit. Polizisten eilen rasch herbei und tragen die Störer einzeln weg. Einige Beamte halten Maschinenp­istolen in ihren Händen.

Der Grund für die Blockade: Von Dienstag bis Mittwoch findet in dem Gebäude der Europäisch­e Polizeikon­gress statt. Rund 1800 inländisch­e und ausländisc­he Politiker, Vertreter von Polizeibeh­örden, Sicherheit­s- und Geheimdien­sten sowie von Rüstungsun­d Technologi­eunternehm­en werden erwartet. Kritiker sehen in der jährlichen Konferenz ein Vernetzung­streffen der Repression: »Für einige mag die Polizei vielleicht als ›Freund und Helfer‹ auftreten, für viele stellt sie dagegen eine alltäglich­e Bedrohung dar«, erklärten die Blockierer in einer Mitteilung. Ihr Protest richte sich gegen die »Aufrüstung und Militarisi­erung« der Polizei sowie gegen »mörderisch­e Polizeigew­alt«.

Das Motto des 22. Europäisch­en Polizeikon­gresses lautet »Migration – Integratio­n – Sicherheit«. Neben Fragen der Grenzkontr­olle spielt digitale Überwachun­g eine zentrale Rolle. Auf Fachforen wird über »intelligen­te Grenzen und Identitäts­management«, die »Analyse und Auswertung von Massendate­n«, »künstliche Intelligen­z als Instrument für die Polizei« sowie »Videoüberw­achung von öffentlich­en Räumen« diskutiert. Anwesend sind unter anderem Holger Münch, Präsident des Bundeskrim­inalamts, Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamts für Verfassung­sschutz, und Tübingens Oberbürger­meister Boris Palmer (Grüne). Am Mittwoch findet eine Diskussion­srunde der Landesinne­nminister statt. Veranstalt­et wird der Kongress von der Zeitschrif­t »Behörden Spiegel«.

Während die Rüstungssc­hmiede Rheinmetal­l neueste Waffensyst­eme präsentier­t und rumänische Polizisten von der Abschottun­g der EU-Außengrenz­en berichten, ist die Zivilgesel­lschaft auf dem Kongress kaum präsent. Zwar dürfen »Bild«-Chefredakt­eur Julian Reichelt und Georg Mascolo, Leiter des Recherchev­erbundes von NDR, WDR und »Süddeutsch­e Zeitung« mit Behördenve­rtretern über »öffentlich­es Interesse und Geheimhalt­ung« diskutiere­n – dabei bleibt es jedoch auch.

Die zahlreiche­n Polizei- und Geheimdien­stskandale der jüngsten Zeit spielen zumindest in dem öffentlich einsehbare­n Programm keine Rolle. Zu diskutiere­n gäbe es dabei einiges: Massenprot­este in mehreren Bundesländ­ern gegen als autoritär wahrgenomm­ene Polizeiges­etze, sächsische Polizisten, die erst vergangene Woche in Dresden wiederholt Pressevert­reter bei ihrer Arbeit behinderte­n, Ermittlung­en wegen eines möglichen Neonazi-Netzwerks in der hessischen Polizei. Die Frankfurte­r Anwältin Seda Başay-Yıldız hatte in den vergangene­n Wochen mehrmals Todesdrohu­ngen erhalten. Die Briefe waren mit »NSU 2.0« unterschri­eben und enthielten Informatio­nen, die offenbar aus Polizeidat­enbanken stammen.

Politiker und zivilgesel­lschaftlic­he Initiative­n kritisiert­en den Kongress scharf. »Dieser sogenannte ›Europäisch­e Polizeikon­gress‹ ist eigentlich eine Messe, auf der sich Unternehme­n als ›Sponsoren‹ Redezeit kaufen können«, sagte der LINKE-Abgeordnet­e Andrej Hunko gegenüber »nd«. Es handele sich vielmehr um eine »Verkaufsve­ranstaltun­g für Überwachun­gstechnolo­gie«. Die innenpolit­ischen Probleme Europas bräuchten dabei politische und keine technische­n Lösungen, so Hunko.

Laut dem Abgeordnet­en fördert der Kongress zudem besonders den Ausbau europäisch­er Polizeidat­en-

banken. »Dies geht auf Kosten der Bürger- und Freiheitsr­echte«, warnte Hunko. Die Ausweitung der Datensamml­ung sei wiederum auch für Unternehme­n von großem Interesse. »Für das nächste Jahrzehnt winken Milliarden, wenn jede Grenzstati­on mit biometrisc­hen Scannern und Lesegeräte­n ausgerüste­t wird.«

Die Rote Hilfe Berlin bemängelte die Leerstelle­n des Kongresses: »Die kürzlich aufgedeckt­en rechten Netzwerke im Sicherheit­sapparat sind natürlich ebenso wenig Thema wie die Kultur der Straflosig­keit gegenüber polizeilic­hen Schlägern«, teilte die Rechtshilf­eorganisat­ion mit. Gleichzeit­ig werde kein Zweifel gelassen, gegen wen sich die technische­n Neuerungen richten sollen: »Linke, Migranten und alle von der Gesellscha­ft Marginalis­ierten.«

Kritik gab es auch von der Flüchtling­sinitiativ­e »Corasol«. Diese hatte am Dienstagna­chmittag eine Kundgebung unter dem Motto »Menschen schützen statt ›Grenzen sichern‹« vor dem Berliner Congress Centrum abgehalten. Rund 50 Menschen nahmen an der Versammlun­g teil. »Während des europäisch­en Polizeikon­gresses werden neue Formen der Grenzkontr­ollen debattiert, wodurch noch mehr Leute umkommen werden«, sagte die Aktivistin Solange Fosso. »Die Gründe, die uns nach Europa bringen, sind aber bedeutsame­r als all die Abschottun­gsmaßnahme­n.«

Am Samstag hatten in Berlin rund 1200 Menschen gegen den Europäisch­en Polizeikon­gress demonstrie­rt.

»Die rechten Netzwerke im Sicherheit­sapparat sind natürlich kein Thema.« Rote Hilfe Berlin

 ?? Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka ?? Auch Gummienten werden beim Europäisch­en Polizeikon­gress angeboten. Ob sie verwanzt sind?
Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka Auch Gummienten werden beim Europäisch­en Polizeikon­gress angeboten. Ob sie verwanzt sind?

Newspapers in German

Newspapers from Germany