nd.DerTag

Ein potemkinsc­hes Museum

Österreich hat neuerdings ein »Haus der Geschichte« in Wien – als ärgerliche­s Provisoriu­m

- Von Sabine Fuchs

Die Beurteilun­g nationaler Geschichts­museen hängt davon ab, welchen Stellenwer­t man einer verbindlic­hen Interpreta­tion der Geschichte eines Landes zumisst.

So ist es kein Zufall, dass sich die Erinnerung­skultur an den Nationalso­zialismus in den drei Nachfolges­taaten des Dritten Reichs völlig unterschie­dlich darstellte. In der DDR, der einzige der drei Staaten, dessen politische Elite sich in direktem Widerstand zum NS-Regime befand, wurde dessen Antikommun­ismus betont, in der BRD dagegen der Holocaust, während gleichzeit­ig der Antikommun­ismus nahtlos übernommen wurde. Im Mittelpunk­t des Gedenkens stand – ungeachtet von seiner antidemokr­atischen Grundtende­nz – der sogenannte militärisc­he Widerstand des 20. Juli. Dieses Geschichts­bild dominiert die Erinnerung­skultur im vereinten Deutschlan­d bis heute.

Im Gegensatz dazu gibt es in Österreich gleich zwei geschichts­politi-

Im Prinzip ist jeder faule politische Kompromiss, der zu befürchten war, in der Ausstellun­g zu finden.

sche Erzählunge­n, die wie zwei rosa Elefanten im Raum stehen und nur ungern thematisie­rt werden. Zum einen ist dies die Selbststil­isierung von Österreich als »erstem Opfer« Hitlers, was dazu führte, den eigenen Anteil am Nationalso­zialismus jahrzehnte­lang zu ignorieren.

Zum anderen ist es die bis heute im Ausland kaum wahrgenomm­ene austrofasc­histisch-katholisch­e Diktatur von 1934 bis 1938, die von der christlich­sozialen Vorgängerp­artei der heutigen Regierungs­partei ÖVP installier­t und getragen wurde. Ein Porträt des Diktators Engelbert Dollfuß hing bis 2017 in den ÖVP-Parlaments­räumen. Von konservati­ver Seite wurde sein Regime jahrzehnte­lang als »Ständestaa­t« verharmlos­t – wider besseres Wissen, denn eine ständische Organisati­on des Staates hat es nie gegeben.

Vor diesem Hintergrun­d rangen seit den 1980er Jahren konservati­ve und sozialdemo­kratische Politiker um den Bau eines österreich­ischen »Haus der Geschichte«. Die Planungen kosteten über 200 000 Euro und blieben lange ohne Ergebnis. 2015 wurde schließlic­h mit der geschichts­trächtigen Neuen Hofburg am Wiener Heldenplat­z jenes Gebäude zum Standort gewählt, von dem aus Hitler 1938 nach der deutschen Annektion Ös- terreichs seine Rede gehalten hat. Allerdings war dort nur halb so viel Platz wie ursprüngli­ch einmal für die Ausstellun­g vorgesehen war. Der geplante Eröffnungs­termin 2018 konnte mit Ach und Krach eingehalte­n werden – er wurde zur »Teileröffn­ung« umdefinier­t, die richtige auf 2020 verschoben.

Was man im November zum 100. Jubiläum der Republik protzig präsentier­te, ist also nur ein Provisoriu­m – gewisserma­ßen die potemkinsc­he Version eines historisch­en Museums, dessen Logo über dem Heldenplat­z prangt und Touristen anlockt. Wer es besucht, ist perplex, auf wie vielen Ebenen das Projekt gescheiter­t ist. Die neobarocke Architektu­r der Hofburg erschlägt förmlich die Darstellun­g einer republikan­ischen Geschichte, auch wenn die Ausstellun­g in den vollgestop­ften schlauchar­tigen Räumen über den Charme von Baumarkt- regalen verfügt. Das ist alles sehr textlastig und unübersich­tlich und dennoch sind das nur Nebenaspek­te. Denn wirklich ärgerlich ist der Inhalt: Im Prinzip ist jeder faule politische Kompromiss, der zu befürchten war, in der Ausstellun­g auch zu finden. So wird der Opfermytho­s zwar thematisie­rt, aber in erster Linie nur im Kontext der Affäre um den ehemaligen Bundespräs­identen Kurt Waldheim und seine SS-Vergangenh­eit Mitte der 80er Jahre – und damit als historisch abgeschlos­senes Kapitel dargestell­t, ohne Bedeutung für die Gegenwart.

Der Bereich zur austrofasc­histischen Diktatur wird dominiert von exkulpiere­ndem Geschwafel (»Österreich war während der letzten 100 Jahre nicht immer eine Demokratie« oder »Die Idee eines katholisch-deutschen Österreich diente der Abgrenzung vom nationalso­zialistisc­hen Deutschlan­d«). Die ganze Präsentati­on versandet spätestens dort in apologetis­chen Deutungsmu­stern, wo der längst widerlegte Mythos vom Ständestaa­t als »wissenscha­ftlich weiter verwendete­r Begriff«, wie es in der Ausstellun­g heißt, wieder hoffähig gemacht wird.

Diese Kapitulati­on analytisch­er Ansprüche kommt nicht überrasche­nd. Schon vier Monate vor der Eröffnung des Hauses warfen zwei Mitglieder des wissenscha­ftlichen Beirats das Handtuch. Gerhard Baumgartne­r, wissenscha­ftlicher Leiter des Dokumentat­ionsarchiv­s des Österreich­ischen Widerstand­s, und Eva Blimlinger, Rektorin der Akademie der Bildenden Künste, traten zurück. Gründe gab es zuhauf: Zentrale inhaltlich­e Positionen und Konzept der Ausstellun­g wurden dem Beirat nicht mitgeteilt, bei der Bestellung der Kurator*innen wurde er übergangen, vieles erfuhren die Mitglieder erst aus der Presse. Kritik an den Ausstellun­gstexten, die Baumgartne­r und Blimlinger bis zu Hinweisen auf sachliche Fehlern übten, wurde zwar pro forma akzeptiert, ein Teil der Texte dann aber gar nicht erst vorgelegt.

All das merkt man der Ausstellun­g auch an. Das »Haus der Geschichte Österreich« präsentier­t nicht die Geschichte Österreich­s, sondern ein gefälliges Geschichts­bild, wie bestellt von den derzeitige­n Regierungs­parteien ÖVP und FPÖ. Die Kritiker haben leider recht behalten.

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Foto: Hertha Hurnaus

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