Wie Kurfürsten und Mörder twitterten
Das »Revolutionszentrum« im Berliner Podewil lud zum Gespräch #5 über Highlights des Humboldt-Forums ein
Vor dem früheren Haus der Jungen Talente in Berlin, 1991 zurückbenannt in Palais Podewil, nach dem einstigen preußischen Staatsminister Heinrich Graf von Podewil, stehen drei Litfaßsäulen und ein Möbelwagen, die an die Novemberrevolution erinnern, unaufgeregt und sachlich. Dort wird auch auf Fake News, lanciert von der Reaktion, verwiesen, die Anfang März 1919 noch einmal zu blutigen Kämpfen in der Hauptstadt führten.
Im schmucken Barockgebäude, derzeit Sitz des »Revolutionszentrums«, fand am Montag das fünfte Gespräch »Humboldt Forum Highlights« statt, diesmal über Methoden der Geschichtserzählung. Zunächst jedoch die überraschendste Botschaft des Abends: In einem Raum in der ersten Etage des Hohenzollernschlosses wird es eine Ausstellung über Revolutionen der Vergangenheit und Gegenwart geben, kuratiert von Martin Düspohl. Mit Blick auf heutige, in Echtzeit um den Globus kursierende Nachrichten räumte der Historiker so- dann ein, dass Zeitungen, Flugblätter und Handzettel 1918/19 nicht so fix News lieferten, aber auch Hunderttausende Menschen erreichen und manipulieren konnten. So habe der »Berliner Lokalanzeiger« am 15. Januar 1919 kolportiert, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg seien an der holländischen Grenze aufgegriffen worden, eine gezielte Falschmeldung der Mörder. Im Unterschied zu den Neuen Medien, so Düspohl, machte die Presse damals indes keinen Hehl daraus, parteilich zu sein.
Dass das Internet keineswegs neutral ist, betonten Hans Block und Moritz Riesewieck, die unter dem Namen »Laokoon« crossmediale Erzählformate entwickelten und deren Debütfilm »The Cleaners« 2018 mehrere Preise einheimste. Das Duo empörte sich über ein wochenlang im Internet zu sehendes Video, in dem ein Kind der sexualisierten Gewalt eines älteren Mannes ausgesetzt ist. Aufnahmen des sogenannten Napalmgirls hingegen, die die damals neunjährigen Phan Thi Kim Phúc zeigen, würden als »anstößig« eilfertig aus dem Netz gelöscht. Dies habe Block/Rie- sewieck bewogen, sich intensiv mit einer fatalen Schattenindustrie auseinanderzusetzen: Die großen sozialen Netzwerke würden die Überwachung von Einträgen in andere Länder outsourcen, wo für einen Billiglohn junge Leute über Inhalte aus Ländern und Zusammenhängen entscheiden, die sie nicht kennen. Da wird dann eben jenes ikonographische, das kritische Bewusstsein förderndes Foto der kleinen Phan Thi Kim Phúc, die bei einem Napalm-Angriff südvietnamesischer Flugzeuge 1972 schwere Verbrennungen erlitt gelöscht, während zu Hass und Gewalt aufrufende Posts ungestraft Likes ergattern. Ein Beispiel für Letzteres seien Bilder, die Folter, Verstümmelung, Vergewaltigung und Mord an den Rohingya in Myanmar verherrlichen.
Zynisch und pervers finden Block/Riesewieck, dass Facebook und andere Konzerne Deals mit Ländern des Globalen Südens aushandeln: Sie würden diese beim Auf- und Ausbau des Internets unterstützen, wenn jene ihnen ein Monopol einräumen. Widerspruch ernteten die Filmemacher allerdings aus dem Publikum, als sie die Wahlpropaganda des philippinischen Präsidenten Rodrigo Duterte mittels eines nationalen Social-Media-Stars geißelten. »Ist er demokratisch gewählt, oder nicht?«, wollte ein Zuhörer rhetorisch wissen und erntete erwartungsgemäß eine Bejahung.
Was nun aber haben eine MayaVase, bis dato im Völkerkundemuseum von Dahlem und alsbald auf der zweiten Etage des Humboldt-Forums zu sehen, sowie ein Standbild des Kurfürsten Friedrich III., künftig im dritten Stock des Schlosses gezeigt, mit Facebook, Google et al. zu tun? Nikolai Grube, Ethnologieprofessor an der Universität Bonn, und Thomas Biskup, Geschichtsdozent an der University of Hull in Großbritannien, klärten auf: Als Geschenke und Sammelobjekte hergestellte Vasen mit »recht naturalistischen, dramatischen Kriegsszenen« sollten die Macht der Maya-Herrscher verherrlichen und verewigen, so Grube. Die überlebensgroßen Skulpturen der zwölf Brandenburger Kurfürsten dienten gleichsam der noch jungen, aufstrebenden und nach der Königs- krone greifenden Dynastie dazu, mit den alten europäischen Monarchien gleichzuziehen und sie herauszufordern, wie Biskup erläuterte. Gefäße und Statuen waren ergo »Tweets« in damaligen sozialen Netzwerken.
Kurzum: Die montägliche Präsentation und Diskussion unter dem Motto »Erlebt – Erzählt – Behauptet« zerstreute durch Kontextualisierung um einen Deut mehr Befürchtungen, das Humboldt-Forum könnte zu einem »Kolonialladen« mutieren.