Angst vor Vertreibung in der City West
In der Emser- und der Pariser Straße in Wilmersdorf kämpfen Mieter gegen ihre drohende Verdrängung
Stück für Stück entmietet: In dem Mietshaus an der Ecke Emser- und Pariserstraße stehen viele Wohnungen seit Jahren leer. Die verbliebenen Mieter kämpfen gegen Risse und Wasserflecken.
Im Arbeitszimmer zieht sich ein meterlanger Riss durch die Decke, in der Wand klafft ein großes Loch, an mehreren Stellen in der Wohnung sind braune Wasserflecken zu sehen. »Unter diesen Umständen konnte ich hier nicht mehr wohnen bleiben«, sagt Boris Pfeiffer. »An manchen Tagen dachte ich, dass der Boden unter uns sprichwörtlich zusammenbricht.«
Seit 17 Jahren bewohnt Pfeiffer mit seiner Frau eine geräumige Wohnung in einem Mehrfamilienhaus an der Ecke Emser- und Pariser Straße in Wilmersdorf. Der Kiez um den Ludwigkirchplatz gefällt ihm. »Es ist schön, zentral und ruhig.« Doch nachdem die Wohnungen zu beiden Seiten neben und unter ihm bis auf die Grundmauern entkernt worden sind, war es mit der Ruhe vorbei: In Pfeiffers Wohnung bildeten sich durch die Abrissarbeiten tiefe Risse in den Wänden. Unter seinem Fußboden wurde die Decke herausgerissen. Durch eine offene Fuge zwischen den Dielen konnte er direkt in den Bauschutt blicken. Ein Gutachter sah die Statik gefährdet und die Bauaufsicht den Brandschutz von Pfeiffers Wohnung.
»Die Verwaltung kümmerte das nicht«, sagt der Mieter. »Sie hat meine Beschwerden kontinuierlich ignoriert.« Erst ein von ihm angestrengtes Gerichtsverfahren sorgte nach sechs Monaten zumindest für die vorübergehende Wiederherstellung des Brandschutzes. Pfeiffer, der als Autor für Kinderbücher arbeitet, sah sich gezwungen, mit seiner Frau in eine Ersatzwohnung ein paar Straßen weiter zu ziehen. »Vorübergehend«, wie er sagt. Denn die Pfeiffers wollen in ihre alte Wohnung, für die sie nach wie vor Miete zahlen, zurückkehren.
Eine Klage auf Beseitigung der Schäden sowie Schadensersatz gegen die Arkuk GmbH, der das Haus bis 2018 gehörte, ist vor Gericht anhängig. »Ich will, dass das Unrecht, das hier geschieht, öffentlich angeprangert wird«, sagt der Mieter. Pfeiffer ist kein Einzelfall. Von den 70 Wohnungen in dem Eckhauskomplex aus den 1920er-Jahren sind derzeit noch etwa 30 bewohnt. Die restlichen Wohnungen stehen teils seit mehreren Jahren leer. Viele wurden im Auftrag der Arkuk GmbH entkernt. Ziel der Maßnahmen sei die Grundsanierung des Hauses gewesen, wie Firmenchef Mustapha Zarei Rabbani sagt: »Ein Abriss des Hauses wäre unwirtschaftlich gewesen«. Aufgrund der Klagen von Pfeiffer und anderen Mietern hätte er sich zum Weiterverkauf des Gebäudes entschieden. »Ich bin froh, dass wir nichts mehr mit dem Objekt zu tun haben.«
Die Arkuk GmbH hatte das Gebäude 2016 von einem Privateigentümer gekauft. Für damals rund 18 Millionen Euro, wie es aus Mieterkreisen heißt. Zwei Jahre später wur- de das Haus weiterveräußert. Dann zum kolportierten Preis von 30 Millionen Euro. Inzwischen gehört das Mietshaus der »Emser Straße Living GmbH«, einer Marke der Berliner »Primus Immobilien AG«.
Deren Presseanwalt, Christian Schertz, teilt auf nd-Anfrage mit, dass die Immobilie im Rahmen der ge- setzlichen Bestimmungen saniert werden soll. »Der Abriss des Hauses ist ausgeschlossen«, schreibt er. »Ebenso wenig können meine Mandanten die Mietverhältnisse kündigen, noch werden sie dies. Sie bestehen also fort.« Die Mieter befürchten dennoch, dass die leerstehenden Wohnungen nach der Sanierung als Eigentumswohnungen verkauft und die Mieten erhöht werden.
Die Gegend um den Ludwigkirchplatz in der City West ist seit einigen Jahren heiß begehrt bei Investoren. Eigentumswohnungen erreichen rasch einen Kaufpreis von mehr als einer Million Euro. Bestandsmieter mit günstigen Wohnkonditionen gehören hier zum Auslaufmodell. Genau das ärgert Boris Pfeiffer: »In Wilmersdorf ist eine massive Verdrängung von alteingesessenen Mietern im Gang.«
Das hat inzwischen auch die SPD erkannt. »Wir befürchten, dass die Wohnungen nach Verdrängung der Mieter in der Emser- und Pariser Straße in Eigentumswohnungen umgewandelt werden sollen, die dann deutlich teurer verkauft werden sollen«, sagt Franziska Becker von der SPD Charlottenburg-Wilmersdorf. Es müsse geprüft worden, ob die leerstehenden Wohnungen gegen das Zweckentfremdungsverbot verstoßen. »Die Mieter müssen die Sicherheit haben, langfristig in ihren Wohnungen leben zu können«, fordert sie.
Deshalb hat die SPD in der Bezirksverordnetenversammlung beantragt, den Kiez um den Ludwigkirchplatz zum Milieuschutzgebiet zu erklären. Doch ob und wann ein solcher Beschluss kommt, ist völlig offen.