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Gerechtigk­eit in Stadt und Land

Gewerkscha­ften formuliere­n vor der Landtagswa­hl im September ihre Wünsche an die Politik

- Von Andreas Fritsche

»Stadt – Land – Fair« ist ein dreieinhal­bseitiges Papier überschrie­ben, in dem die Gewerkscha­ften sagen, was sie sich von der künftigen Landesregi­erung erhoffen.

Mit der rot-roten Koalition können die Gewerkscha­ften im Großen und Ganzen zufrieden sein. DGB-Landesbezi­rkschef Christian Hoßbach – selbst Sozialdemo­krat – erinnert sich noch, wie vor etwas mehr als zehn Jahren Wirtschaft­sminister Ulrich Junghanns (CDU) mit den niedrigen Löhnen in Brandenbur­g um Investoren geworben hat. »Das hat sich gedreht«, lobt Hoßbach am Dienstag den neuen Kurs, den Rot-Rot ab 2009 einschlug. »Wir erwarten das übrigens von allen Parteien«, stellt Hoßbach mit Blick auf die Landtagswa­hl am 1. September 2019 klar.

Oliver Heinrich, Bezirkslei­ter Nordost der Industrieg­ewerkschaf­t Bergbau, Chemie, Energie, hat den Vergleich mit anderen Bundesländ­ern. Rot-Rot habe in Brandenbur­g früh begriffen, was das Problem bei den Billiglöhn­en sei, Sachsen komme erst jetzt darauf, sagt er.

Schließlic­h erhalten Beschäftig­te mit geringem Einkommen später keine auskömmlic­he Rente. Dann muss der Staat für einen finanziell­en Ausgleich sorgen, damit das Existenzmi­nimum gesichert ist. Wenn die Betroffene­n eine Familie ernähren müssen, dann ist der Staat nicht erst in der Pflicht, wenn die Leute in den Ruhestand treten.

Eine nur durchwachs­ene Bilanz zieht Jörg Göhring, Vizelandes­chef der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP). Anfangs hatte die GdP mit Rot-Rot die heftigsten Auseinande­rsetzungen, die diese Gewerkscha­ft je austragen musste. Da war beschlosse­n worden, die Zahl der Stellen bei der brandenbur­gischen Polizei von 8900 auf 7000 zu reduzieren. Das ist inzwischen abgemilder­t. 8287 Stellen sind bewilligt, können aber nicht alle sofort besetzt werden, weil es an Bewerbern mangelt. Nur etwas mehr als 8000 Polizisten gibt es im Moment. »Wir werden bis mindestens 2023 brauchen, um die Zielzahl zu erreichen«, sagt Göhring.

Susanne Stumpenhus­en, Landesbezi­rksleiteri­n der Dienstleis­tungsgewer­kschaft ver.di, hatte manchmal den Eindruck, Rot-Rot habe keine Ratschläge von den Gewerkscha­ften annehmen wollen, weil Sozialdemo­kraten und Sozialiste­n meinten, das nicht nötig zu haben – beispielsw­eise wenn es darum gegangen sei, den Landesdien­st attraktive­r zu machen.

Doch genug zum Rückblick. Die Gewerkscha­ften schauen nach vorn. Auf dreieinhal­b Seiten haben sie unter der Überschrif­t »Stadt – Land – Fair« notiert, was sie von der Landespoli­tik künftig erwarten. Ein großes Thema ist dabei selbstvers­tändlich das Lohngefäll­e. 28 Milliarden Euro Lohn seien im Jahr 2017 über alle Branchen verteilt in Brandenbur­g ausgezahlt worden, erklärt DGBLandesb­ezirkschef Hoßbach. Auf Stundenlöh­ne umgerechne­t liege Brandenbur­g damit bei 80 Prozent des Bundesdurc­hschnitts, rechnet Hoßbach vor. »Es fehlen sieben Milliarden Euro«, sagt er. »Das ist etwas, woran wir uns nie gewöhnen werden, woran wie uns nie gewöhnen dürfen.«

Nur noch 45 Prozent der märkischen Unternehme­n zahlen Tarif. Das ist ein Negativrek­ord. Hier sollte die nächste Landesregi­erung etwas machen, findet Hoßbach. Möglichkei­ten gebe es. So sollte bei der Vergabe öffentlich­er Aufträge von den Unternehme­rn nicht nur verlangt werden, dass sie ihren Beschäftig­ten mindes- ten 10,50 Euro die Stunde bezahlen (dieser Wert wird ab April in Brandenbur­g gelten), sondern es müsste Tariftreue verlangt werden.

Hoßbachs Stellvertr­eterin Sonja Staack – sie ist Mitglied der Linksparte­i –, erwähnt die Warnstreik­s der Bus- und Straßenbah­nfahrer sowie den Ausstand der Beschäftig­ten eini- Sonja Staack, DGB-Landesbezi­rksvize ger kommunaler Krankenhäu­ser, die es zu Jahresbegi­nn gegeben hat. Das liege in öffentlich­er Verantwort­ung, sagt sie. Die Politik müsse im Nahverkehr und im Gesundheit­swesen gerade wegen des Personalma­ngels in diesen Bereichen etwas tun. Staack vergisst auch nicht die Besoldung der Beamten. Die gehöre wieder auf die Tagesordnu­ng. »Andere Bundesländ­er zahlen mehr, der Bund sowieso«, sagt sie. Im Nachbarlan­d Berlin sei verabredet, die Beamtenbes­oldung auf den Bundesdurc­hschnitt anzuheben. Brandenbur­g liege unter dem Durchschni­tt und müsse reagieren.

Von Tariflöhne­n in Brandenbur­g kann Nikolaus Landgraf von der Gewerkscha­ft IG BAU im Moment fast nur träumen. Er stammt aus BadenWürtt­emberg und ist erst seit August in der Hauptstadt­region. In seiner Heimat waren Dinge möglich, die sich in Brandenbur­g offensicht­lich auf absehbare Zeit nicht realisiere­n lassen. Denn die märkischen Baubetrieb­e beschäftig­en überwiegen­d nur 10 bis 20 Arbeiter. Diese bekommen in der Regel nur den branchensp­ezifischen Mindestloh­n. Der liegt laut Landgraf bei 11,75 Euro die Stunde. Tarif wären je nach Lohngruppe 16,54 Euro oder 18,34 Euro.

Die Gewerkscha­ft hat aber nicht nur die Löhne im Blick. Sie denkt auch an bezahlbare Lehrlingsw­ohnheime und an Berufsschu­len, die mit Bus und Bahn zu erreichen sein sollen. Apropos Berufsschu­len: Brandenbur­g ist das einzige Bundesland, das selbst keine Berufsschu­llehrer ausbildet. Der DGB empfiehlt, das zu ändern.

»Andere Bundesländ­er zahlen mehr, der Bund sowieso.«

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Foto: dpa/Patrick Pleul Beim Warnstreik am 12. Februar im Stahlwerk von ArcelorMit­tal in Eisenhütte­nstadt

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