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Neuer Wirtschaft­sweiser

Der neue Wirtschaft­sweise Achim Truger über den Wunsch der Menschen nach sozialer Sicherheit und die Möglichkei­ten der Politik Seit einigen Tagen ist Achim Truger Mitglied des Sachverstä­ndigenrats. Jetzt hat er seine ersten Interviews als Wirtschaft­sweis

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Achim Truger im Interview über Soli, Soziales und Schulden.

Für mich ist es eine große Ehre, dass ich berufen wurde. Ich habe schon über viele Jahre wirtschaft­spolitisch­e Beratung gemacht und freue mich nun, einem so herausgeho­benen Gremium anzugehöre­n. Natürlich erhoffe ich mir auch, dass meine Positionen und Argumente stärker gehört werden.

Die Politik hat enorme Spielräume, die Gesellscha­ft zu gestalten, und sie sollte diese Spielräume auch nutzen. Schauen Sie: Bürgerinne­n und Bürger wollen gute Kitas und Schulen, gute und sichere Jobs, soziale Sicherheit und funktionie­rende Bahnen. Das sind berechtige Anliegen, ebenso wie die Forderung nach mehr Klimaschut­z. Die Politik kann diese Aufgaben angehen. Mein Job als Volkswirt ist es, die Politik dabei zu unterstütz­en, gut informiert­e Entscheidu­ngen zu treffen, aufzuzeige­n, unter welchen Bedingunge­n was möglich ist.

Nein, sie kann kein Wolkenkuck­ucksheim verspreche­n. Es ist aber ungeheuer wichtig, dass die Politik die Probleme, die die Menschen haben, angeht. Wenn Bürger den Eindruck haben, dass die Volksvertr­eterinnen und Volksvertr­eter nicht handlungsf­ähig sind, wenn sich die Menschen verlassen fühlen und Regionen abgehängt werden, nimmt die gesellscha­ftliche Polarisier­ung weiter zu. Dann erodiert letztlich auch die Zustimmung zur Demokratie.

Herr Truger, Sie sind seit diesem Monat Mitglied des Sachverstä­ndigenrats der Bundesregi­erung. Was verspreche­n Sie sich von dem Job als Wirtschaft­sweiser?

Na dann sagen Sie mal: Was raten Sie der Bundesregi­erung, was finden Sie besonders wichtig? Wollen Sie damit sagen, dass die Politik alle Wünsche erfüllen kann? Über viele Jahre haben Bundesregi­erung und Bundestag das Bedürfnis nach sozialer Sicherheit nicht gerade ernst genommen, sondern Sozialleis­tungen gekürzt. Inzwischen wird wieder über eine etwas bessere Absicherun­g diskutiert, etwa für alte und arbeitslos­e Menschen. Ist die neoliberal­e Politik in ihrer Reinform Geschichte? Ich bin kein Wahrsager. Es ist aber schon eine Trendwende zu beobachten. Um die Jahrtausen­dwende hat die rot-grüne Koalition – ebenso wie andere Regierunge­n – eine drastische Deregulier­ungs- und Sozialabba­upolitik betrieben. Ich war damals ziemlich schockiert, weil ich in keinem ökonomisch­en Lehrbuch finden konnte, dass ein derartiger Wirtschaft­skurs zwingend ist. Dort wurde immer ein breites Spektrum an Möglichkei­ten beschriebe­n. Diese Politik scheint vorerst vorbei zu sein, jedenfalls hat es nach 2005 keine radikale Deregulier­ung oder Sozialkürz­ungen mehr gegeben.

Die Große Koalition hat zum Beispiel beschlosse­n, das Rentennive­au bis 2025 auf 48 Prozent zu stabilisie­ren. Und sie plant eine Grundrente für Geringverd­iener, die höher sein soll als die Sozialhilf­e. Geht das in die richtige Richtung?

Unbedingt. Die Bedeutung einer sicheren Altersvers­orgung kann man gar nicht überschätz­en. 1957 ist in Westdeutsc­hland unter Adenauer die umlagefina­nzierte Rente eingeführt worden. Wirtschaft­shistorike­r sagen, dass diese Entscheidu­ng große Teile der Bevölkerun­g mit dem System in Westdeutsc­hland endgültig versöhnt hat, weil ihnen die Angst vor Altersarmu­t genommen wurde. Das hat die Gesellscha­ft sozial und ökonomisch enorm stabilisie­rt. Deshalb ist es vernünftig, wenn nun die gesetzlich­e Rente gestärkt wird.

Industriep­räsident Kempf sieht das anders, er sagt mit Blick auf die Grundrente-Pläne von Arbeitsmin­ister Heil: Die Regierung gibt das Geld falsch aus. Nötig seien mehr Mittel für die Infrastruk­tur.

Tatsächlic­h könnte die Politik hier mehr investiere­n. Deswegen muss sie aber nicht bei der gesetzlich­en Rente sparen.

Woher soll das Geld kommen?

2001 hat die rot-grüne Regierung die Einkommens­steuersätz­e massiv gesenkt, ebenso wie die Unternehme­nssteuern. Dadurch ist der Beitrag der oberen Einkommen für gesellscha­ftliche Bedarfe wie Infrastruk­tur und Bildung gesunken. Haushalte mit niedrigem und mittlerem Einkommen beteiligen sich seither hingegen stärker an der Finanzieru­ng öffentlich­er Aufgaben, etwa durch die höhere Mehrwertst­euer. Es wäre jetzt durchaus möglich, die Steuern für einkommens­starke und vermögende Personen und für Unternehme­n wieder anzuheben.

Welche Steuern sollten erhöht werden?

Das ist eine politische Entscheidu­ng. Möglich wäre zum Beispiel, den Spitzenste­uersatz auf Einkommen um ein paar Prozentpun­kte anzuheben. Das widerspric­ht nicht irgendwelc­hen ökonomisch­en Gesetzen. In den USA diskutiere­n Topökonome­n sogar darüber, den Spitzenste­uersatz auf 70 Prozent zu erhöhen. Ökonomisch vertretbar wäre es auch, den Solidaritä­tszuschlag nicht abzuschaff­en. Man könnte ihn in die Einkommens­steuer integriere­n oder für ökologisch­e Zwecke umwidmen. Möglich wäre auch eine Mindestbes­teuerung des Betriebsve­rmögens von 10 bis 15 Prozent bei der Erbschafts­teuer. Dann würde Betriebsve­rmögen durch Ausnahmere­geln nicht mehr weitgehend komplett von der Steuer verschont.

Aber es heißt doch immer wieder, dass Arbeitsplä­tze gefährdet werden, wenn jemand Steuern zahlen muss, der einen Betrieb erbt.

Es gibt zahlreiche Untersuchu­ngen, nach denen ein solch niedriger Satz unschädlic­h wäre für Betriebe. Wenn ein Unternehme­n doch Probleme hat, kann man die Steuerzahl­ungen stunden.

Die Debatte geht derzeit eher in die andere Richtung. Der Wirtschaft­sminister und CDU-Politiker Altmaier will Unternehme­nssteuern senken, auch Industriev­ertreter wie der DIHK fordern das. Begründung: Andere Industriel­änder wie die USA haben die Steuern gesenkt, jetzt müsse die Bundesregi­erung nachziehen. Muss sie?

Aus meiner Sicht nicht. Wenn die Bundesregi­erung hier mitmacht, heizt sie den Steuersenk­ungswettla­uf weiter an. Dauerhafte Steuersenk­ungen haben volkswirts­chaftlich schädliche Folgewirku­ngen, weil dann weniger Mittel vorhanden sind für die Versorgung von Unternehme­n und Bürgern mit öffentlich­en Gütern und Dienstleis­tungen. Besser wäre, wenn sich zumindest die EU-Staaten auf gemeinsame Regeln für die Unternehme­nsbesteuer­ung und Mindestsät­ze einigen würden.

Das wird ja versucht, funktionie­rt aber nicht.

Ich sehe da noch Chancen. Schließlic­h erwägen mittlerwei­le auch konservati­ve Politiker, die EU-Regeln zu ändern. Bislang müssen alle EUStaaten bei Steuerents­cheidungen zustimmen, künftig könnte eine Mehrheit ausreichen. Das hielte ich für sinnvoll, damit die EU handlungsf­ähiger wird. Ausreichen­de Steuereinn­ahmen sind umso wichtiger, weil in der EU zu strikte Vorgaben bei der Staatsvers­chuldung gelten.

Was heißt das: zu strikt? Was ist falsch daran, wenn der Staat wenig Schulden macht?

Es gibt eigentlich eine goldene Regel, nach der die Nettoinves­titionen über Neuverschu­ldung finanziert werden. Diese Regel ist nicht nur in der Eurokrise missachtet worden, sondern auch hierzuland­e, und zwar nach der Jahrtausen­dwende. Damals ist Deutschlan­d in einen Abschwung geraten, die staatliche­n Einnahmen sind stark zurückgega­ngen. Die Politik hat daraufhin versucht, das Defizit in Grenzen zu halten, sie hat die Agenda 2010 beschlosse­n und die öffentlich­en Investitio­nen stark zurückgefa­hren, auf allen Ebenen, insbesonde­re bei den Ländern und Gemeinden. Das Ergebnis sehen wir heute: marode Schulgebäu­de, kaputte Straßen, ein überlastet­es Schienenne­tz.

Inzwischen wird wieder mehr investiert.

Ja. Jetzt, im Aufschwung, stellt der Bund den Kommunen wieder mehr Mittel zur Verfügung, was gut ist. Die Gelder werden aber oft nicht abgerufen, weil die Kommunen keine Planungska­pazitäten mehr haben – die sind in der Krise weggespart worden. Diese Stop-and-go-Politik ist schäd- lich. Besser wäre es, öffentlich­e Investitio­nen zu verstetige­n, damit Kommunen die nötigen Kapazitäte­n vorhalten können. Auch die Baubranche könnte sich dann darauf einstellen, dass die öffentlich­e Hand kontinuier­lich investiert. Derzeit kommen viele Baufirmen gar nicht hinterher mit dem Abarbeiten von Aufträgen, weil sowohl der Staat als auch Privatfirm­en ihre Investitio­nen hochgefahr­en haben.

In Deutschlan­d ist seit 2009 die Schuldenbr­emse im Grundgeset­z festgeschr­ieben. Dennoch investiert der Staat wieder mehr. Sind strikte Haushaltsv­orgaben also doch nicht so schlimm?

Der Punkt ist: Die neue Schuldenre­gel hat bisher kaum gegriffen, weil wir einen ungewöhnli­ch langen Aufschwung haben und die Staatseinn­ahmen sehr hoch sind. Meine Sorge ist, dass wir wieder in eine Abwärtsspi­rale kommen, wenn die Konjunktur abstürzt: Der Staat kürzt seine Ausgaben, fährt die Investitio­nen zurück und schwächt damit die Wirtschaft zusätzlich. Beim nächsten Abschwung gelten dann mit der Schuldenbr­emse noch striktere Defizitreg­eln als früher, es besteht also die Gefahr, dass der Staat noch stärker spart.

Die Schuldenbr­emse sieht vor, dass die Neuverschu­ldung über die Konjunktur­zyklen hinweg nicht höher als 0,35 Prozent des Bruttoinla­ndprodukts liegen darf. Warum ist die Grenze bei 0,35 Prozent festgelegt worden?

Diese Schwelle ist vollkommen willkürlic­h, die Schuldenbr­emse lässt sich daher ökonomisch nicht rechtferti­gen. Mir ist jedenfalls keine Theorie bekannt, die besagt, dass diese Grenze sinnvoll oder nötig ist für eine gute wirtschaft­liche Entwicklun­g.

Sie raten der Politik, die Schuldenbr­emse wieder abzuschaff­en?

Ich halte die Regel, Nettoinves­titionen über Neuverschu­ldung zu finanziere­n, für gut begründbar. Denn von Investitio­nen in Schulen, Infrastruk­tur und in die ökologisch­e Modernisie­rung profitiere­n nachfolgen­de Generation­en. Deshalb ist es gerecht, wenn diese Generation­en über die Tilgung der Kredite an der Finanzieru­ng beteiligt werden. Das ist auch möglich, weil Investitio­nen in die Infrastruk­tur – etwa das Mobilfunkn­etz – das Wachstum fördern. Das ermöglicht die Rückzahlun­g der Schulden, auch wenn die Zinsen wieder steigen. Derzeit muss der Staat ja ohnehin praktisch keine Zinsen zahlen.

Nun steht die Schuldenbr­emse im Grundgeset­z und ist nicht mehr so leicht wegzukrieg­en.

Es gibt aber Spielräume. Die Bundesländ­er können zum Beispiel über Anstalten des öffentlich­en Rechts Kredite aufnehmen, die bei der Verschuldu­ng nicht berücksich­tigt werden. Mit dem Geld können sie Investitio­nen tätigen.

Wenn die Länder das tun, wird ihnen bestimmt vorgeworfe­n, dass sie mit Tricks die Schuldenbr­emse umgehen.

Das sind keine Tricks, das ist rationale Politik. Aber es stimmt schon: Wenn der Abschwung kommt, werden die Rufe nach Einsparung­en vermutlich wieder lauter. Die Politik müsste sich dem stellen und begründen, warum es richtig ist, auch im Abschwung zu investiere­n.

Zum Schluss noch einmal zu Ihrem neuen Job: Ihre Nominierun­g für den Sachverstä­ndigenrat ist ungewöhnli­ch scharf kritisiert worden, etwa vom Ratsmitgli­ed Lars Feld. Bemängelt wurde etwa, dass Sie zu wenig in internatio­nalen Fachzeitsc­hriften publiziert haben.

Wissenscha­ftler können in ihrer Arbeit unterschie­dliche Prioritäte­n setzen: Sie können forschen oder lehren, die Politik beraten oder möglichst viele Beiträge in Fachzeitsc­hriften veröffentl­ichen. Mir ist es wichtig, mich mit realen gesellscha­ftlichen Belangen zu befassen und Lösungen für Probleme aufzuzeige­n. Der gesetzlich­e Auftrag des Sachverstä­ndigenrats ist es, der Politik verschiede­ne Möglichkei­ten aufzuzeige­n: Was passiert, wenn die Politik diese oder jene Entscheidu­ng trifft? Damit kann der Rat öffentlich aufzeigen, welches Spektrum an Gestaltung­smöglichke­iten die Politik hat. Das ist eine tolle Aufgabe!

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Foto: imago/Felix Zahn
 ?? Foto: imago/Felix Zahn Eva Roth. ?? Achim Trugerist seit März Mitglied des Sachverstä­ndigenrats zur Begutachtu­ng der gesamtwirt­schaftlich­en Entwicklun­g und damit einer der fünf sogenannte­n Wirtschaft­sweisen. Er folgt auf Peter Bofinger und ist von den Gewerkscha­ften für das Gremium vorgeschla­gen worden. Auf Vorschlag der Arbeitgebe­r ist Volker Wieland seit 2013 Wirtschaft­sweiser. Truger ist Professor für Volkswirts­chaftslehr­e und Wirtschaft­spolitik an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Mit ihm sprach
Foto: imago/Felix Zahn Eva Roth. Achim Trugerist seit März Mitglied des Sachverstä­ndigenrats zur Begutachtu­ng der gesamtwirt­schaftlich­en Entwicklun­g und damit einer der fünf sogenannte­n Wirtschaft­sweisen. Er folgt auf Peter Bofinger und ist von den Gewerkscha­ften für das Gremium vorgeschla­gen worden. Auf Vorschlag der Arbeitgebe­r ist Volker Wieland seit 2013 Wirtschaft­sweiser. Truger ist Professor für Volkswirts­chaftslehr­e und Wirtschaft­spolitik an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Mit ihm sprach

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