Die Dandys von Kinshasa
Mit ihrer Ausstellung »Congo Stars« bietet die Tübinger Kunsthalle eine neue Perspektive auf afrikanische Gegenwartskunst
Der Satellitenkönig ist da, wo er hingehört: ganz oben. Das hybride Fluggerät mit dem Kopf einer afrikanischen Ahnenstatue und dem Rumpf einer Raumkapsel schwebt durchs schwarze All. Ein bunt gewandeter Astronaut greift zum Pinsel, um letzte Hand an den ScienceFiction-Götzen zu legen. Mit der futuristischen Szene malt der aus Kongo stammende Künstler Monsengo Shula sich und seinem Land eine glorreiche Zukunft aus. Jung, vital und voller Optimismus ist das Bild der zentralafrikanischen Republik, das die »Congo Stars« in der Kunsthalle Tübingen zeichnen. In Kooperation mit dem Kunsthaus Graz entwirft die gleichnamige Ausstellung nichts Geringeres als eine neue inhaltliche Perspektive auf die kreative Produktion Afrikas.
Seit Okwui Enwezors Documenta von 2002 kennt das europäische Museumspublikum afrikanische Gegenwartskunst meist in theorielastiger Gestalt, als Illustration postkolonialer akademischer Diskurse. Tübingen dagegen macht alles anders und zeigt die quirlige Kunst der Straßen. Im Fokus der fünf Jahrzehnte überspannenden Auswahl steht weder Installations- noch Medienkunst, sondern populäre Malerei. Schon das ist eine Richtungsentscheidung. Laut und bunt lachen sie uns an, die dicht gedrängten Barszenen des Künstlers Moke (Monsengo Kejwamfi). Zu Maniokbier und Rumba-Rhythmen dampft hier Leib an Leib das tropische Nachtleben. Andere Maler feiern die Helden des Sports und der einheimischen Unterhaltungskultur. In George Makaya Lusavuvus Wimmelbild aus der Megacity Kinshasa dagegen halten sich Faszination und Abscheu gegenüber der Urbanisierung die Waage.
Auf den ersten Blick sind die Künstler weit weg von europäischem Konzeptualismus. Viele Arbeiten tragen noch die Herkunft aus dem Handwerk der Reklamemalerei in sich. Auch hieraus resultiert eine Nähe zu Pop-Art, zu sozialistischem Realismus oder zur Outsider-Art, doch letztlich laufen die Kategorien der westlichen Kunstgeschichte ins Leere. Längst hat in den Ateliers von Kinshasa und Brazzaville eine ästhetische Unabhängigkeitserklärung stattgefunden. Offene Sinnlichkeit, politisches Engagement und plakative Botschaften bilden darin keine Gegensätze. Der Priester und Künstler Bodo (Camille-Pierre Pambu Bodo) etwa nutzt die affektive Kraft von Teufeln und Dämonen, um vor den Verführungen der Prostitution zu warnen. Denn Magie und Mystik behaupten weiter ihren festen Platz im kongolesischen Alltag.
Ursprünglich ist all das nicht fürs Museum gemacht, sondern für den Hausgebrauch. Die Anthropologin Bambi Ceuppens vom Afrikamuseum MRAC in Tervuren bei Brüssel beschreibt die Gemälde im Ausstellungskatalog als »Konversationsstücke«, die zu Gesprächen anregen wollen: mal über Politik, mal über Sport und Musik. Vielseitigkeit, auch das lernt man in der Schau, ist die neue Komplexität. Eine einzige afrikanische Identität gibt es nicht. Eher erscheint die kongolesische Gesellschaft als eine heterogen gewachse- ne, in der das Erbe der kolonialen Unterdrückung, aber genauso vorkoloniale Traditionen und das Bemühen um eine Selbstfindung im globalisierten Zeitalter eine Rolle spielen. Vitshois Mwilambwe Bondo dokumentiert mit der Fotokamera die Subkultur der »sapeurs«. So werden in Kongo jene neuen Großstadtdandys genannt, die durch ihr extravagantes Auftreten die Konventionen herausfordern.
Doch das Bekenntnis zum urbanen Hedonismus bedeutet nicht, dass die aktuelle Kunst ihre Geschichte verleugnet. Das Land ist seit dem 19. Jahrhundert nie mehr zur Ruhe gekommen. Damals fielen belgische Truppen auf der Jagd nach Kautschuk über die Gegend am Kongofluss her. Millionen Menschen verloren dabei ihr Leben. Mit der von Belgien gesteuerten Ermordung des sozialistischen Premierministers Patrice Lumumba und in den nachfolgenden Diktaturen und Bürgerkriegen setzen sich die alten autoritären Strukturen bis heute fort. Auch davon erzählen die Gemälde. Rebellenüberfälle, Schießereien, Vergewaltigungen sind ein wiederkehrendes Thema. Ebenso wie die modernen Kolonisatoren, die internationalen Großkonzerne, die weniger nach Kautschuk gieren als nach den für Smartphones und Computer unverzichtbaren Bodenschätzen.
In einem karikaturesken Gemälde von SAPINart (Makengele Mamungwa) wollen gleich zwei Bewerbergruppen das Land ökonomisch in ihre Fänge locken: speckbackige Europäer und ein konfuzianisch grinsender Chinese.
Es ist eine grandiose Schau. Sie nimmt lokale Kontexte ernst und macht Schluss mit all den Klischees, die über Afrika zirkulieren. Paradoxerweise auch dadurch, dass sie nicht krampfhaft versucht, jedes folkloristische Klischee zu vermeiden. Tanzlust, die Exotik bunter Stoffe und die Erotik nackter schwarzer Haut gehören zur Bildkultur des Landes. So endet die Tübinger Erkenntnisreise zu den leuchtenden Kongo-Sternen mit vielen anregenden Eindrücken, visuell wie intellektuell. Und mit der Gewissheit, dem zeitgenössischen Afrika so nah gekommen zu sein wie schon lange nicht mehr in einem deutschen Museum.
»Congo Stars«, bis 30. Juni, Kunsthalle Tübingen, Philosophenweg 76, Tübingen.