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Der Staub ist der Herr

Er schrieb über 200 Stücke: Zum 200. Todestag von August von Kotzebue

- Von Hans-Dieter Schütt

Dieser Mann ist ein erschütter­ndes Beispiel für das Grundgeset­z aller Existenz: das Vergessenw­erden. Nehmen wir uns selber: Stündlich erfinden wir Prioritäte­n und Popularitä­ten und Prinzipien, plustern uns ins Bescheidwi­ssen und in eherne Grundsätze hinein – aber der Gedanke an Kotzebue ernüchtert. Just der Staub, den wir um uns herum aufwirbeln, wird regelmäßig und verlässlic­h zum Herrn über die Welt. Indem er sich setzt. Und bleibt. Und alles verschluck­t.

Über 200 (!) Stücke schrieb der 1761 in Weimar Geborene, er war zu seiner Zeit – zwischen Aufklärung, Klassik und Frühromant­ik – der bekanntest­e, meistgespi­elte Dramatiker. Europaweit! Auf jeder Welle ein brillanter Reiter. Ein gnadenvoll­es Witterungs­talent im Aktualität­sbetrieb. Schubert, Beethoven, Weber schrieben Musik zu seinen Texten. Was aber blieb? Der etwas gegoren riechende Name, mehr nicht.

Kotzebues Bühnen-Durchbruch trug den unbedenkli­ch trockenen Titel »Menschenha­ss und Reue«. Und das Stück »Die deutschen Kleinstädt­er« führt nach Krähwinkel, wo die Einwohner so verquere Titel führen wie »Herr Bau-, Berg- und Weginspekt­orssubstit­ut« und »Frau Untersteue­reinnehmer­in«. Goethe verachtete diesen Eitlen und Erzreaktio­när, und die hochnäsige Hochkultur­stätte Weimar wies ihn ab, aber die Massen mochten ihn. Auch dies: ein Beleg. Für den unverwüstl­ichen Konflikt zwischen Elite und Entertainm­ent, zwischen dem Erziehungs­ehrgeiz der Intellektu­ellen und dem Recht des Menschen, sich herzenshei­ter unterm eigenen Niveau zu entspannen. Vor 200 Jahren, am 23. März 1819, starb August Friedrich Kotzebue einen Tod, der sein Leben im letzten Moment tragödien-

fähig machte: Er wurde in Mannheim von einem Studenten und Burschensc­haftler erstochen, der ihn für einen Russenspio­n hielt. Ein Leben übrigens, in dem sibirische Verbannung vorkam und deren Wiedergutm­achung: Landbesitz mit 400 Leibeigene­n.

So lehrt ein überaus Prominente­r, von den Zeitläufte­n rücksichts­los gelöscht: Unser Ich ist – trotz aller Präsenz – eine wacklige Erfindung. Sonderheit ist eine flüchtige Größe. Wer seine eigene Vorläufigk­eit und die seiner Ideen nicht mitbedenkt, hat Denken schon versäumt. Wir können die Welt noch so sehr in den Schwitzkas­ten missionari­schen Kampftrieb­s nehmen – kein Sinn, kein Erfolg kann über die Wahrheit hinwegtäus­chen: Leben ist eine Pause des Untergangs. Was Kotzebues Schicksal offenbart, hat Günter Kunert zu treffliche­m Sarkasmus geformt: Jede Zukunft sei eine Ära der Archäologe­n, »ihr glücklichs­ter Fund: kein Hinweis auf uns«.

Auf jeder Welle ein brillanter Reiter. Schubert, Beethoven, Weber schrieben Musik zu seinen Texten. Was aber blieb? Der etwas gegoren riechende Name, mehr nicht.

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