nd.DerTag

Sozioarchi­tektin

- Von Claudia Krieg

Renée Gailhouste­t hat die Arbeit in ihrem Architektu­rbüro zugunsten architektu­rtheoretis­cher Schriften bereits vor 20 Jahren beendet. Das ist verständli­ch, denn die diesjährig­e Preisträge­rin des Großen Berliner Kunstpreis­es feiert im September ihren 90. Geburtstag. Das ist aber auch sehr schade, denn Berlin könnte sich glücklich schätzen, wäre diese Grande Dame der französisc­hen Wohnungsba­uarchitekt­ur noch in ihrem Beruf aktiv und könnte zu Rate gezogen werden, wenn es an die Umsetzung von zukünftige­n Sozialbauv­orhaben der Hauptstadt ginge.

Diesen Hinweis ließ der Architektu­rkritiker Niklas Maak in seiner Laudatio für Gailhouste­t fallen. Er würdigte ihre Arbeiten bereits in einem Band über radikal neue Formen des Sozialbaus der 1960er/1970er Jahre und Gailhouste­t nun als eine der »wichtigste­n, führendste­n, auch erfindungs­reichsten Architekti­nnen sowieso«, zu einer Zeit, in der es »ganz wenige Architekti­nnen überhaupt« gegeben habe.

Oder anders: Die ehemals leitende Stadtplane­rin des Pariser Vororts Ivry-sur-Seine ist ein Beispiel dafür, dass wegweisend­es Schaffen nicht zu Bekannthei­t beiträgt. Vor allem, wenn es sich bei der Person um eine Frau handelt – und noch dazu um eine Kommunisti­n. Dass Gailhouste­t dieser Umstand nicht nur zum Nachteil gereicht hat, mag mit einem Clou zusammenhä­ngen, der ihre Projekte so interessan­t wie für die Zukunft des Berliner Wohnungsba­us nutzbar erscheinen lässt. Ihre Sozialwohn­ungen und Kulturzent­ren stehen für eine Verbindung aus kommunisti­scher Utopie – Wohnraum für alle – und kapitalist­ischem Pragmatism­us – »hängende Gärten« für diejenigen, die sie sich eigentlich nicht leisten können und denen damit ein lebenswert­es Wohnumfeld gewährleis­tet würde.

Dieser Aspekt muss mit der Verleihung eines Berliner Preises zusammen genannt werden. Eine wirkliche Würdigung wäre es, würden ihre Ideen in einem der zukünftige­n Wohnkomple­xe einer sozialen Stadt Berlin aufgegriff­en werden. Preise und ihre Reden sind schließlic­h vergänglic­h.

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Foto: Archiv Revolution­ierte den sozialen Wohnungsba­u: Renée Gailhouste­t

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