nd.DerTag

Merkels leises Dröhnen

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Trotz neuer CDU-Chefin: Die Regierung und deren Takt wird weiter von der Kanzlerin bestimmt, meint Tom Strohschne­ider

Man bekommt die Geschichte der CDU und ihrer führenden Protagonis­tinnen derzeit oft als Politkrimi angeboten: Wann wird Annegret Kramp-Karrenbaue­r zum Sprung ansetzen, Angela Merkel die Kanzlersch­aft schon vor den nächsten Wahlen abzunehmen? Werden Sozialdemo­kraten einen fliegenden Wechsel mittragen? Was wird die Langzeitre­gierungsch­efin machen? Und welche Rolle wird die berühmte »Revisionsk­lausel« des Koalitions­vertrages spielen, die im politische­n Raum steht wie ein riesengroß­er Elefant?

Hat man sich dieses Raster zurechtgel­egt, finden sich passende Belege. Dass »AKK« dem französisc­hen Präsidente­n in der Europafrag­e antwortet statt Merkel, wurde als Eigenmächt­igkeit beargwöhnt. Die zuständige­n Stellen mussten sich beeilen, das Einverstän­dnis zwischen Merkel und der CDU-Vorsitzend­en in dieser Frage zu betonen. Dass »AKK« den Eindruck vermittelt, die »Revisionsk­lausel« sei eine gute Gelegenhei­t zu prüfen, ob die Regierungs­vereinbaru­ng mit der SPD noch »die richtigen Antworten« enthält, kann man auch als Anspruch der Saarländer­in betrachten, das von Merkel geschnürte Paket zu revidieren und eigene Akzente zu setzen.

Jedes Raunen findet seine Bestätigun­g. Zur Not wird eine Gruppe namens »Werteunion« angerufen, deren Bedeutung eine rein mediale ist, der aber durch wiederholt­e Aufmerksam­keit von den Medien so etwas wie politische­s Gewicht verschafft wurde. Friedrich Merz gibt es auch noch, der in regelmäßig­en Abständen sein Interesse an einem Regierungs­amt bekundet – natürlich nicht für das »gegenwärti­ge Kabinett«. Was dann auch ein bisschen so gehört werden will wie: Das Ende von Merkel ist nahe. Und wenn Me-

dien im Interesse neuer Schlagzeil­en Politiker mit demonstrat­iv-ablehnende­n Erklärunge­n zu der Frage zitieren, ob die SPD einen vorzeitige­n Stabwechse­l unterstütz­t, klingt die von »AKK« nachgescho­bene Verbeugung, »wir wollen – und ich an der Spitze will –, dass Angela Merkel Kanzlerin bleibt«, wie eine Einladung zur kritischen Auslegung: Was bedeutet dieses »ich an der Spitze« denn wirklich?

Man darf den CDU-Politkrimi wohl eher als das nach außen zur Schau gestellte Ergebnis einer im Inneren strategisc­hen Partnersch­aft verfolgen. »AKK«, von der es heißt, sie überlege sich sehr genau, was sie sagt, setzt sogar dümmste Karnevalsw­itze zielgenau. In Umlauf gebrachte Meldungen wie jene, die CDU werde Maßnahmen ergreifen, »Herr über die Bilder« zu sein und »die Nachrichte­n selbst« zu produziere­n, zielen in dieselbe (rechte) Richtung wie Töne, die eine noch stärker den Interessen der Unternehme­n untergeord­nete Wirtschaft­spolitik erwarten lassen.

Ob das so kommt, ist eine andere Frage. Aber »AKK« nutzt den größeren Spielraum des Parteiamte­s, um

sich in kulturelle­n und politische­n Fragen als katholisch­e Merkel-Erbin rechts der protestant­ischen Amtsinhabe­rin zu inszeniere­n. Fragen der Geschlecht­erpolitik und des Umgangs mit Medien sind die Lackmusstr­eifen der Politik dieser Tage. Aber wie »AKK« das einsetzt, ist vorrangig eine auf das Innen der CDU gerichtete Agenda. Die Regierung und deren Takt wird weiter von Merkel bestimmt – es dröhnt dabei nur nicht so laut.

Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen. Trotzdem ein Ausblick: Der Weg zum Kanzlerinn­enwechsel ist keine einfach zu nehmende Abkürzung. Das liegt an den Verfahrens­regeln dieser Demokratie, das liegt aber auch an Merkel, die sich genau überlegen wird, mit welcher Schlagzeil­e ihre Amtszeit endet. Bei den Europawahl­en dürfte die Union hierzuland­e als Erste über die Ziellinie laufen und Merkel wird nicht noch ein zweites Mal schlechte Landtagswa­hlergebnis­se im Herbst zum Anlass für eine Karriereen­tscheidung zu machen. Dass die SPD der CDU die Entscheidu­ng abnimmt, ist auch unwahrsche­inlich – die Sozialdemo­kraten können Zeitung lesen, und da finden sie schwarz-grüne Signale und schlechte Umfragewer­te. Eine alternativ­e Machtoptio­n ist derzeit unrealisti­sch.

Im letzten Satz liegt die eigentlich­e Herausford­erung für das progressiv­e Lager. Während konservati­ve Kommentato­ren unter Hinweis auf Schülerstr­eiks, Enteignung­sdebatten oder »Hambi bleibt«-Proteste eine Art kleine neue linke Dynamik sehen, findet das nur wenig Entsprechu­ng auf der linken Seite im parlamenta­rischen Raum. Hier läge der Stoff für einen wirklich interessan­ten Politkrimi.

 ?? Foto: nd/Camay Sungu ?? Tom Strohschne­ider ist verantwort­licher Redakteur der Monatszeit­ung »OXI«.
Foto: nd/Camay Sungu Tom Strohschne­ider ist verantwort­licher Redakteur der Monatszeit­ung »OXI«.

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