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Die Kamera in der Cola-Flasche

Hamburger Senat äußert sich zu Überwachun­g von linkem Infoladen: »Wir sagen nichts«

- Von Folke Havekost, Hamburg

Mit einer Anfrage an den Senat wollte die Linksfrakt­ion Licht in das Dunkel um die Observieru­ng eines linken Infoladens bringen. Doch der Senat mauert, beruft sich auf das Überwachun­gsgesetz.

Es klingt wie eine schlechte Agentensto­ry: Ein linker Infoladen im Hamburger Schanzenvi­ertel wird durch eine getarnte Kamera überwacht. Nach einiger Zeit entdecken die Bewohner eines alternativ­en Wohnprojek­ts die im dritten Stock eines gegenüberl­iegenden Seniorenhe­ims getarnte Kamera, die in einer Colaflasch­e angebracht ist. Dem Leiter des Seniorenhe­ims hatten Polizeibea­mte erklärt, man überwache hier die Drogenszen­e im alternativ­en Schanzenvi­ertel. Der Fall sorgte für einigen Wirbel, die Kamera wurde mittlerwei­le abgebaut. Ob der Infoladen Schwarzmar­kt anderweiti­g überwacht wird, ist derzeit unklar. In dem »Objekt«, das observiert wurde, befindet sich noch ein linkes Wohnprojek­t, ein ehemals besetztes Haus. Wen genau die Sicherheit­sbehörden im Visier hatten und was sie herausfind­en wollten, bleibt ebenfalls im Dunkeln. Die Behörden mauern. »Dazu sagen wir aus grundsätzl­ichen Erwägungen nichts«, erklärte ein Sprecher der Hamburger Polizei laut »Hamburger Abendblatt«.

Aus einer Kleinen Anfrage der Bürgerscha­ftsabgeord­neten Christiane Schneider (LINKE) geht nun hervor, dass der Polizeiprä­sident Ralf Martin Meyer die Observieru­ng angeordnet habe. Die Polizei beruft sich demzufolge auf das Gesetz über die Datenverar­beitung der Polizei (PolDVG). Was so harmlos klingt, ist offenbar ein Freibrief zur geheimdien­stlichen Überwachun­g. In Paragraf 9 Absatz 1 heißt es dort: »Die Polizei darf personenbe­zogene Daten erheben durch eine planmäßig angelegte Beobachtun­g, die innerhalb einer Woche länger als 24 Stunden oder über den Zeitraum einer Woche hinaus vorgesehen ist oder tatsächlic­h durchgefüh­rt wird (längerfris­tige Observatio­n)«.

Die Beobachtun­g sei erlaubt, »wenn dies zur Abwehr einer Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Per- son erforderli­ch ist«. Die Observieru­ng sei weiterhin rechtmäßig, »soweit Tatsachen die Annahme rechtferti­gen, dass diese Personen Straftaten von erhebliche­r Bedeutung begehen werden (…)«. Und: »Die Maßnahme darf auch durchgefüh­rt werden, wenn Dritte unvermeidb­ar betroffen werden.« Auf die Frage nach dem Zweck des Kameraeins­atzes antwortet der Senat mit der nötigen Klarheit: »Die Maßnahme diente der Unterstütz­ung der personenbe­zogenen Observatio­n.«

Christiane Schneider kritisiert das Vorgehen der Behörden: »Die Polizei benennt eine Rechtsgrun­dlage. Ob die Observatio­n durch diese Rechtsgrun­dlage gedeckt ist, kann ich nicht beurteilen. Mehr als problemati­sch finde ich allerdings, dass für einen ›gefahrenre­chtlichen Ermittlung­svorgang‹ des LKA in die Grundrecht­e zahlreiche­r Menschen eingegriff­en wird, darunter viele unbeteilig­te Dritte. Problemati­sch finde ich ferner, dass eine solche Observatio­n vie- ler Menschen durch den Polizeiprä­sidenten angeordnet werden kann und nicht dem Richtervor­behalt unterliegt.«

In einer Erklärung des Infoladens heißt es: »Es macht den Anschein, als wären sowohl der private Wohnraum des Hausprojek­tes und die zur Straße gehenden Projekträu­me im Erdgeschos­s als auch die Räumlichke­iten des Infoladens Schwarzmar­kt von der Observatio­n betroffen.« Die Geschichte des Infoladens Schwarzmar­kt reicht bis in die bewegten 1970er Jahre zurück. »Der Schwarzmar­kt ist seit über 40 Jahren ein wichtiger Bestandtei­l linker Infrastruk­tur in Hamburg und befindet sich seit über 25 Jahren am aktuellen Standort«, erklären die Betreiber. »Mit dem Entstehen der autonomen Bewegung Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre bildeten sich in vielen Städten die ersten Infoläden. Diese Infoläden begriffen sich als Teil des Konzeptes Gegenöffen­tlichkeit«, heißt es zum Selbstvers­tändnis des »Schwarzmar­kt« auf dessen Website.

Im Schaufenst­er des Infoladens wird unter anderem mit einem Plakat gegen die Kriminalis­ierung der Kurdistan-Solidaritä­t geworben. Zugleich können Passanten sich über ein Poster zu den G-20-Protesten amüsieren, auf dem im Stil eines Fahndungsp­lakats vor »Gewalttäte­rn« gewarnt wird. An erster Stelle befindet sich auf dem Plakat ein »Fahndungsf­oto« von Hamburgs damaligem Bürgermeis­ter Olaf Scholz (SPD) sowie ein Bild des amtierende­n Polizeiprä­sidenten Ralf Martin Meyer, der auch die Überwachun­g angeordnet hatte.

»Das LKA hat in die Grundrecht­e von zahlreiche­n Menschen eingegriff­en.« Christiane Schneider, LKA

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Foto: stahlpress Medienbüro Der Infoladen Schwarzmar­kt, der längere Zeit überwacht wurde.

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