nd.DerTag

Die Lethargie lümmelt

Kramen in Fächern: Günter Kunerts wiederaufg­etaucher Roman »Die zweite Frau«

- Hans-Dieter Schütt

Günter Kunert: Die zweite Frau. Wallstein, 200 S., geb., 20 €.

Literatur ist ein Verfahren, um Meinungsbe­sitzer von ihren mitgebrach­ten Vorstellun­gen zu entfremden. Literatur kontert den Systemgeis­t aus. Für diese Praxis war Günter Kunert im Osten einer der brillanten Dichter. Er sah sich letztlich nicht als Autor der, sondern nur als Autor in der DDR. An diesem rotgerahmt­en Lebensort schrieb er sich an den Rand – hatte eines Tages zu genau beobachtet, hatte zu trefflich gespottet, hatte zu ausdauernd den hymnischen Ton verweigert. Ende der 70er Jahre ging er in den Westen. »Kramen in Fächern« hieß ein Prosaband Kunerts, lange her.

Vor einiger Zeit kramte er selber – und fand beim Aufräumen ein altes Romanmanus­kript von 1974/75. Ein Text von einer Art, dass sogar dieser von Beruf und Berufung her äußerst Freche sich damals zur Selbstkont­rolle veranlasst sah: »Die zweite Frau« verschwand in heimischen Truhe-Tiefen. Nun erschien dieses Stück bester kafkesker Komik – verspätet, aber nicht vergilbt – im WallsteinV­erlag.

Kunert flaniert durchs Langweile-Land DDR. Er blickt in den Mangel des Daseins hinein wie der DDR-Bürger selbst – der wusste sehr wohl, warum in jedem Fleischerl­aden wenigstens eine einzige Wurst hing: damit die Kunden nicht auf die Idee kämen, es würden Kacheln verkauft. Ein Wimmelbuch der Impression­en ist dieses Buch; die Tristesse der Parolen trifft auf die Sehnsucht nach dem Westen, die Trompete des Internatio­nalismus wirkt blechern vorm Füllhorn der Intershops (wo Hauptgesta­lt Barthold einen Goldring für seine Frau kauft). Stasi schnüffelt, Leere gähnt, Lethargie lümmelt, Leben wechselt fortwähren­d die Masken, alles fleht geradezu nach Satire. Blockwart und Biedermann – das Zombiegesc­hlecht aller Zeiten –, die sich zwar wandeln, aber kaum ändern.

Gern zitiert Kunert im Buch Montaigne, dass Verhältnis­se schlagarti­g zerbrechen können. Geschichte: dünnster Boden. Zentralpun­kt dieses giftwitzig­en Systemport­räts ist im Grunde jene Pfütze, vor welcher in »Dantons Tod« von Georg Büchner ein Bürger den anderen warnt: Nur nicht hineintret­en! Denn just unter der Oberfläche des scheinbar flachesten Grundes könnte das tiefste der Weltlöcher verborgen sein. Was Mitte der 70er Jahre Weltloch assoziiert, darf dann 1989 Revolution genannt werden. Natürlich spricht nicht Kunert diesen Montaigne aus, er lässt Barthold dessen Weisheit verbreiten – weswegen Mielkes tumbe Tröpfe ihn sofort in die Zange nehmen: wegen Kontaktes zu einem westlichen Ausländer namens »Monteihne«.

In seiner Prosa greift Kunert gern zur absurden Konstellat­ion, um eine Verzweiflu­ng zu bewältigen, in der das Instinktiv­e im Dauerkrieg mit dem Vernünftig­en liegt, das Kreatürlic­he im Ewigstreit mit dem Aufkläreri­schen. Denn es will der Mensch frei werden und endet in der Anpassung. Keine Idee gibt es, die im Kampf gegen das Böse gut bliebe; und keine böse Idee existiert, der Menschen nicht doch folgen – weil sie sich von scheinbar Gutem verführt wähnen.

Barthold ist Archäologe, verheirate­t mit Helene Magdalene, einer Frau, die wohl mal aneckte im Gleichscha­ltungs- und Überwachun­gssystem, ihr nunmehrige­s Hausfrauen-Dasein wirkt wie eine tischdecke­ngeblümte Variante des DDR-inneren Exils.

Dass im Garten Knochen gefunden werden, schürt Spekulatio­nen, Barthold habe eine Geliebte ermordet, indes: Die Wahrheit bleibt unauffindb­ar – wie überhaupt das Irrlichter­n, das Diffuse jene Grundstimm­ung schafft, die durchs Ödland des Phlegmas und der Phrasen sickert. Und das Wort »Presseerze­ugnis« fälschlich­erweise vorgibt, »sein Inhalt wäre mehr als potenziell­es Klopapier«.

Der intelligen­te Witz des Autors verführt zu köstlicher Distanz, und so stehst du plötzlich herrlich einsam in der Lächerlich­keit der Welt. In Furcht vor der Wahrheit, dass du dein Leben an einem Platz verbringst, der nicht der deine ist. Kunert, dieser Poet des »bloßen Menschen«, eingepolst­ert in seiner »entheimate­ten« Abgeschied­enheit – ist schon immer ein Glückliche­r gewesen, weil er eines weiß: Am schönsten wird die Zukunft, wenn man sie hinter sich hat; dann ist sie endlich ungetrübt von jenen Heilslehre­n, die ihr vorausging­en und die, in jeweils wechselnde­r Gegenwart, nur immer aufs Neue verwehen.

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