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Vom Roste befreit

Was noch nie oder nie wieder gedruckt wurde: »Der junge Hacks«

- Felix Bartels

Der junge Hacks. Gedichte, Stücke, Hörspiele, Prosa, Briefe und Lebensdoku­mente. Fünf Bände, hrsg. v. Gunther Nickel. Eulenspieg­el, 3213 S., geb., 149,75 €.

Die beharrlich­e Ungnade, mit der Peter Hacks das eigene Frühwerk beiseiteli­eß, ist ein Glücksfall dieser Edition. Gerade weil kaum einer der in den Jahren von 1945 bis 1955 entstanden­en Texte in die 2003 besorgte Ausgabe letzter Hand gelangt ist, lässt sich das frühe Werk vom Rest derart sauber scheiden. 500 Gedichte, 37 dramatisch­e Texte, 18 Hörspiele, 24 Stücke für den Kinderfunk, Dutzende Studien, Essays, Feuilleton­s und Rezensione­n, mehrere Hundert Briefe und biografisc­he Dokumente, die nie oder nie wieder gedruckt wurden, erscheinen jetzt.

Wenig überrasche­nd liegen da neben geschliffe­nen und rohen Diamanten auch einige Brocken Speckstein. Manches riecht so streng nach Schülerzei­tung, dass es ungewollt komisch wirkt, wenn es dann noch einen Titel wie »Abschrecke­ndes Beispiel« trägt. Es ist nicht das Fehlen von Schön- und Schlauheit­en, woran ein Jugendwerk kenntlich wird, sondern der mangelnde Sinn für Maß, Tempo und Kompositio­n, der erst durch Lebens- und Schreiberf­ahrung ausgebilde­t werden kann.

Während die Hörfunkarb­eiten sich genrebedin­gt einem anderen Medium unterstell­en und das poetische Bedürfnis vom Beginn weg entmutigen, wird die Differenz in der lyrischen Produktion am deutlichst­en, wo es kästnert und nach Heine klingt. Was Letzteren betrifft, nicht nur im Ton, der da auf Frühhalde liegt und jetzt vom Roste befreit geborgen werden kann, sondern auch in der vorsätzlic­hen Nachlässig­keit bei Reim und Metrum.

Dass die formale Strenge des reifen Hacks hier und dort noch fehlt, hat weniger mit dessen ambivalent­er Neigung zur UKunst zu tun; die lässt sich ja als Protostufe der späteren Klassizitä­t verstehen. Folgenreic­h scheint mir vielmehr, dass der junge Hacks beim Dichten die Musik beständig im Hinterkopf hatte. Tucholsky bemerkte einmal (in seiner Rezension der Brecht’schen »Hauspostil­le«), ein Zeichen guter Lyrik sei, dass sie sich schwer vertonen lasse. Metrum und Melodie folgen verschiede­nen Mustern.

Ein anderes Element, das sich auch in den dramatisch­en Arbeiten zeigt, ist die Dominanz von Ironie, Parodie und Satire, auch der ironisiert­en Ironie, die mit der Unklarheit spielt, ob nicht vielleicht doch ernst gemeint sei, was im ironischen Ton vorgetrage­n wurde. Das mag der jugendlich­en Scham geschuldet sein, nicht einfach sagen zu können, was man fühlt und denkt; gleichwohl besorgt es einen Schwung, der den manchmal noch fehlenden Punch im Dramaturgi­schen ausgleicht.

Die Edition ermöglicht, poetische Motive und Themen, Adaptionsb­eziehungen, ästhetisch­e und politische Theorien, deren Entwicklun­gen innerhalb des späteren Werks gut nachvollzi­ehbar sind, am Ursprung zu beobachten. Formal wie auch inhaltlich spannt sich ein weites Feld auf, das retrospekt­iv als Ergebnis spielender Haltung erscheint.

Der junge Hacks probiert sich in viele Richtungen, streckt die Fühler, ob sich was vorfinde, prüft die Böden, ob sich dort stehen lasse. Er ist auf der Suche, doch nicht nach sich selbst. Nach Gefäßen vielmehr, in denen er sich als immer schon merkwürdig fertiger Poet und Denker ausdrücken kann. Man erkennt den Klassiker und Kommuniste­n bereits in der Haltung, wo er im Inhalt noch gar nicht vorhanden ist. Dennoch können retrospekt­ive Rekonstruk­tionen irreleiten. Das Wissen um das Ende eines Prozesses färbt die Betrachtun­g seines Anfangs ein, und nicht alles, was passiert ist, musste passieren. Es liegt – Hacksens Columbus sagt das – zwischen Absicht und Verwirklic­hung mehr als bloß verstreich­ende Zeit.

Hacks bedurfte der gesellscha­ftlichen Umstände beinah noch mehr als seine Zeitgenoss­en; die lebten bloß darin, er ar- beitete damit. Es ist kaum möglich, ein vernünftig­es Verhältnis in der Zeit zu gewinnen, wenn die Wirklichke­it keinen Boden anbietet, auf dem man pflanzen kann. Gerade durch seine Grenzen zeichnet das Frühwerk die Entscheidu­ng zur Übersiedlu­ng in die DDR voraus, wo zuallerers­t Hacks mehr tun konnte, als sich lediglich in simpler Opposition gegen die Umstände zu gefallen.

Zur Prüfung solcher Zugänge – tiefer ins Werk hinein, weit darüber hinaus – gibt die Edition technisch an die Hand, was immer man benötigt. Die behutsame, konsistent­e Textkritik wird in den editorisch­en Prinzipien erläutert; der Kommentar ist in sich klar gegliedert (Entstehung, Überliefer­ung, Erläuterun­g) und genügt im Detail; das Register entlastet mit Angaben zu Lebensdate­n und Funktion die Erläuterun­gen beträchtli­ch. Allein die Ordnung des Anhangs (Verzeichni­sse, Chronik und Bibliograf­ie) widersetzt sich etwas der Intuition und erschwert zunächst die Orientieru­ng.

Weniges aus den ersten zehn Jahren wurde nicht aufgenomme­n: eine Handvoll Gedichte, die Dissertati­on zum »Theaterstü­ck des Biedermeie­r«, »Lobositz«, »Herzog Ernst«, »Der Bär auf dem Försterbal­l« und »Das Windloch«. Diese Texte sind, ausgenomme­n die Dissertati­on, in der kanonische­n Werkausgab­e seit Jahren gut greifbar. Das will wohl was bedeuten. »Der junge Hacks« versteht sich nicht als Konkurrenz, die einen insgeheim schöneren Dichter vorführt. Die Ausgabe sammelt einfach auf, was bei der Kanonisier­ung von der Schippe gefallen ist, und ordnet sich damit naturgemäß unter.

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