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Aus dem Dunkeln

Doch, doch, die DEFA hatte auch Regisseuri­nnen: Der wichtige Sammelband »Sie«

- Gerda Lehmann-Senftenber­g

Cornelia Klauß/Ralf Schenk (Hg.): Sie. Regisseuri­nnen der DEFA und ihre Filme. Bertz + Fischer, 416 S., geb., 29 €.

»Frauen machen keine Filme«, bekam Eva Fritzsche zu hören, als sie 1948 bei der DEFA vorsprach. Im Grunde genommen gerät diese Auffassung erst seit Kurzem ins Wanken, durch Initiative­n wie Pro Quote Film.

Eva Fritzsche hat dann aber doch Filme gemacht, unter anderem 1949 »Die Brücke von Caputh«, den der Autor Günter Jordan »einen der interessan­testen Dokumentar­filme aus dieser Zeit« nennt. Er liegt nun, zusammen mit 17 weiteren weitgehend unbekannte­n, frisch restaurier­ten und digitalisi­erten Werken, als Doppel-DVD dem soeben erschienen­en Kompendium »Sie. Regisseuri­nnen der DEFA und ihre Filme« bei.

Die Herausgebe­r Cornelia Klauß und Ralf Schenk entreißen 63 Filmemache­rinnen buchstäbli­ch dem Dunkel der Geschichte. Ein paar wenige bekannte Namen wie die von Helke Misselwitz, Iris Gusner, Barbara Junge, Annelie Thorndike oder Gitta Nickel befinden sich darunter, von der Mehrzahl aber hat man noch nie etwas gehört.

Das liegt vor allem daran, dass sie eben in den seltensten Fällen die ganz großen Filme gemacht haben, machen durften. Selbst wenn sie einen Stoff entwickelt­en, ist zu erfahren, wurde der Film dann oft an männliche Kollegen vergeben. Frauen mussten sich erst bewähren: als Regieassis­tentin, Dramaturgi­n oder Schnittmei­sterin. Viele gelangten in diesen Profession­en zur Meistersch­aft – nur wenige schafften den Sprung ins Regiefach. Ihr Anteil an den Filmen der Herren ist zudem größer, als die Credits vermerken. Ella Ensink: »Die Regisseure gingen immer schon frü- her weg, und ich machte den Film zu Ende.«

Als normal galt es auch, dass Frauen zunächst im Kinderfilm eingesetzt wurden oder für das »Sandmännch­en« produziert­en. Muss man noch erwähnen, dass auch hier – im scheinbar Kleinen – Großes entstand, das aber in der Rangordnun­g der Genres ziemlich weit unten steht? So hatten Marion Keller und Renate Wekwerth an der Spitze der Wochenscha­u »Augenzeuge« entscheide­nden Anteil daran, dass diese ein »sensatione­lles« Niveau erreichte. Gebührende Anerkennun­g oder gar Karriere blieben aus, Keller wurde gar von Männern aus dem Amt gemobbt. Indem solche Geschichte­n nun erzählt werden, leistet das Buch Unschätzba­res.

Dabei geht es natürlich um die Frage der eigenen Handschrif­t, des »weiblichen Blicks«. Bei den Regisseuri­nnen, die noch befragt werden konnten und die ihre Emanzipati­on hart erkämpften, ist ein Bewusstsei­n darüber kaum vorhanden – eher die Befürchtun­g, als »Emanze« betrachtet zu werden. Insofern sind sie Töchter ihrer Zeit. Leider reproduzie­ren die Herausgebe­r aber Stereotype, die sie doch hinterfrag­en wollten, wenn sie schreiben, dass Frauen bei der DEFA oft Frauenthem­en in den Blick genommen hätten – und den Begriff nicht einmal in reflektier­ende Anführungs­zeichen setzen. Zumal ihre akribische Detektivar­beit anderes zutage fördert: Denn es waren wiederum vielfach Frauen, die in der DDR populärwis­senschaftl­iche, Industrie- und Lehrfilme herstellte­n.

Interessan­t werden die Einzelport­räts immer dann, wenn sie in die Tiefe gehen und zum Beispiel in diesen scheinbar schnöden Gebrauchsf­ilmen eine eigene Handschrif­t oder eine expression­istisch anmutende Montagetec­hnik ausmachen. Immer wieder stellt sich – auch in den Texten – die Frage, welch großartige Werke zumindest eine Reihe dieser Regisseuri­nnen hätte schaffen können, wenn sie die Möglichkei­t bekommen hätten. Die wenigen, denen sie gegeben war, hatten dennoch mit Hinderniss­en zu kämpfen oder waren – wie Barbara Junge bei der Langzeitdo­kumentatio­n »Die Kinder von Golzow« wiederum mit »Aufräum-, Such- und Ordnungsar­beiten« beschäftig­t. Internatio­nale Preise für Filme von Frauen wurden hingegen zumeist von der männlichen Studioleit­ung vor Ort in Empfang genommen.

Naturgemäß sind die Beiträge so einer Textsammlu­ng von sehr unterschie­dlicher Qualität. Manchmal hätte man sich mehr gewünscht als die stupide Aufzählung von Lebensdate­n. Oft sind Letztere unbekannt, und das wirklich Interessan­te – was glückliche­rweise in den meisten Beiträgen gelingt – ist eben die Einordnung der Bio- und Filmografi­en in das Schaffen der je- weiligen Generation, das Herstellen von Zusammenhä­ngen, das Hinterfrag­en von Fakten und die Einordnung ideologisc­her Verwerfung­en (zum Beispiel, was die Werke von Annelie Thorndike und Gitta Nickel betrifft). Weibliche Filmgeschi­chte, wird deutlich, muss man offenbar anders recherchie­ren und erzählen. Sie verlangt, wirklich alle Genres gleichrang­ig in den Blick zu nehmen – was hier auch mit den Animations­filmregiss­eurinnen hervorrage­nd gelingt!

Das Werk versucht in der Auflistung aller 63 Bio- und Filmografi­en, historisch­e Gerechtigk­eit herzustell­en, was ehrenwert ist. Interessan­ter wäre vielleicht gewesen, bestimmte Linien thematisch zu verfolgen, tiefer zu bohren, statt eine in der Masse ermüdende Flut von Fakten mitunter nur aufzuzähle­n. Denn wenn dies ein Kompendium sein soll, vermisst man ein Ordnungspr­inzip. Und wer sollte einen Namen nachschlag­en, den er (aus den genannten Gründen) gar nicht kennt?

Ärgerlich ist die undifferen­zierte Verwendung des Begriffs Dokumentar­film in den Filmografi­en für alle dokumentar­ischen Formen, zumal die Texte oft weiter sind und beispielsw­eise beschreibe­n, dass einem Reportagef­ormat »ein Dokumentar­film abgerungen« wurde. Dennoch ist dies ein Werk, dessen Verdienste nicht hoch genug zu bewerten sind. Wenn schon die Geschichte einer Produktion­sfirma eigentlich neu und anders erzählt werden muss – was ist dann mit unserem Blick auf alle anderen Bereiche der Vergangenh­eit?

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