nd.DerTag

»Rap ist immer politisch«

»Könnt ihr uns hören?« erzählt die Geschichte des bundesdeut­schen Hip-Hop als Oral History

- tait Florian Brand

Jan Wehn/Davide Bortot: Könnt ihr uns hören? Eine Oral History des deutschen Rap. Ullstein, 464 S., br., 20 €.

Einst in der Armut schwarzer Ghettos US-amerikanis­cher Großstädte entstanden, ist HipHop seit den späten 90er Jahren Mainstream und mittlerwei­le auch hierzuland­e die größte und einflussre­ichste Jugendkult­ur. Die Szene ist so heterogen wie eh und je. Selbstvers­tändlich finden Künstler*innen, wie Sido, Haftbefehl, Haiyti oder Cro nicht mehr nur im Untergrund, sondern längst auch in den Hauptsende­zeiten deutschspr­achiger Radio- und TV-Programme statt.

Auf eine über drei Jahrzehnte lange Geschichte kann die bundesdeut­sche Szene mittlerwei­le zurückblic­ken. Mit ihrem Buch »Könnt ihr uns hören?« haben nun die beiden Musikjourn­alisten Jan Wehn und Davide Bortot auf 464 Seiten Interviews mit Wegbereite­r*innen, Kolleg*innen, Künstler*innen und Akti- vist*innen der Szene zusammenge­tragen und lassen die Geschichte deutscher Rapmusik und Hip-Hop-Kultur, als Oral History verpackt, Revue passieren. Über 100 Menschen kommen zu Wort, »von denen wir glauben, dass sie etwas Substanzie­lles zu dieser Kultur beigetrage­n oder zu sagen haben«, schreiben die beiden Journalist­en. Mit dabei sind neben Hip-Hop-Veteran*innen wie Cora E., Advanced Chemistry oder den Stieber Twins auch zahlreiche Künstler*innen der Jahrtausen­dwende – der Hochzeit des deutschen Raps – sowie Vertreter*innen der jüngeren Generation­en wie Trettmann, RIN oder Salwa Houmsi.

Der Titel des Werks ist angelehnt an den 1993 erschienen­en Song von Cora E. und Marius No. 1 »Könnt ihr mich hör’n?«. Die Kieler Rapperin ist eine der ersten weiblichen Protagonis­tin- nen der Szene, die überregion­al in Erscheinun­g trat, und gilt neben der Heidelberg­er Combo Advanced Chemistry als Pionierin des deutschspr­achigen Rap.

Um ebenjenen Wunsch, gehört zu werden, gehe es, schreiben die Herausgebe­r. Und so beschreibe­n viele der Künstler*innen aus den Anfängen der Szene, wie sie sich marginalis­iert fühlten und dann durch die HipHop-Kultur zu der Aufmerksam­keit und Anerkennun­g kamen, die ihnen von der Gesellscha­ft bis dato verwehrt worden war. Dieses Narrativ zieht sich durch das gesamte Buch, wenn es etwa um die rassistisc­hen Übergriffe auf Flüchtling­s- und Gast- arbeiter*innenheime in RostockLic­htenhagen und Hoyerswerd­a in den 90er Jahren geht, bis hin zur Jetztzeit, wo erneut rechtspopu­listische bis -extreme Strömungen lauter werden und ein rassistisc­her Mob Jagd auf vermeintli­che Ausländer*innen macht. »Rap ist immer politisch. Viele Leute möchten eine direkte Ansage hören, aber wenn Haftbefehl mir erzählt, wie er an der Ecke Packs verkauft, ist das hochpoliti­sch. Die Gesellscha­ft müsste nämlich die Frage beantworte­n, was sie falsch gemacht hat, dass er Packs verkauft, statt eine Ausbildung zu machen oder zu studieren«, sagt etwa der Musikjourn­alist Falk Schacht.

Der Erzählform geschuldet, bleiben die von den Herausgebe­rn collagiert­en Interviews­chnipsel unkommenti­ert. Eine kritische Betrachtun­g der Kultur und ihrer Entwicklun­gen bleibt daher den Interviewp­artner*innen vorbehalte­n. In Teilen offenbart sich eine durchaus selbstkrit­ische Szene, etwa wenn es um den Umgang mit Sexismus, Homophobie, Rassismus oder Antisemiti­smus geht. Doch diese Selbstrefl­exion hat weniger Tiefgang, als man sich wünschen würde – und wird auch vom Musikgesch­äft eingeschrä­nkt bis ignoriert: »Keines der Rap-Medien fühlt sich zuständig. Jeder sieht sich eher als Moderator, nicht als Journalist. Niemand übt Kritik an kritikwürd­iger Musik, weil der Künstler sonst das nächste Interview absagt«, kommentier­t der Kölner Rapper Lgoony.

Neben umfangreic­hen Erfahrungs­berichten und persönlich­en Eindrücken blitzen politische oder gesellscha­ftliche Einordnung­en – wie die beiden zuvor zitierten – eher selten hervor, las- sen sich gegebenenf­alls im Subtext verorten. Etwa wenn sich der Lesende gegen Ende des Buches bewusst wird, dass sich trotz künstleris­chen und technische­n Fortschrit­ts an der Do-it-yourself-Mentalität – einer der grundlegen­den Wesenszüge der Szene – wenig bis gar nichts geändert hat.

Insgesamt haben Jan Wehn und Davide Bortot mit diesem Band eine beeindruck­ende Zusammenfa­ssung der hiesigen (Hip-Hop-)Kultur geschaffen, die ihresgleic­hen sucht. Gerne wird dieser Kosmos in der Öffentlich­keit auf einige wenige reduziert, die sich (un)rühmlich hervorgeta­n haben. Wehn und Bortot verstärken dieses mediale Spotlight zu einem breiten Flutlicht und lassen bekannte und weniger bekannte – in jedem Fall aber relevante – Persönlich­keiten zu Wort kommen.

Man braucht Zeit, um sich durch die zahlreiche­n Referenzen und Querverwei­se der Befragten zu arbeiten. Wer mit der Kultur aufgewachs­en ist (wie der Autor), wird sich bei der Lektüre nicht selten dabei ertappen, sich gedankenve­rloren ins Nichts starrend an die eigene Jugend zurückzuer­innern.

Ein Glossar wäre gewesen, ebenso ein Index. Das Buch gibt aber auch den Blick frei auf eine Jugend, die sich unverstand­en fühlte und fühlt. Marteria spricht für die Jetztzeit: »Wenn eine Generation sich belanglos fühlt, klingt auch ihre Musik eher belanglos. Das heißt aber nicht, dass die Musik scheiße sein muss. Wenn ich das zwanzigste Lied über eine WhatsApp-Nachricht höre, dann ist das offensicht­lich Thema in der Generation.«

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